Europäischer Polizeikongress 2022: neue Spielstätte, neue Themen

Der Europäische Polizeikongress fällt in diesem Jahr wieder deutlich größer aus. Zu sehen gibt es unter anderem deutlich bessere Bilderkennung.

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Bayerns Innenminister Hermann, Uwe Proll vom Behörden-Spiegel und Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU)

(Bild: Detlef Borchers)

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  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

War der europäische Polizeikongress 2021 (EPK) coronabedingt etwas arg klein geraten, konnte er zum 25. Jubiläum wieder ein volles Programm mit zahlreichen Fachforen bieten. Das Spektrum reichte von der Dauer-Diskussion über die computerisierte Gesichtserkennung bis zur Frage, wie sich der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine auf die internationale Polizeiarbeit auswirkt. So lehnte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) operative Befugnisse für Europol in einem neuen Europa strikt ab, obwohl er als Vorsitzender der Innenministerkonferenz die IMK-Sondersitzung zum Krieg in der Ukraine nach Brüssel verlegt hatte. Sein brandenburgischer Kollege Michael Stübgen (CDU) konnte sich dagegen eingeschränkte Exekutivbefugnisse für Europol vorstellen.

Nach vielen Jahren im Berliner Kongresszentrum bcc am Alexanderplatz ist der Polizeikongress auf das Gelände der Messe Berlin gezogen. In der großen Halle vom Hub27 gibt es im Unterschied zum bcc so viel Platz, dass Rheinmetall seinen martialischen Polizeipanzer Survivor präsentieren konnte. Bei dem Raumangebot dürfte der Messe-Charakter des Polizeikongresses in Zukunft noch weiter ausgebaut werden. Eröffnet wurde der Polizeikongress mit einer Videoansprache von der EU-Kommissarin für Migration und Inneres, Ylva Johansson. Sie war verhindert, da sie zeitgleich in Brüssel das "Proposal for laying down rules to prevent and combat child sexual abuse" vorstellte – inklusive der Pläne für eine Chatkontrolle.

In Berlin wurde prompt vor dem Haus der Europäischen Kommission beim Brandenburger Tor gegen ihren Vorschlag demonstriert. Auf dem Kongress zeigten sich Fachleute eher skeptisch über die Behauptung des Gesetzesvorschlages, dass der Demonstrator einer Chatkontrolle beim Microsoft-Projekt Artemis effektiv Cyber-Grooming verhindert und damit Kinder vor Kontakten mit Tätern geschützt habe. Beim "Grooming" geben sich Erwachsene im Chat als Kinder aus, um das Vertrauen von Heranwachsenden zu erschleichen.

Ein anderer Demonstrator und guter Bekannter des Polizeikongresses zeigte sich in neuem Gewand. Gemeint ist das gemeinsame Datenhaus der Polizei, das unter dem Namen Polizei 2020 seit mehreren Jahren in der Entwicklung und Diskussion ist. Dabei sollen die verschiedensten Datenbanken unter einen Hut gebracht werden. Es heißt jetzt Polizei 20/20 und hat ein schickes blauschwarzes Logo "P20" bekommen. Am Stand war ein "Proof of Concept" zu sehen, den die Bundesdruckerei mit Sopra Steria entwickelt. Bis Ende des Jahres soll entschieden werden, wer den eigentlichen "Transformator" mit dem Datenhaus entwickeln soll. Materna, Accenture, Atos und msg sind die vier Firmen, die jeweils ein Konsortium anführen und um den Zuschlag konkurrieren. Die volle Funktionsfähigkeit bei P20 heißt "Zielbilderreichung" und ist für 2030 geplant.

Mit dem Vortrag vom Innen-Staatssekretär Hans-Georg Engelke wurde der Reigen der Vorträge und Produktpräsentationen gestartet. Er verurteilte zunächst den völkerrechtswidrigen Angriff von Russland auf einen souveränen Staat und kündigte an, dass die Bundesregierung alles tun werde, um die Aufklärung von systematischen Kriegsverbrechen zu ermöglichen. Sowohl das Bundeskriminalamt wie die Generalstaatsanwaltschaft stünden bereit, auch die Bundespolizei und das Lagezentrum im Auswärtigen Amt seien beteiligt. Ferner soll es ein digitales Unterstützungsangebot geben, um die Desinformation der russischen Seite zu parieren.

Entwarnung gab Engelke bei den Cyberangriffen: "Die Leute können weniger als wir gedacht haben." Der zweite Eröffnungsredner war der österreichische Innenminister Gerhard Karner. Er mahnte wie sein Vorgänger im vergangenen Jahr (inzwischen Bundeskanzler) einen stärkeren Schutz der Außengrenzen an. "Wir müssen wissen, wer sich auf dem europäischen Kontinent aufhält". Das unterstrich auch der bayerische Innenminister Herrmann mit Blick auf Berichte über Zwangsprostitution: "Wir müssen wissen, wer überhaupt da ist, um so etwas bekämpfen zu können." Mit seinen Ausführungen über den digitalen Raum, der nicht rechtsfrei sein darf, präsentierte er eine neue Variante: "Es gibt keinen Rechtsanspruch darauf, dass man sich völlige unerkannt im Netz bewegen kann."

Im Vergleich zu früheren Jahren waren auf dem EPK 2022 viele Fachforen nur für Fachbesucher zugelassen. Die Presse wurde von stabilen Ordnern in die Messehalle begleitet. Das betraf unter anderem ein Forum für KI und Gesichtserkennung, auf dem der Nutzen der Technik für die Analyse von Demonstrationen diskutiert wurde, um Netzwerke von Demonstranten erkennen zu können. Selbst ein Forum, das von einem Wirtschaftsjournalisten des Springer-Verlages moderiert wurde, war für die Presse gesperrt. Hier hatte Christopher Markson seinen Auftritt, Leiter der Abteilung Sicherheit und Verteidigung Europa bei Palantir. Er referierte zum Thema "Bedingt einsatzbereit: digitale Polizeiarbeit".

Dennoch hatte der EPK interessante Foren zu bieten. Unter dem hübschen Titel "Gesichtserkennung von ihrer besten Seite" diskutierten Forscher:innen, die deutlich jünger waren als die üblichen Teilnehmer des Polizeikongresses, neue Trends in der Gesichtserkennung. Was können Super-Recognizer, was die computerisierte Gesichtserkennung nicht kann? Wie können beide Seiten kombiniert werden? Und wie erkennt man überhaupt Super-Recognizer, die selbst bei schlechten Bildvorlagen auf eine Trefferquote von über 50 Prozent kommen (Normalos 36 Prozent)? Der Berliner Kriminaloberkommissar Simon Rjosk präsentierte das mit der Neurowissenschaftlerin Meike Ramon entwickelte Projekt beSure, mit dem Super-Recognizer in der Polizeitruppe erkannt werden. beSure soll ab Herbst 2022 allen Polizeien frei zur Verfügung gestellt werden. Es ist noch in der Entwicklung, aber schon als Marke geschützt.

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