Globale Sicherheit geht nur gemeinsam!

Der Atomwaffenverbotsvertrag als Lösung für eine echte gemeinsame Sicherheit.

Seit Beginn des völkerrechtwidrigen russischen Angriffs auf die Ukraine und der zunehmenden Eskalation des Krieges ist die nukleare Bedrohung zum ersten Mal seit mehr als 30 Jahren wieder öffentlich wahrnehmbar. Umso wichtiger war deshalb die internationale Staatenkonferenz zum Atomwaffenverbotsvertrag (AVV), die letzten Donnerstag in Wien zu Ende gegangen ist.

Die Notwendigkeit und die Relevanz nuklearer Abrüstung zeigen sich in den Ereignissen und politischen Entscheidungen der letzten Monate. Der Atomwaffenstaat Russland droht in dem bisher konventionell ausgetragenen Ukrainekrieg mit dem Einsatz von Atomwaffen, falls seitens der Nato interventiert wird oder die Existenz des Staates auf dem Spiel steht.

Schon vorher hatten alle neun Atomwaffenstaaten mit einem neuen nuklearen Wettrüsten durch die Modernisierung ihrer Atomwaffen begonnen. Aufrüstung und militärische Drohgebärden nehmen zu; die deutsche Bundesregierung hat mit Hilfe der Opposition im Eiltempo die enorme Summe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr per Grundgesetzänderung bereitgestellt, während Russland erklärt, seine Abschreckungskräfte kampfbereit gemacht zu haben.

Und: Die US-Regierung will erneut US-Atomwaffen auf dem Militärstützpunkt Lakenheath in Großbritannien stationieren. Wir erleben einen Bewaffnungsreflex aller unmittelbar und mittelbar vom Ukraine-Krieg betroffenen Staaten.

In der Friedenslogik entspricht das dem "Mythos der erlösenden Gewalt". In einem Konflikt wie dem Ukraine-Krieg, in dem sich Atomwaffenstaaten gegenüberstehen, ist ein solches Handlungsmuster über alle Maßen gefährlich. Eine Eskalation könnte in einem Atomkrieg und damit in dem Ende unserer Welt, wie wir sie kennen, enden.

Die Bedrohung bleibt, solange Staaten Atomwaffen besitzen

Dieser globalen nuklearen Bedrohung lässt sich nur mit einem vollständigen Verbot von Atomwaffen effektiv begegnen. Denn die Gefahr der atomaren Eskalation, ob beabsichtigt oder aus Versehen, existiert, solange Staaten im Besitz von Atomwaffen sind.

Mit Blick auf die Ukraine ist klar, dass der Atomwaffenverbotsvertrag den Krieg nicht unmittelbar beenden kann. Doch atomwaffenfreie Staaten und die globale Zivilgesellschaft werden durch die Verpflichtung zur Abschaffung von Atomwaffen gestärkt. Der Atomwaffenverbotsvertrag schafft damit einen neuen Diskursraum, den die Atomwaffenstaaten nicht mehr ignorieren können.

Es geht darum, gemeinsam zu handeln. Alle derzeitigen Herausforderungen, wie auch die Klimakrise und die Pandemie, müssen gemeinsam, global, langfristig, und so schnell wie möglich behandelt werden. Noch schneller muss jedoch angesichts des Krieges in der Ukraine und der sich zuspitzenden Eskalationsspirale reagiert werden. Konkrete und schnell umsetzbare Maßnahmen gibt es: De-Alerting und No-First-Use sind dabei zentrale Schlüsselbegriffe.

So versteht man unter De-Alerting die Reduktion der (Alarm)Bereitschaft von Atomstreitkräften durch technische oder bauliche Maßnahmen, z.B. die Versiegelung von Raketensilos oder die De-Montage und die getrennte Lagerung von Atomsprengköpfen und Trägerraketen. Eskalationsschritte können so rückgängig und die Gefahr einer versehentlichen nuklearen Eskalation deutlich reduziert werden. Sowohl Russland als auch die USA sind aufgefordert, ihre ca. 2.000 Atomwaffen aus der Alarmbereitschaft zu nehmen.

