Hintergrund: Die MobilCom-Krise und eine Rettung in letzter Minute [Update]

Wie auch immer die langfristige Entwicklung bei MobilCom aussieht, erst einmal Aufatmen hieß es in Büdelsdorf: Buchstäblich in letzter Minute schrammte der einstige Star am Neuen Markt an der Insolvenz vorbei.

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  • dpa

MobilCom-Großaktionär France Telecom hat am Freitag die Banken und das existenzbedrohte Büdelsdorfer Unternehmen zum Handeln aufgefordert. "Für MobilCom läuft die Frist der Banken ab, nicht für France Telecom", sagte eine Sprecherin des französischen Telekommunikationskonzerns. Keinen Kommentar gab France Telecom zu der Einigung auf Ex-RTL-Chef Helmut Thoma als Treuhänder für die Aktien des MobilCom-Gründers Gerhard Schmid. Die Banken stundeten am Freitag erneut auslaufenden Kredite in Höhe von 4,7 Milliarden Euro. Die zögerliche Haltung von France Telcom sorgte am Freitag noch für etwas Verwirrung -- sowohl Schmid als auch Vermittler Dieter Vogel gehen aber davon aus, dass France Telecom zu den Zusagen steht, das Unternehmen von rund sieben Milliarden Euro Schulden zu befreien.

Wie auch immer die langfristige Entwicklung bei MobilCom aussieht, erst einmal Aufatmen hieß es in Büdelsdorf: Ein Stoßseufzer der Erleichterung ging durch die schleswig-holsteinische Provinzstadt. Buchstäblich in letzter Minute schrammte der einstige Star am Neuen Markt an der Insolvenz vorbei, die zuletzt fast unabwendbar schien. Trotz der guten Nachricht blieb die Stimmung in der Belegschaft des angeschlagenen Telefonanbieters am Freitagmorgen zwiespältig. Denn die 5000 Mitarbeiter -- darunter 1900 in Büdelsdorf -- bangen wegen des unvermeidbaren Stellenabbaus um den eigenen Job. 1.850 Arbeitsplätze sollen nach bisherigem Stand weichen. Die "blauen Briefe" könnten ganz schnell kommen: "Warten wir den Postboten morgen Mittag ab", orakelt ein 41-Jähriger. "Ich habe mich erst einmal gefreut, dass es mit dem Unternehmen weitergeht", erzählt die 19-jährige Bianca Gotthilf, die erst seit Juli dabei ist. "Nun muss ich sehen, ob ich bleiben kann oder nicht."

Eher routiniert-geschäftsmäßig als emotional wirkte am Freitag die Stimmung in der Büdelsdorfer Firmenzentrale. Vorstandschef Thorsten Grenz traf um 9.30 Uhr ein und wollte den schon lange wartenden Journalisten keinen Kommentar abgeben. Pressesprecher Matthias Quaritsch sprang ein: "Die Chancen stehen gut, dass MobilCom auch in den nächsten Jahren weiter existieren wird", sagte er. "Das müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn da noch irgendetwas schief geht." Die Stimmung sei jetzt gut und optimistisch.

Am Vorabend hatte MobilCom-Gründer und Großaktionär Gerhard Schmid nach wochenlangem Tauziehen einen Vertrag unterzeichnet, mit dem seine Aktien und die Anteile der Firma seiner Frau an Ex-RTL-Chef Helmut Thoma als Treuhänder übertragen werden. "Sehr aggressiv" sei zuletzt bei vielen die Stimmung gegenüber Schmid gewesen, berichtet Betriebsratsvorsitzender Jörg Malter. "Ich kann dieses Pokerspiel immer noch nicht verstehen", meint Malter zum langen Warten auf die Vertragsunterschrift. "Wir haben zwei Wochen Zeit verloren."

Noch am Freitag sollten die Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan zum Abschluss kommen. "Ohne diesen Personalabbau hat MobilCom keine Zukunft", meint Quaritsch. Auch einige Mitarbeiter in Büdelsdorf werde es treffen. Die Standorte Hallbergmoos bei München und Karlstein bei Frankfurt sollen dagegen geschlossen werden. Im Call Center Kiel wird kräftig Personal abgebaut. Bis April 2003 will MobilCom den Umbau "durch" haben.

Erst vor wenigen Tagen hatten 1.500 Mitarbeiter ziemlich wütend ihren Ex-Chef Schmid aufgefordert, mit seiner Unterschrift auch das eigene Lebenswerk MobilCom zu retten. Doch nun scheint der Weg für die weitere Sanierung des Unternehmens endgültig frei zu sein. Ein Mitarbeiter der Rechtsabteilung wusste es ganz genau: "Es war doch klar, dass Herr Schmid eines Tages unterschreiben muss". Für die Beschäftigten sei eher das Problem, ob sie ihren Job behalten können.

Ein Pionier der Telekom-Liberalisierung

Der Telekommunikations-Konzern MobilCom gehört zu den Pionieren auf dem liberalisierten deutschen Telefonmarkt. Gerhard Schmid gründete das Unternehmen 1991 und vermarktete zunächst mit nur einer Mitarbeiterin Handys auf Provisionsbasis. Zwei Jahre später erreichte MobilCom 100 Millionen Mark Umsatz, von 1995 an stellten sich Gewinne ein.

