4W

Was war. Was wird. Von den Mühen des Ansagens und Diktierens.

Wanderer, kommst du nach Ypsilon, dann verkündige dorten, dass die Nazi-Buchstabiertafel endlich verbannt ist. Hal Faber jubelt! Und bricht doch seinen Vorsatz.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 32 Kommentare lesen

Beim Ansagen und Diktieren ist nun endlich mit einer "Lebenrealität" aus der Nazizeit Schluss: Statt Nordpol und Zeppelin heißt es jetzt Nürnberg und Zwickau.

(Bild: Shutterstock/lapandr)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Wuppertal, Aachen, Salzwedel, Wuppertal, Aachen, Rostock: Es ist vollbracht! Seit diesem Freitag gilt die neue Buchstabiertafel nach DIN 5009 für das "Ansagen und Diktieren von Texten und Schriftzeichen". Eigentlich sollten es moderne, diverse Vornamen wie Finn, Matteo, Hannah oder Emilia sein, doch da legte sich die "Lebensrealität" in den Weg: "Es ist nicht möglich alle relevanten ethnischen und religiösen Gruppen dann auch noch nach ihrem Geschlechterverhältnis fair und ausgewogen darzustellen." Deswegen also Städtenamen, die zeigen, wie schön dieses unser Land doch ist. Wanderer, kommst du nach Ypsilon, verkündige dorten, dass "englisch-at" ab sofort zu diktieren ist, wenn das @ in einer E-Mail-Adresse verschriftlicht werden soll. Immerhin: Die Diskussion, ob wieder "Nathan" statt dem nationalsozialistischen "Nordpol" und "Zacharias" wieder den ollen "Zeppelin" ersetzt, ist damit endlich vorbei. Zwickau ist auch ganz schön, auch wenn das interkulturelle Fest Zwikkolör an diesem Wochenende abgesagt wurde. Aus Angst vor den N wie Nazis.

Ganz schön divers, die Städtenamen in diesem unserem Lande, Köln und Düsseldorf friedlich vereint, und in Hannover grummeln sie wegen Hamburg, das den Vorzug bekam. Aachen Umlaut, Mist!

*** In D wie Digitalien sorgten diese Woche ein Ereignis und ein Nicht-Ereignis für Schlagzeilen. Das Nicht-Ereignis war der Nichtkauf von Twitter durch Elon Musk, der damit in großem Stil die Börsenkurse manipulierte. Möglicherweise ist alles nur ein Trick, um preiswerter an die Zwitschereien zu kommen auf dem Muskweg, aus Digitalien mit Hilfe der Twitter-Inhalte und der KI ein einziges Muskanien zu machen. Halten wir uns lieber an ein anderes Ereignis, den EU-Vorschlag zur Bekämpfung der Kinderpornografie. Wann gibt es das schon, dass von der eco-Beschwerdestelle bis zur Gesellschaft für Informatik (GI) Organisationen gegen die geplante Verordnung protestieren, die nicht zu den üblichen Verdächtigen zählen, wenn es um Netzpolitik geht? Zumal die GI eigentlich den Tag feiern wollte, an dem sie mit dem Goldstatus in Sachen Chancen- und Geschlechtergerechtigkeit in der Informatik ausgezeichnet wurde. Nach der Lektüre des Vorschlags und der zahlreichen Anhänge und Erläuterungen muss man davon ausgehen, dass von den fünf vorgeschlagenen Optionen A-E die Option E ein schwerer Überwachungseingriff ist, im Gegensatz zu A-D, die auf der Suche nach Hashwerten mit Microsofts PhotoDNA basieren. Dank der Hashes soll "Child Sexual Abuse Material" (CSAM) erkannt und verfolgt werden.

*** Die weitestgehende Option E (wie Essen) wird denkbar knapp im Gesetzesvorschlag beschrieben: "The retained Option (Option E) builds on Option D, and requires providers to also detect grooming, in addition to known and new CSAM." Verfolgt man das Wort, so stand es bis 1985 in den Wörterbüchern für das Versorgen oder Striegeln eines Pferdes durch den groom, den Pferdepfleger oder Stallburschen. Erst in den 90ern wurde daraus ein Begriff der Pädokriminalität. Er bezeichnet jemand, der als Erwachsener einem Heranwachsenden per E-Mail oder in Chats vorgaukelt, ebenfalls ein junger Mensch zu sein, um Vertraulichkeit herzustellen. Die im Anhang der Vorlage geschilderten Fälle sind eindeutig und das Werkzeug, das Microsoft mit seinem Project Artemis entwickelt hat, wird ob seiner Treffsicherheit hoch gelobt. Der klitzekleine Hinweis, dass die Chats in Echtzeit überwacht werden müssen, um rechtzeitig einen Grooming-Alarm auslösen zu können, wird in zwei Nebensätze gepackt. Tatsächlich geht es hier um eine umfassende Chat- und Mailkontrolle, die nur dann erfolgen kann, wenn die Chats oder E-Mails nicht verschlüsselt sind. Die zuständige EU-Kommissarin Ylva Johansson versuchte in einem Interview die Bedenken zu zerstreuen, indem sie die Suche direkt auf dem Endgerät vor der Verschlüsselung als "eine Möglichkeit unter mehreren" bezeichnete. Auf die "mehreren" dürfen wir gespannt sein. Erinnert sei daran, dass selbst der Kinderschutzbund im Vorfeld erklärte: "Wir halten deshalb anlasslose Scans von verschlüsselter Kommunikation für unverhältnismäßig und nicht zielführend."

