eco-Meldestelle: Chatkontrolle ein "Freifahrtschein für staatliche Überwachung"

Der Vorschlag der EU-Kommission zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch sorgt für Irritationen – gerade auch bei denen, die daran seit über 20 Jahren arbeiten.

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(Bild: mixmagic / shutterstock.com)

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Von
  • Monika Ermert
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Mit ihrem Vorstoß für eine Chatkontrolle zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch will die EU-Kommission eine neue "Zentralstelle" einrichten, die Maßnahmen mit den nationalen Sicherheitsbehörden und der Justiz koordinieren soll. Welche Rolle die seit Jahren etablierten Strukturen zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch in dem Kommissionsplan spielen, bleibt offen. Das sorgt für Irritationen.

Seit über 20 Jahren nehmen die Hotlines des Inhope-Netzwerks Beschwerden zu Missbrauchsbildern im Netz entgegen. In Deutschland ist das die Beschwerdestelle des eco-Verbands der Internetwirtschaft. Deren Leiterin, Alexandra Koch-Skriba, fragt sich, was der von Innenkommissarin Ylva Johansson vorgelegte Verordnungsentwurf konkret für die Arbeit der 50 internationalen Meldestellen bedeutet. Und sie kritisiert den Vorstoß scharf.

Eine ganze Reihe der Aufgaben, die die neue EU-Behörde laut Artikel 43 bis 50 übernehmen soll, lag bislang bei den Meldestellen. Die nehmen Hinweise auf Missbrauchsabbildungen nicht nur von privaten Nutzern, sondern auch von kleineren oder mittelgroßen Internet-Service-Providern (ISP) entgegen, erläutert Koch-Skriba. Ob die Provider künftig direkt an die neue Superbehörde melden müssen, sei noch nicht ganz klar.

Auch eine umfassende Datenbank zum Abgleich der eingehenden Meldungen, wie sie das Inhope-Netzwerk bereits heute unterhält, steht im Aufgabenkatalog des neuen EU-Zentrums. Zu den weiteren operativen Aufgaben der EU-Zentralstelle gehört die Bereitstellung von Software für die automatische Erkennung bekannter Missbrauchsbilder anhand von Hashwerten; neue Darstellungen sollen mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) entdeckt werden.

Johannson argumentiert bei ihrem Vorstoß unter anderem damit, dass mittlerweile 90 Prozent der Server, auf denen Missbrauchsdarstellungen gemeldet wurden, in Europa beheimatet seien. Dem widerspricht Koch-Skriba. Die eco-Beschwerdestelle beobachte zwar eine Zunahme der Meldungen, doch dass Europa bevorzugt für den Vertrieb der Missbrauchsdarstellungen genutzt werde, könne anhand der Zahlen nicht bestätigen.

Im vergangenen Jahr überprüften die Meldestellen des Netzwerks insgesamt 928.278 Missbrauchsdarstellungen, 443.705 davon stellten sich als illegal heraus

Das Inhope-Netzwerk sieht einen Schwerpunkt nach wie vor in den USA. Drei Viertel der europäischen illegalen Anbieter verortet Inhope in den Niederlanden. Auch russische Server sieht man bei der eco-Beschwerdestelle immer wieder, sagt Koch-Skriba. Der Anteil Europas sei sichtbar. Von den behaupteten 90 Prozent ist man ihrer Einschätzung nach weit entfernt.

Bestätigt findet das Koch-Skriba auch in den Zahlen aus Deutschland. Der jüngste Löschbericht der Bundesregierung notiert für 2020 insgesamt 6821 Hinweise, die ans BKA weitergeleitet wurden; im Jahr davon waren es 7639. Von den gemeldeten Inhalten war ein Viertel im Inland gehostet.

Justiz- und Innenministerium zeigten sich mit "Löschen statt Sperren" auf einem guten Weg und lobten die rasche Reaktion durch die Provider. Dabei dauerte es durchschnittlich 1,66 Tage, bis die Inhalte nach der Weitergabe an das Bundeskriminalamt von deutschen Providern gelöscht wurden. Bei ausländischen Providern waren nach 4 Wochen immerhin 80 Prozent gelöscht.

Wie es für "Löschen statt Sperren" und die Meldestellen im neuen System der EU weitergeht, muss man sehen. Der Artikel 54 eröffnet der geplanten EU-Zentralstelle zwar die Möglichkeit, mit Partnerorganisationen zusammenzuarbeiten. Klare Vorgaben dazu gibt es nicht. Darüber hinaus moniert Koch-Skriba, dass die Erfahrungen der privaten Jugendschützer in den Konsultationen zu wenig berücksichtigt wurden.

Stattdessen sucht die Kommission ihr Heil in Monitoring-Auflagen nicht nur für Webseiten, sondern auch für Datenverkehre vom privaten Chat bis zur E-Mail. Die Kommissarin warb in der Pressekonferenz Mitte der Woche zwar damit, dass das Monitoring nach einer Risikoeinschätzung "gezielt" angeordnet werden soll und keine Massenüberwachung stattfinde. Koch-Skriba hält die Hürden für die Anordnungen aber für außerordentlich niedrig.

"Die von der Kommission vorgestellten Pläne betrachten wir mit Sorge, untergraben sie doch jede Form der vertraulichen und sicheren Kommunikation im Netz", sagt Koch-Skriba. "Der Entwurf hat aus unserer Sicht das Potenzial, einen Freifahrtschein für staatliche Überwachung zu schaffen. Das ist ineffektiv und illegal."

(vbr)