Korruptionsskandal in Chinas Chipbranche

Die Halbleiterindustrie ist für Pekings Zukunft enorm wichtig – doch nun kam es zu spektakulären Verhaftungen.

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(Bild: Dragon Images/Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Zeyi Yang
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Chinas Chipindustrie wurde Ende Juli ins Chaos gestürzt: Mindestens vier Spitzenmanager eines staatlichen Fonds für die Weiterentwicklung der Halbleiterbranche wurden wegen Korruptionsverdacht verhaftet. Nach Ansicht von Analysten und Branchenexperten ist dies das Resultat einer brisanten Entwicklung, die das Land dazu zwingen könnte, seine massiven Investitionen in den Sektor grundlegend zu überdenken.

Doch der Reihe nach: Am 30. Juli gab Chinas oberste Antikorruptionsbehörde bekannt, dass man Ding Wenwu, Geschäftsführer des "China Integrated Circuit Industry Investment Fund" (der auch nur den Spitznamen "Big Fund" trägt, weil er so groß ist) wegen "mutmaßlicher schwerer Verstöße gegen das Gesetz" verhaftet habe. Ding ist nicht die einzige Person, die in juristischen Schwierigkeiten steckt. Vor zwei Wochen wurde auch Lu Jun, ein ehemaliger leitender Angestellter der Verwaltungseinheit des Big Fund, zusammen mit zwei weiteren Fondsmanagern in Gewahrsam genommen, wie das chinesische Nachrichtenportal Caixin berichtet.

Der 2014 gegründete Fonds sollte mit staatlichen Geldern eine vollständige Lieferkette für in China hergestellte Chips aufbauen und so die Abhängigkeit von den USA und ihren Verbündeten verringern, die nach wie vor Kerntechniken kontrollieren. Der Geldtopf steht beispielhaft für die Art und Weise, wie die chinesische Regierung ihr ganzes Gewicht auf eine strategische Branche – in diesem Fall die Halbleiterindustrie – legen kann.

Acht Jahre später sind insgesamt 30 Milliarden Dollar in die Branche geflossen – und weitere 20 Milliarden Dollar sind auf dem Weg. Resultat ist eine komplexe Mischung aus Erfolgen und Misserfolgen. Die Tatsache, dass der Fonds von einer politischen Mission und nicht von finanziellen Interessen geleitet wurde, machte ihn anfällig für Korruption. Analysten meinen, dass die jüngsten Ermittlungen China dazu veranlassen könnten, die Finanzierung der Halbleiterindustrie mit deutlich mehr Genauigkeit und vor allem Fachwissen durchzuführen.

Die Idee des Big Fund war es, Geld in Bereiche der Branche fließen zu lassen, die auf herkömmlichen Wegen wie Risikokapital keine Finanzierung erhalten. Die erste Runde in Höhe von 20 Milliarden Dollar im Jahr 2014 richtete sich nicht an Start-ups, sondern an börsennotierte Unternehmen und deren Tochtergesellschaften, die häufig in den Bereichen Halbleitergrundmaterialien und deren Herstellung tätig sind, so Rui Ma, Tech-Analyst und Moderator des Podcasts "Tech Buzz China". Für diese Unternehmen ist es schwieriger, Geld in diesem Bereich zu verdienen, da jeder echte Fortschritt in der Chipherstellung einen langen Atem und erhebliche Investitionen in die Forschung erfordert. Daher sind diese Märkte für Risikokapitalgeber weniger attraktiv, sagt Ma.

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Der Big Fund war wohl seiner Zeit voraus. Im Jahr 2014 beschloss die chinesische Zentralregierung, die Lücke in der Chipherstellung mit öffentlichen Mitteln zu schließen, und mehrere Stadtregierungen begannen, mit kleineren Fonds zu experimentieren. Aber erst 2019, als die USA dem Telekomriesen Huawei den Zugang zu Chips, die mit US-Technologien hergestellt wurden, verwehrten, wurde die Sache dringend. Die Halbleiterindustrie ist traditionell auf globale Lieferketten angewiesen. Chinesische Technologieunternehmen sind daher von ausländischen Zulieferern wie TSMC aus Taiwan, Samsung aus Korea oder ASML aus den Niederlanden abhängig. Alle diese Länder sind Verbündete der USA.

Die Dringlichkeit hat sich in den letzten Monaten und Jahren noch verschärft: Die USA erschweren Chinas Zugang zu fortschrittlichen Chiptechnologien zunehmend und haben ASML aufgefordert, sogar den Export älterer Fotolithografiemaschinen nach China einzustellen. Das macht den Big Fund und das damit verbundene Streben nach Autarkie immer wichtiger.

