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Was war. Was wird.

Schnüffelei hier, Schnüffelei da, nur die Schnüffler, die verschwinden klammheimlich aus dem Internet. War da Paraskavedekatriaphobie am Werk? Oder ist gar Zeit für neue Verschwörungstheorien? Alles halb so schlimm, meint Hal Faber.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Paraskavedekatriaphobie ist überstanden. Trotz verdächtiger Indizien hielten sich die üblichen paraskavedekatriatischen Flames in Grenzen. Die Schweizer ignorierten gar das Datum und versammelten sich zum digitalen Rütli-Schwur und die Nordstadt-Staatler, nach einhelliger Auffassung aller außerhalb des Stadtbereichs angesiedelter Bundesbürger von Phobien nur so geschüttelt, feierten ihre Hansespots im pennerfreien Innenstadt-Bereich. Dort können nun die Wirelesser und Wirelesserinnen für ihr Recht demonstrieren, wie es Toshiba in passenden Anzeigen verkündet: "Freiheit für Computernutzer! Unbeschränktes Wirelessen für alle!". Nun, während Toshiba den Wirelesser als Bürgerrechtler hofiert, würde ihn die Deutsche Bahn eher als Mitesser bezeichnen. Sie hält passend zum Start der Air Mehdorn ein Hotspot-Angebot bereit, das ausschließlich den Fahrgästen der 1. Klasse zugute kommen soll, obwohl die bereits installierten Spots weite Bereiche der Bahnhöfe abdecken. Beginnt der Klassenkampf der mobloggernden Mobs gegen die da oben (wo die Lounges liegen)? Oder reicht es, wenn Hotspots für die erste, Kondome für die zweite Klasse verteilt werden? Der Wlansinn grassiert, in Wiesbaden nicht nur politisch.

*** Für das neue Preissystem der Bahn gibt es politische Gründe und folgerichtig eine politische Begründung: "Ob es die Riesterrente, das Computerprogramm oder die neuen Bahnpreise sind, ihre Güte wird auch gemessen an Kategorien wie Angemessenheit, Verständlichkeit und Zugänglichkeit." Das beruhigt. Verständlich wie ein gutes, vielleicht sogar gut dokumentiertes Computerprogramm müssen die Preise sein, dass sie sogar von Einstein kapiert werden, wie es die Bahnwerbung behauptet. Wenn die Schlangen in den Bahnhöfen am gestrigen Samstag keine Täuschung sind, haben die Kunden die Forderung kapiert und sich schnell noch die alte Bahncard geholt. Durch 2 teilen ist einfacher als das Verplan&Zahl-Programm. Übrigens kommt die neue Verständlichkeit mit einem Obrigkeitsverständnis einher, das aus Einsteins Jugendzeit portiert wurde. Wen hat es gestört, wenn ein interessantes Interview, eine Unterhaltung oder eine Mahlzeit länger dauerte und einfach die nächste Bahn genommen wurde? Vorbei, vorbei, vorbei. Was macht da noch glücklich und nicht Schepper-Bumm? Wenn die reichen VIPs aufs Dach geschnallt werden. Das wollen wir mal sehen.

*** Aber ja doch, es gibt sie, die Tragödie der reichen VIPs, der gut verdienenden Bobos auf diesem Planeten. Da wachen sie eines Tages auf und die Firma ist hin, der IPO ist abgesagt und die Partie vorbei. Die letzten Reste werden versteigert. Manchmal kommen, wie bei Napster geschehen, sogar Sachen unter den Hammer,von denen niemand Ahnung hatte, dass sie angeschafft wurden. Doch was ist, wenn die allgemeine Lage nicht so toll ist und heiße Schlitten, schicke Jachten, scharfe Bräute nicht zu den Options gehören. Was macht ein aufstrebender Informatiker, der in der Heimat bewundert wird und Verständnis für Hacker aufbringt? Er benutzt das Beschaffungsprogramm der Firma, um seine Anschaffungen zu finanzieren. Das Erstaunliche an dem ausgetricksten MS Market, dem IPO-System (sic!) der Firma Microsoft, ist wohl die Tatsache, dass Software im Werte von 9 Millionen versickern konnte, ehe die Tour aufflog. 1.700 verschiedene Software-Produkte, vom dicken Entwicklungspaket bis zur einfachen Windows-Kopie, wurden vom "Dude" auf einem Parkplatz in Seattle vertickert. Das bei einer Firma, die ein eigenes Team auf eBay-Angebote angesetzt hat, jedes angebotene Softwarepaket auf seine Legalität hin zu prüfen. Da weiß man doch, was man Microsoft für das kommende Jahr wünschen kann: Eine Software wie RedAlert mit einem eingebauten CIA-Sysstem (sic!), das die Mitarbeiter identifiziert, die mit gewisser Wahrscheinlichkeit etwas im Schilde führen.

