Neun-Euro-Ticket? Ja, bitte!

Bild: Freddy2001, CC BY-SA 3.0

An der Initiative wird viel bemängelt. Doch ohne Experimente wird kein Fortschritt gelingen, auch nicht in Klimaschutz und Mobilitätswende

Die Bundesregierung will die Bürgerinnen und Bürger finanziell entlasten, weil Energie- und Lebenshaltungskosten dramatisch gestiegen sind und wohl weiter steigen.

Dazu soll auch gehören, dass alle im Juni, Juli und August 2022 mit einem "Neun-Euro-Ticket" in ganz Deutschland den gesamten Nah- und Regionalverkehr nutzen können. Das sollte eigentlich "ein Grund zur Freude sein", meint die Süddeutsche Zeitung. Doch schon vor Beginn der Aktion an melden sich – wie so oft in Deutschland – die Bedenkenträger:

Chaos sei zu erwarten, die Kostenübernahme sei unklar, es gebe Sicherheitsrisiken und noch mehr Verspätungen, einen Ansturm der Billigreisenden, übervolle Züge und Busse.

Das alles kann niemand ausschließen. Aber wie soll jemals eine ökologische Verkehrswende gelingen, ohne solche Experimente und Lernerfahrungen?

Die deutschen Klimaziele können nur erreicht werden, wenn sich bis 2030 die Fahrgastzahlen im Nahverkehr verdoppeln, sagen die Experten. Das ist unerlässlich fürs Klima, aber auch für unsere Unabhängigkeit von fossilen Rohstoffen aus Russland. Eine intelligente Verkehrspolitik sollte sich für die nächsten Jahrzehnte diese Schwerpunkte setzen:

  • Ausbau des Fahrradverkehrs, des Fußgängerverkehrs und des öffentlichen Verkehrs;
  • Rückbau des motorisierten Individualverkehrs;
  • Verkehrsvermeidung durch Digitalisierung sowie
  • Verlagerung des Lastverkehrs von der Straße auf die Schiene.

Dafür braucht es positive Botschaften und überzeugende Alternativen. Aber auch ein Experiment wie das Neun-Euro-Ticket für zunächst drei Monate. Hinzu kommt der Wandel in der privaten Mobilität.

Die Zukunft fährt elektrisch

Dabei macht allein die technologische Überlegenheit das E-Auto preiswerter als die alten Verbrenner. Neben der Elektrifizierung und der Nutzung erneuerbarer Energien wird die Digitalisierung mit dem automatisierten und vernetzten Fahren im 21. Jahrhundert eine wichtige Rolle spielen.

All dies schafft auch morgen hunderttausende Jobs. Nachhaltige Mobilität ist möglich und sozial verträglich. Auch in der Zukunft wird die Automobilindustrie in Deutschland also eine herausragende Branche sein. VW geht davon aus, dass spätestens 2024 ein E-Auto preiswerter ist als die alten Verbrenner.

Eine neue Mobilitätskultur bedarf hoher öffentlicher Subventionen. Durch weniger Autos nimmt die Aggressivität im Verkehr ab, es entsteht mehr Sicherheit, weniger Lärm und bessere Luftqualität. Die neue Mobilität schafft attraktive Lebensräume, wodurch allen Menschen eine klimafreundliche Mobilität ermöglicht wird.

Ob Auto-Deutschland künftig Fahrrad-Land sein wird?

Hinzu kommt, dass in vielen Städten mehr Fahrradwege gebaut werden müssen. Zunächst ein Blick auf die Radwege einiger Hauptstädte in Europa: In den letzten Jahren hat Berlin pro Kopf 4,70 Euro für Radwege ausgegeben, Amsterdam elf Euro, Kopenhagen 36 Euro, Oslo 70 Euro und Utrecht 132 Euro. In ganz Deutschland sind es jährlich 1,57 Euro pro Nase für Radwege, hat der Schauspieler und Autor Eckart von Hirschhausen recherchiert.

Die Klimakrise wartet nicht, bis wir Deutschen uns von selbst vom Auto-Land verabschieden. Autofahren ist heilbar. Wie schnell eine Mobilitäts-Transformation gehen kann, hat die Welt schon mal gezeigt.

Vor 130 Jahren hat sich kaum jemand vorstellen können, dass die Mobilität mit Pferdekutschen ein Ende haben wird. Doch innerhalb weniger Jahre waren wir vom Pferd aufs Auto umgestiegen. Warum soll im 21. Jahrhundert eine ökologische Verkehrswende im Zeitalter der Digitalisierung nicht auch in kurzer Zeit möglich sein?

Viele Menschen stellen heute ihre Ernährung um: statt Fleisch pflanzliche Produkte. Oder Elektrofahrrad statt Benzinauto. ICE statt Flugzeug. Das ist auch preiswerter und gesünder. Selbst wenn uns das Neun-Euro-Ticket einige Probleme bereitet, können wir auch daraus für die Zukunft etwas lernen, was immer hilfreich ist.

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