Mit Struktur zum Erfolg: Wie eine iPhone-App vom Hobby zum Hauptberuf wurde

Leonard Mehling startete "Structured" als Hobbyprojekt. Zwei Jahre und zwei Millionen Downloads später kann er davon leben. Auch Apple spielte dabei eine Rolle.

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Die App "Structured"

(Bild: structured.app)

Lesezeit: 7 Min.
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Es ist kurios: Da gibt es eine App, die das Leben ihrer Nutzer strukturiert und effizienter machen soll. Doch die Geschichte ihres eigenen Erfolgs ist alles andere als strukturiert zustande gekommen, sondern war neben Fleiß vor allem auch von glücklichen Fügungen und Überraschungen geprägt.

Für Leonard Mehlig hat sich binnen zwei Jahren erfüllt, wovon viele angehende Entwickler träumen: Seine App "Structured" wirft genug Geld zum Leben ab. "Es läuft gerade super", sagt der 24-jährige Student aus Berlin, als wir mit ihm per Videocall in Portugal verbunden sind. "Ich kann reisen, von überall aus arbeiten und bin unabhängig von Investoren."

Mit seiner Tagesplaner-App, die es Menschen ermöglicht, ihren Tag besser zu strukturieren, steht Leo Mehlig aktuell im Rampenlicht. Im Zuge einer "Gründer"-Initiative (Founders) stellt Apple in seinem App Store die "vielversprechendsten europäischen Apps und Games aus dem App Store Foundations Programm" vor. Eine davon ist "Structured". Für den jungen Mann bedeutet das, dass seine App auf den Magazinseiten des digitalen App-Ladens buchstäblich im Schaufenster steht. Medienvertreter führen Interviews. Also viel Aufmerksamkeit für ihn und seine App.

Und die Aufmerksamkeit schlägt sich vielleicht auch in Downloads und Käufen nieder. "Die Reichweite ist natürlich toll", sagt er. Seit ihrer ersten Veröffentlichung im Jahr 2020 wurde die App bereits zwei Millionen Mal heruntergeladen. Der Umsatz beträgt bislang knapp 900.000 US-Dollar.

Von einer solch erfolgreichen App kann ein junger Mann, der obendrein im Alleingang arbeitet, schon eine Weile leben. Aktuell arbeite er deshalb nahezu in Vollzeit als Indie-Developer, sagt er. Früher lautete das Sprichwort: vom Tellerwäscher zum Millionär. Heute müsste es "Vom Hobbyprogrammierer zum Downloads-Millionär" heißen.

Erfolgreich mit "Structured": App-Entwickler Leonard Mehlig

(Bild: mki)

Dass die in Swift geschriebene Applikation mal diesen Weg nehmen würde, davon ahnte er beim Schreiben der ersten Codezeilen noch nichts. Am Anfang stand stattdessen das, was in vielen erfolgreichen Entwicklergeschichten eine Rolle spielt: der Eigenbedarf. "Ich habe bei Kommilitonen gesehen, wie sie sich in Prüfungsphase, wenn mehrere Prüfungen anstanden, auf Zettel aufgeschrieben haben, was sie lernen müssen. Dort haben sie dann Häkchen dran gemacht." So plante das Leo auch – aber er wollte lieber eine digitale Lösung. "Auf Anhieb habe ich aber nichts Gutes dafür gefunden."

Also schrieb er die erste Version von "Structured". Die App ist eine Mischung aus Kalender und To-do-Liste, sagt er, wobei der Fokus auf dem einzelnen Tag liegt. Dazu übernimmt die App in ihrer aktuellen Version automatisch Kalenderdaten und Erinnerungen aus Apples System-Apps und baut daraus einen Zeitstrahl. Zwischen den einzelnen Zeitpunkten gibt es sogenannte Timeboxen, Zeitfenster, die einem zum Beispiel zeigen, wo noch Potenziale für das Erledigen weiterer Aufgaben sind.

Die App entstand zunächst abends, nach der Uni oder nach Feierabend in seinem Werkstudentenjob. "Die allererste Version hatte nur wenig Features", erinnert er sich. Die Priorität lag darauf, die App erst mal schnellstmöglich zu veröffentlichen. "Ich wollte immer schon eine eigene App." Am Anfang gab es auch keine Bezahlfunktion und damit kein Geschäftsmodell. Die Möglichkeit, in der kostenlosen App für knapp 10 Euro weitere Funktionen dazu zu buchen, fügte er erst später hinzu.