*** Ja, Schnüffelei allenthalben, kleine Lichter und große Konzerne scheinen da die gleichen Bedürfnisse zu entwickeln. Aber bleiben wir noch einmal kurz bei Microsoft. Die Firma verblüffte diese Woche mit dem Satz, dass Sicherheit so aufwendig wie eine Mondlandung sei. Vielleicht war dies als vorgezogener Hinweis auf die Erreichbarkeit mancher Server gemeint, vielleicht auch tiefsinniger, philosophischer. Schließlich verließ gestern vor 30 Jahren der letzte Mensch den Mond. Und die Nachfolger der großen Wettlaufprogramme schaffen es nicht einmal, ihre neue 5-Plus fehlerfrei zu starten. Ja, wenn es so einfach wäre, die vorhandene Software einfach etwas umzustricken, so hätten wir Sicherheit frei Haus und das im Überfluss. So aber leben wir mit im Zustand des Dauerpatch, auf der Erde, unterbrochen von lustigen Versuchen, die Schwerkraft auszutricksen. Im kleinen Maßstab funktionierte das sogar. Da Freeman Dyson heute Geburtstag hat, sollten jetzt ein Ständchen auf den Forscherdrang des Menschen fällig sein.

*** Apropos Schnüffelei, dar war doch mal was: Mitunter entwickelt sich der Forscherdrang in eine Richtung, die unsere Sprache dank unserer Geschichte mit dem üblen Wort vom Blockwart angereichert hat. Vom digitalen Erdboden verschwunden ist John Pointdexter, der Leiter des Projektes zur Total Information Awareness. Noch in den letzten Wochen, als die amerikanische Variante eines Schnüffelstaates in dieser Kolumne besprochen wurde, konnte man im militärischen Teil des Web ausfürliche Biografien von Pointdexter und seiner Crew anklicken. Alle Biografien wurden gelöscht, doch konnten sie von ehrenwerten Bürgern mit Unterstützung von Google gerettet werden. Andere Bürger der Vereinigten Staaten ergänzten die Informationen über Pointdexter. Die Meldung zeigt, wie das ach so anonyme Internet den Menschen dazu bringt, sich um seinen Mitmenschen zu kümmern. Das gilt auch für die bizarre Geschichte des menschenfressenden Computerexperten. Die Vielfalt des Web ist seine Stärke. War da was?

*** Und doch hilft manches Mal alles Schnüffeln nichts. Er verschwand und sie kam wieder -- heute vor 50 Jahren wurde in Dänemark Christine Jorgensen geboren, als Werk der Ärzte und der Natur. Mit dem Mut, sich der Öffentlichkeit zu stellen, wurde Christine zum Vorbild für viele Transsexuelle, die unter dem Terror der geschlechtlichen Identität litten. Maskulin geblieben ist ein anderes Geburtstagskind, der Mathematiker János Bolyai, der die Euklidische Geometrie verließ und Zeit seines Lebens die Frauen mied, aus Angst, er könnte weiblich werden.

Was wird.

Morgen, Kinder, wird's was geben -- und weil viele mit dem Raffen vor dem Geben beschäftigt sind, sieht die Vorschau auf die kommende Woche etwas mau aus. Dabei gibt es morgen tatsächlich einen Grund, sich zu freuen: Mit einer kleinen Feier, einem Jam und ein paar Reden veröffentlicht Creative Commons ihren Vorschlag für den Einsatz maschinenlesbarer Lizenzen, die im Dauerstreit um das geistige Eigentum helfen sollen. Auch bei uns gibt es eine ähnliche Initiative, die in einem Monat Perry Barlow nach Berlin einfliegen lässt. Halten wir an dieser Stelle fest: Ein Recht auf Privatkopie digitaler Daten ist bei immer schneller werdenden Laufwerken technisch notwendig, ein neues Geschäftsmodell ist inhaltlich zwingend und die Frage sollte erlaubt sein, ob der Dumpfsinn vom Steuersong nicht durch andere Überlegungen zur Steuer ersetzt werden könnte. Verbieten sollte man eigentlich nur ein Lied von Wham. (Hal Faber) / (jk)