*** Es ist über 100 Jahre her, dass der Astrophysiker Karl Schwarzschild im Kriegsdienst irgendwo in der russischen Steppe sich mit Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie beschäftigte. Er fand zu den Gleichungen eine Lösung, die erklärte, dass alle Masse sich an einem Punkt konzentrieren kann. Damit war die mögliche Existenz von schwarzen Löchern in der Welt. Seit dieser Woche besitzen wir Fotos vom schwarzen Loch im Zentrum "unserer" Milchstraße, knappe 27.000 Lichtjahre entfernt "im Hinterhof der Erde", wie die Astrophysiker das formulierten. Salopp auch die Formulierung, dass sich dieses schwarze Loch "auf Diät" befindet und kaum neue Masse schluckt, weil in der Umgebung wenig Materie herumfliegt. So wabert es und schluckt Sternenwinde, heißes Gas und flackert uns zu. Mitten in der Milchstraße haben die acht Augen des Event Horizont Netzwerkes 2017 den Schlund gefunden, in dem sich Raum und Zeit auflösen. Nur zur Erinnerung: Noch 2020 zögerte das Nobelpreiskomitee, das schwarze Loch ein schwarzes Loch zu nennen, als Reinhard Genzel und Andrea Ghez den Nobelpreis für die Berechnung dieses schwarzen Loches erhielten, zusammen mit Roger Penrose, der die Robustheit der Allgemeinen Relativitätstheorie geprüft hatte.

An diesem Sonntag wird im Flächenlandstadtstaat Nordrhein-Westfalen gewählt und die Grünen bestimmen inmitten all der Vizemeisterstadien, wer das Land mit den meisten Autobahnauf- und -abfahrten regieren darf. Ob die FDP die Quittung für den abenteuerlichen Vorschlag bekommt, angehende Erzieher:innen mit Hartz IV zu unterstützen, wird sich zeigen. Nach der Wahl gehen alle in die Kneipe und trinken ein Friedensbier, das Költ. Es soll eine Mischung aus Kölsch und Alt sein, entstanden nach einer Blindverkostung, die ergab, dass Kölner und Düsseldorfer ihre Getränke nicht unterscheiden können. Wie gut, dass beide Städte in der neuen deutschen Buchstabiertafel ihren Platz haben. Das hätte sonst böse ausgehen können: In Hannover grummeln sie ja, von Hamburg in letzter Minute übertrumpft worden zu sein, und greifen zu einem Wort, das mit Umlaut Aachen beginnt.

Im Hinterhof der Erde befindet sich dieses schwarze Loch. Es hält Diät, weil in der Gegend nur wenig Materie umherfliegt, die es schlucken kann.

Heute ist aber auch der internationale Museumstag mit freiem Eintritt in vielen Museen. In Nordrhein-Westfalen bietet sich das HNF mit seinen Computern an, schließlich wird es von einer Stiftung Westfalen gefördert und unterhalten. In Berlin kann man zwischen Gefühl und Verstand wählen. In Dresden ist es das Militärhistorische Museum, das einlädt, das Museum "mit Freude" zu entdecken. Die Besucher können exquisites Material aus der Sammlung militärhistorischer Kinderbücher bestaunen oder an einer Lesung unter dem Titel "Garten ist Krieg" teilnehmen. Damit ist nicht die widerlichste Art der Kriegsführung gemeint, die Minister Cem Özdemir angeprangert hat. Tatsächlich erzählt jemand heiter vom Krieg gegen das Unkraut in seinem Garten. Passend zum großen Museumstag erklärt der Direktor des Deutschen Historischen Museums in der Zeitung für kluge Köpfe, wie Geschichtsfälschung im Museum töten kann. "In autoritär regierten Ländern sind historische Museen zu Kampfzonen ideologisch geprägter Gewalt geworden. Deshalb war es vielleicht kein Zufall, dass Olaf Scholz am Ende seiner Pressekonferenz nach der Klausurtagung in Meseburg gesagt hat: Ja, und jetzt bringen wir auch das Dokumentationszentrum zum Zweiten Weltkrieg und zur deutschen Besatzungsherrschaft auf den Weg." Olaf Scholz hat gehandelt! (Und ich habe gegen allen Vorsatz nun doch über den Krieg und das Töten geschrieben).

(tiw)