Denn was Leo nicht vorhergesehen hatte: Die App verselbstständigte sich. "Anscheinend suchten viele nach Tagesplanern. Und so ging die App in den Suchergebnissen immer weiter nach oben", erzählt Leo. Davon sei er "total überrascht" gewesen, legte aber schnell nach und schrieb neue Funktionen. Freiwillige Helferinnen und Helfer unterstützten ihn dabei, die App in fast 30 Sprachen zu übersetzen. Das Programm kommt unter anderem auch bei Menschen mit Autismus sehr gut an, da sie ihnen hilft, fokussiert zu bleiben. Auch das war eine Überraschung, die ihm erst mit den Bewertungen im App Store und Feedback-Mails klar wurde.

Die App "Structured" von Leo Mehlig

Und dann klopfte plötzlich Apple an die Tür. Für Leo war es nicht der erste Kontakt, denn zuvor war er schon drei Mal Stipendiat der Entwicklerkonferenz WWDC. Im Jahr 2015 wurde er das erste Mal hierzu eingeladen. Vor vier Jahren rief der US-Konzern das App Store Foundations Programm ins Leben. In der mittlerweile auf 29 Länder ausgeweiteten Initiative gibt der Betreiber des App-Stores Entwicklern Hilfestellungen. Leo berichtet zum Beispiel von Workshops, in denen es darum ging, wie eine App im App Store besser präsentiert werden kann. Es gab aber auch Verbesserungsvorschläge für das Programm selbst. "Das war sehr hilfreich."

Andere Entwicklerinnen und Entwickler wie Stephanie Burgeois aus Frankreich, die mit ihrem 15-köpfigen Team die Englisch-Lern-App "Holy Owly" erschaffen hat, erzählen, dass Apple zum Beispiel beim sogenannten Onboarding half. Also jenen Bildschirmseiten, die einen neuen Nutzer in der App willkommen heißen, mit ihrer Bedienung vertraut machen und im besten Fall davon überzeugen, einen Account anzulegen. Der spanische Spieleentwickler Sergio Abril, der zusammen mit seinem Bruder vom Architekturstudium als Quereinsteiger zum Programmieren kam, hatte derweil keine Vorstellung davon, was es bei der Veröffentlichung einer App zu beachten gilt. Auch ihm wurde im direkten Gespräch geholfen. Beide sind ebenfalls mit ihren Apps im Gründer-Porträt zu finden.

Was nach einer milden Gabe klingt, dient Apple bei der Reputation und beim Verdienst. Gerade die kleinen Entwickler hatten sich angesichts der Professionalisierung des App-Marktes wiederholt öffentlich darüber beklagt, dass der Traum von der "One-Man-Show" als Entwickler ausgeträumt sei und die App-Store-Betreiber wie Apple und Google sich eher für die umsatzträchtigen Apps interessierten.

Das App Store Foundations Programm als Existenzgründer-Förderung, aber auch das App Store Small Business Programm, das Entwicklern unterhalb einer Umsatzschwelle von einer Million Euro eine vergünstigte Verkaufsgebühr für ihre Apps einräumt, sollen diesem Eindruck entgegenwirken. Laut Apple wurden bereits 250 deutsche Entwicklerinnen und Entwickler durch das Foundations Programm gefördert. Ihr Erfolg und ihre Qualifikation sorgen natürlich auch bei Apple für höhere Umsätze.

Für Leo Mehlig geht dieses Abenteuer erst mal weiter. Mit Blick auf iOS 16, das im Herbst erscheint, arbeitet er an einigen neuen Funktionen. Die Widgets im Sperrbildschirm und die einfacheren Möglichkeiten, Kurzbefehle zu integrieren, haben es ihm angetan, lässt er durchblicken. Insgesamt wolle er "Structured" etwas flexibler gestalten.

Fest steht aber: "Structured" bleibt eine One-Man-Show. Bis auf gelegentliche externe Aufträge an Grafikdesigner bleiben Programmierung und Konzeption in einer Hand. "Wenn ich Leute hierfür einstelle, würde das im Moment den Aufwand nur erhöhen", sagt Leo. Und nebenbei bemerkt: Der Quelltext von "Structured" könne selbst noch etwas mehr Struktur vertragen.

(mki)