Kommentar: Von Kernkraft bis Tempolimit – was soll "ideologiefrei" bedeuten?

Bei Kernkraft und Tempolimit sind gerade die, die am lautesten nach "unideologischen Debatten" rufen, sachlichen Argumenten am wenigsten zugänglich.

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AKW Grohnde

(Bild: dpa)

Lesezeit: 3 Min.

Klar, Ideologen sind immer die anderen. Aber gleichmäßig über das politische Spektrum verteilt sind Ideologen deshalb noch lange nicht. Das zeigt sich beispielsweise an der Debatte um Kernkraft und Tempolimit.

Nüchtern betrachtet sollte es in beiden Fällen um eine Abwägung von Aufwand und Ertrag gehen. Bei der Atomenergie ist es so: Ein verzögerter Ausstieg könnte 1 bis 1,2 Prozent des deutschen Gasverbrauchs einsparen. Das entspricht laut Unternehmensberatung Enervis rund 10 Millionen Tonnen CO2 weniger pro Jahr. Wie groß der Aufwand dafür ist, hängt von vielen unübersichtlichen Faktoren wie Sicherheitsgutachten, Personal, Brennstoffbeschaffung und Betriebsstrategie ab. Es gilt viele Argumente abzuklopfen und zu gewichten, und genau darüber gibt es eine breite Debatte – auch innerhalb der Grünen und Fridays for Future.

Wie es aussieht, wenn Argumente ins Ideologische kippen, zeigt hingegen ein Zitat des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz über eine mögliche Laufzeitverlängerung: "Ob mit oder ohne Streckbetrieb ist mir wurscht. Die Dinger müssen weiter laufen." Mit anderen Worten: Ob nun A oder B der Fall ist, meine Entscheidung ist auf jeden Fall C. Lasst mich mit den Details in Ruhe!

Deutlicher kann man kaum ausdrücken, wie wenig man sich für Argumente interessiert. Trotzdem fordert Merz unverdrossen "unideologische Diskussionen".

Ein Kommentar von Gregor Honsel

Gregor Honsel ist seit 2006 TR-Redakteur. Er glaubt, dass viele komplexe Probleme einfache, leichtverständliche, aber falsche Lösungen haben.

Kommen wir zum Tempolimit. Die Einsparung läge laut Umweltbundesamt jährlich bei 1,5 bis 4,3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente (bei Tempo 130 bzw. 100). Das ist zwar erheblich weniger als bei der Laufzeitverlängerung. Dem steht aber ein deutlich geringerer Aufwand entgegen: Lediglich eine Gesetzesänderung und genügend politisches Rückgrat, mal eine Zeitlang das Genöle der Gasfußfraktion auszuhalten. (Diese ist Umfragen zufolge übrigens in der Minderheit, sogar unter ADAC-Mitgliedern.)

Damit zählt das Tempolimit zu den am niedrigsten hängenden Früchten im Kampf gegen den Klimawandel. Warum gibt es hier keine ähnliche Debatte wie bei der Kernkraft? Eben weil die Lage so klar ist. Alle Argumente sind ausgetauscht. Nur die FDP will halt nicht. Trotzdem fordert auch sie, logisch, bei jeder Gelegenheit "unideologische" Diskussionen.

Und hier taucht natürlich wieder Friedrich Merz auf: Er "glaube nicht", dass ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen Energie sparen würde, sagte er auf einer Pressekonferenz. Wieder einmal: Wozu mit Argumenten auseinandersetzen, wenn der persönliche Glaube doch viel bequemer ist? Kann man natürlich machen, aber dann möge man doch bitte aufhören, ständig von angeblichen "Denkverboten" oder "ideologischen Diskussionen" zu faseln.

(grh)