Die chinesische Regierung hat den genauen Grund, warum nun gegen Ding und andere Personen ermittelt wird, bislang nicht bekannt gegeben. Die meisten Medien und Analysten bringen den Fall jedoch mit einer Reihe von Korruptionsermittlungen im Zusammenhang mit der Tsinghua Unigroup in Verbindung, einem Halbleiterunternehmen, in das der Big Fund investiert hat – und das in den letzten Jahren spektakulär gescheitert ist.

Tsinghua Unigroup wurde 1988 gegründet und ist einer der ältesten Chiphersteller in China. Das Unternehmen machte 2015 Schlagzeilen, als sein Plan, das amerikanische Unternehmen Micron Technologies zu übernehmen, von der US-Regierung blockiert wurde. Viele seiner ehrgeizigen Akquisitionen wurden vom Big Fund unterstützt, der mindestens 2 Milliarden US-Dollar in Unigroup und seine Tochtergesellschaften investierte, um die Waferherstellung, neue Flash-Speicherchips und 5G-Funktechnik zu entwickeln.

Doch dieser Moloch stand schließlich 2021 vor dem Konkurs. Im Juli 2022 wurde gegen drei ehemalige oder derzeitige Führungskräfte, darunter der seit 13 Jahren amtierende Vorstandsvorsitzende, wegen Korruptionsvorwürfen ermittelt, obwohl bisher keine öffentlichen Anklagen erhoben wurden.

Es bleibt unklar, ob das Scheitern der Gruppe direkt das Anti-Korruptionsbeben innerhalb des Big Fund ausgelöst hat. Die dort verfolgte Strategie – Ideen mit viel Geld zu finanzieren, ohne dass klar ist, wie erfolgreich sie sind – kann kläglich scheitern. Langjährigen Beobachtern zufolge ist diese Strategie zudem der perfekte Nährboden für Korruption.

"Dies ist die am wenigsten überraschende Korruptionsermittlung, von der ich seit langem gehört habe", sagt Matt Sheehan, Fellow bei der amerikanischen Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace. "Nicht, weil ich wüsste, dass Ding Wenwu persönlich korrupt ist. Aber wenn so viel Geld in einer Branche herumschwappt, wäre es fast die größere Überraschung, wenn es nicht zu einem Korruptionsskandal kommt."

Ein wesentlicher Teil des Problems war ein Mangel an Präzision bei der Umsetzung, sagt Sheehan. China wusste, dass es in Halbleiter investieren muss, aber es wusste nicht genau, welcher Teilbranche oder welchem Unternehmen es den Vorrang geben sollte.

China war also gezwungen, durch Versuch und Irrtum zu lernen und sich durch Probleme wie den Konkurs der Tsinghua Unigroup und die zunehmenden Sanktionen durch die USA einfach durchzukämpfen. Der nächste Schritt sollten gezieltere Geldvergaben an bestimmte Unternehmen sein, sagt Sheehan.

Das könnte einen neuen Chef für den Big Fund bedeuten – jemanden, der sich besser mit dem Geldverdienen auskennt, meint Paul Triolo, Senior VP bei der Strategieberatung Albright Stonebridge, die in China tätige Unternehmen unterstützt. Viele der Manager des Big Fund kamen aus der KP und hatten vielleicht einfach nicht die nötige Erfahrung, meint er. Ding, gegen den jetzt ermittelt wird, war früher "nur" Abteilungsleiter im chinesischen Ministerium für Industrie und Informationstechnologie.

"Man braucht kompetente Leute, um einen solchen [großen Fonds] zu leiten, die sich in der Branche und im Finanzwesen auskennen und Projekte nur finanzieren, wenn sie solide wirtschaftliche Grundlagen haben", sagt Triolo.

Letztendlich könnten sich die Untersuchung also als verzögert positiv für Chinas Halbleiterindustrie erweisen, da sie die Grenzen der politisch gesteuerten Finanzierung aufzeigt – und den Big Fund zu einer stärker marktorientierten Verwaltung drängen könnte. Pekings Appetit auf Experimente nimmt in dem Maße ab, wie die Sorge um die Chip-Autarkie wächst. "Sie können es sich nicht leisten, weitere 5 Milliarden Dollar für Fabriken zu verschwenden, die nicht lebensfähig sind", sagt Berater Triolo.

(bsc)