Unter einem sogenannten No-First-Use-Abkommen wird eine zwischenstaatliche Vereinbarung verstanden, in dem sich die Atommächte dazu verpflichten, auf einen Ersteinsatz von Atomwaffen zu verzichten. Die Einsicht, dass ein Atomkrieg nie geführt werden sollte und nicht gewonnen werden kann, wurde bereits im Januar 2022 von Russland, den USA, China, UK und Frankreich anerkannt.

Russland und die USA, die über 90 Prozent der weltweit existierenden Atomwaffen besitzen, könnten diese Aussage nun untermauern, indem sie offiziell mit dem Abkommen auf einen Ersteinsatz verzichten würde. Bisher schließen sowohl Russland als auch die Nato bzw. die USA den Ersteinsatz von Atomwaffen in ihren Militärdoktrinen nicht aus. Ein No-first-use-Abkommen wird auch von den Friedensforscher:innen im Friedensgutachten 2022 gefordert: Deutschland, so heißt es im Friedensgutachten, könne erklären, sich nicht an einem Ersteinsatz zu beteiligen.

Als weiteren deeskalierenden Schritt könnte sich Deutschland, gemeinsam mit anderen Nato-Staaten, auf deren Territorium im Rahmen der nuklearen Teilhabe US-Atomwaffen stationiert sind, für eine Vereinbarung mit den USA über den Abzug dieser Waffen aus Europa einsetzen. Länder wie Deutschland, Belgien, Italien und die Niederlande könnten erklären, auf die nukleare Teilhabe verzichten zu wollen.

Im Gegenzug müssten Vertragsverhandlungen mit Russland abgeschlossen werden, damit die russischen Atomwaffendepots in Kaliningrad zurückgebaut und die Atomwaffen aus der Nähe zur ukrainischen Grenze zurückgezogen werden. Mit solchen Vorschlägen könnten die Nato-Länder gegenüber Russland neue übergeordnete Ziele für den Frieden in Europa auf den Verhandlungstisch legen.

Gespräche aller Beteiligten

Die Bundesregierung könnte zudem als Brückenbauerin fungieren, um für eine konstruktive Begleitung des Atomwaffenverbotsvertrages durch die Nato zu werben.

Anstelle nur bilateraler Verhandlungen oder Gespräche, an denen sich nicht alle relevanten Akteure beteiligen, sollten gemeinsame Gespräche aller am Konflikt Beteiligten wieder in den Fokus gerückt werden. Sicherheitsallianzen sollten nicht auf Abgrenzung und Gegenüberstellung abzielen, sondern auf kollektive Ansätze. Anstelle von Misstrauen und Unsicherheit, sollten Vertrauen, nachhaltige Sicherheit und stabile Verhältnisse geschaffen werden.

Momentan scheinen solche Vorschläge, die den Fokus auf gemeinsame übergeordnete Ziele lenken, aufgrund der anhaltenden Kriegslogik und dem Ziel auf beiden Seiten, den Krieg gewinnen zu wollen, schwer umsetzbar. Dennoch sind konkrete Vorschläge für eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa von außerordentlicher Wichtigkeit. Sie geben eine Orientierung dafür, welche Maßnahmen nach einem Waffenstillstand getroffen werden müssen.

Mit der Staatenkonferenz zum Atomwaffenverbotsvertrag letzte Woche in Wien, sendeten 86 Unterzeichnerstaaten, von denen 65 Länder den Atomwaffenverbotsvertrag bereits ratifiziert haben, ein klares Signal an die Atommächte und machten deutlich, dass die Mehrheit der Staaten der Welt den Besitz von und die Drohung mit Atomwaffen nicht länger tolerieren möchte. Sie verurteilten insbesondere die Drohungen mit Atomwaffen und die verschärfte Rhetorik in jüngster Vergangenheit.

Auf mittelfristige und lange Sicht ist der Atomwaffenverbotsvertrag die einzige Antwort auf die Doktrin der nuklearen Abschreckung und eine Garantie für echte gemeinsame Sicherheit.

Dr. Angelika Claußen ist niedergelassene Ärztin und Ko-Vorsitzende der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e. V. (IPPNW) sowie Präsidentin der IPPNW Europa.