1997 -- mit damals 300 Mitarbeitern -- ging MobilCom an den Neuen Markt der Frankfurter Börse. Der Aktienkurs stieg zu Spitzenzeiten bis auf 199 Euro. Seit 1998 bot MobilCom in Konkurrenz zur Telekom Ferngespräche an und stieg ins Internet-Geschäft ein. Für die Expansion reichte der Firmensitz in Schleswig nicht mehr aus, das Unternehmen siedelte ins schleswig-holsteinische Büdelsdorf um. Dort rüstete es sich für den neuen Mobilfunkstandard UMTS. Gemeinsam mit France Telecom ersteigerte MobilCom im Jahr 2000 eine UMTS-Lizenz für rund acht Milliarden Euro.

Die hohen Investitionen und das Ende des Booms in der Mobilfunk- Branche führten jedoch zum Streit zwischen den Partnern, der in diesem Frühjahr eskalierte. Im Juni kündigte France Telecomden Kooperationsvertrag mit MobilCom, Schmid musste den Konzern verlassen. Als der französische Partner und Großaktionär im September seine Unterstützung für MobilCom einstellte, stand der schleswig-holsteinische Konzern vor der Insolvenz. Der Bund kam mit Kreditzusagen zu Hilfe, 50 Millionen Euro flossen. Kredite in Milliardenhöhe wurden von den Banken mehrmals gestundet.

Im zweiten Quartal dieses Jahres hatte MobilCom mit 172 Millionen Euro mehr Verluste geschrieben als je zuvor. Im ersten Halbjahr lief insgesamt ein Minus von fast 290 Millionen Euro auf. Der Umsatzrückgang der vergangenen Quartale konnte hingegen mit einem Quartalserlös von 520 (514) Millionen Euro gestoppt werden.

Chronologe einer Krise

Anfang 2002: Es kommt zum Streit zwischen MobilCom-Gründer Gerhard Schmid und der France Telecom. Dabei geht es um die Milliarden- Kredite für das UMTS-Netz und um umstrittene Aktiengeschäfte von Schmids Ehefrau.

21. März 2002: MobilCom weist Verluste von 200 Millionen Euro für 2001 aus. Der Machtkampf zwischen Schmid und France Telecom lässt den Aktienkurs auf 15 Euro stürzen.

25. März 2002: Schmid kündigt seinen Ausstieg bei MobilCom und den Verkauf seines Aktienpakets an. France Telecom nimmt die Aktien jedoch nicht ab.

30. Mai 2002: Die MobilCom-Hauptversammlung verweigert Schmid die Entlastung.

11. Juni 2002: France Telecom kündigt den Kooperationsvertrag mit MobilCom aus dem Jahr 2000. Der Aktienkurs steht bei sieben Euro.

21. Juni 2002: Finanzvorstand Thorsten Grenz wird vom Aufsichtsrat als Nachfolger Schmids bestellt. Der Gründer muss das Unternehmen verlassen, bleibt aber größter Einzelaktionär.

28. August 2002: MobilCom verklagt die Firma Millenium von Schmids Ehefrau Sybille Schmid-Sindram. Schmid klagt seinerseits gegen MobilCom und France Telecom.

12. September 2002: France Telecom stellt Unterstützung für MobilCom ein.

16. September 2002: Das Bundeswirtschaftsministerium sagt MobilCom eine Woche vor der Bundestagswahl Kredite von bis zu 400 Millionen Euro zu. Kreditgeber sollen die Kreditanstalt für Wiederaufbau und die Schleswig-Holsteinische Landesbank sein. Davon flossen bisher 50 Millionen Euro.

27. September 2002: MobilCom-Chef Thorsten Grenz stellt ein Sanierungsprogramm vor. Danach sollen 1.850 Vollzeitstellen -- fast die Hälfte aller Arbeitsplätze -- gestrichen werden.

31. Oktober 2002: Die Banken verlängern zum vierten Mal die fälligen Kredite über 4,7 Milliarden Euro. Sie werden bis zum 15. November gestundet. Auch Zinsen müssen nicht gezahlt werden.

1. November 2002: MobilCom-Gründer Schmid unterschreibt einen Vertrag zur Übertragung seiner Aktien an einen Treuhänder. Das Bundeswirtschaftsministerium akzeptiert die Vertragsfassung nicht.

4. November 2002: Der Streit zwischen Schmid und der Regierung eskaliert. Schmid bleibt einem Krisentreffen in Berlin fern.

5. November 2002: Das Bundeswirtschaftsministerium fordert Schmid auf, den ausgehandelten Treuhändervertrag zu unterzeichnen. Ein tagelanges Pokerspiel beginnt.

14. November 2002: Nach tagelangem Gezerre unterschreibt Schmid den Treuhändervertrag. Seine Aktien werden auf den früheren RTL-Chef Helmut Thoma übertragen. (dpa) / (jk)