Von Fußball-, zu Pandemie-, Kreml- und Militärexperten

Schwedische Militärexperten diskutieren Nato-Beitritt, hier in St. Petersburg, 2018. Bild: Kora27, CC BY-SA 4.0

Wer entscheidet eigentlich derzeit über Wahrung und Wiederherstellung des Friedens oder eine potenziell verheerende Eskalation. Eine Glosse

Man hört derzeit allenthalben von ihnen oder liest ihre Analysen und Schlussfolgerungen in den Medien: Selbsternannte Militärexperten haben das Sagen und erklären uns, was "schwere Waffen", "Flugverbotszonen", "Flugabwehrkanonen", "Flaggschiffe" und anderes sind.

Seit 1979 mussten wir uns mit derartigen Fragen nicht mehr beschäftigen. Damals, als die Nato ihren Doppelbeschluss zur Stationierung von atomaren Mittelstreckenraketen und gleichzeitigen Verhandlungen mit dem damaligen Warschauer Pakt verkündete, wussten plötzlich viele Menschen, dass die Rakete Pershing II nur sieben Minuten Flugzeit bis Moskau benötigte

Die wirklichen Experten erklärten uns den Unterschied zwischen hochangereichertem Uran und Plutonium, dass man beides für die Herstellung von Atomwaffen verwenden kann. Erbsenzähler nannte man damals diejenigen, die genau belegen konnten, wie viele sowjetische Panzer, vor allem T-72, die auch heute von der ukrainischen Armee eingesetzt werden, nur darauf warteten, im Fulda-Gap vorzustoßen.

Herbert Wulf war von seiner Gründung 1994 bis 2001 Direktor des Bonn International Center for Conversion (BICC). Derzeit ist er Senior Fellow am BICC und Adjunct Senior Researcher am Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg/Essen, wo er zuvor stellvertretender Direktor war.

Jetzt, mit dem russischen Krieg in der Ukraine, beginnen wir Deutschen wieder, uns für die technischen Details von leichten und schweren Waffen, von Defensiv- oder Angriffswaffen zu interessieren. Was heißt "interessieren"? Das wissen wir natürlich!

Vor gut zwei Jahren, zu Beginn der Covid-19 Pandemie, verwandelten sich mindestens 41 Millionen Trainer der deutschen Fußballmannschaft – so die Zahl der männlichen Erwachsenen im Land – in Virologen und Epidemiologen. Vorbei waren die guten alten Zeiten, in denen an den Stammtischen über die Aufstellung der Fußballnationalmannschaft oder über die verfehlte "Pressing-Strategie" des Joachim Löw gestritten werden konnte.

Jetzt musste man sich um Inzidenzen und die Neuinfektionsrate, die Hospitalisierungsrate, Lockdown oder Übersterblichkeit kümmern. In den Talkshows der Fernsehanstalten und in den Social-Media-Kanälen konnte man sich vor ihrer Expertise nicht mehr schützen.

Man wurde selbst zum Experten über Impfstoffe und war sich sicher, Sputnik oder Sinovac konnten auf keinen Fall mit Biontech mithalten. Und Brexit-Großbritannien mit Astrazeneca? Sie wissen schon …