"Keine Science-Fiction": ESA will weltraumgestützte Solarenergie erforschen

Die ESA schlägt den Einstieg in die weltraumgestützte Gewinnung von Solarenergie vor, um die Klimaziele der EU zu erreichen. Kosten und Risiken sind aber hoch.

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(Bild: Skylines/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.

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Die Europäische Weltraumagentur (ESA) bringt zur Erreichung der EU-Klimaziele den Ausbau weltraumgestützter Solarenergie ins Spiel. Damit Europa das Ziel erreichen kann, bis 2050 keine Treibhausgase mehr auszustoßen, will die ESA ihren Mitgliedern noch in diesem Jahr ein neues Programm namens "Solaris" vorschlagen. Das soll die Gewinnung von "Space Based Solar Power" (SBSP) mit Studien und der Entwicklung von Technologien vorbereiten.

Zwei Analysen von Beratungsfirmen, die die ESA jetzt veröffentlicht hat, messen der Gewinnung von Solarenergie im Weltraum ein riesiges Potenzial zu. Dank der Technik könnten ab 2050 jährlich 800 Terawattstunden (TWh) sauberere Grundlastenergie aus dem All kommen, meint das Beratungsunternehmen Frazer-Nash. Das entspricht etwa einem Drittel des gesamten Stroms, der 2020 in der Europäischen Union erzeugt wurde.

Space Based Solar Power (SBSP) sei eine vielversprechende Lösung für das Grundlast-Problem der erneuerbaren Energieträger, meint die ESA: Wind- und Solarenergie sind abhängig davon, dass der Wind weht oder die Sonne scheint. Im All scheint die Sonne immer: Hier wird Solarenergie gewonnen, indem man Satelliten mit großen Solarpaneelen im Orbit positioniert. Die wandeln Sonnenstrahlung kontinuierlich in Elektrizität und schicken sie etwa über Mikrowellen auf die Erde, wo sie rund um die Uhr als Grundlastenergie zur Verfügung stünde. Technisch sind die grundlegenden Fragen geklärt, heißt es in den Studien, aber der Aufwand, die Kosten und die Risiken seien enorm.

Das Beratungsunternehmen Frazer-Nash hat in seiner Analyse gleich mehrere Vorteile zusammengetragen, die ein umfangreicher Einstieg in SBSP mit sich bringen würde. So könnten damit Öl, Gas, Festbrennstoffe und teilweise sogar Kernenergie aus Europas Energiemix verdrängt werden. Europas Importabhängigkeit bei der Stromerzeugung könnte mit 20 Satelliten – die um Größenordnungen größer wären als selbst die Internationale Raumstation ISS – bis 2050 auf Null reduziert werden.

Kosten von 418 Milliarden Euro bei einer Nutzung bis 2070 stünden Einsparungen und finanzielle Vorteile von 601 Milliarden Euro gegenüber. Allein für Deutschland beliefe sich der Nettonutzen zwischen 2040 und 2070 bei einem umfangreichen Einstieg auf 70 Milliarden Euro.

Zugleich entstünde eine weltweit konkurrenzfähige Raumfahrtindustrie. Für die Energiegewinnung mit Satelliten wird eine eigene wiederverwendbare Schwerlastrakete benötigt, wie die US-Firma SpaceX sie aktuell mit dem Starship entwickelt. Die müsste zum Aufbau des Systems mehr als einmal pro Woche starten. Dass das theoretisch zumindest möglich ist, hat SpaceX mit seiner Falcon 9 unter Beweis gestellt.

Schwierig wäre es hierzulande, passende Standorte für die Anlagen zu finden, wohin der Strom übertragen werden kann. Dafür seien jeweils 70 km2 Fläche nötig, die gebe es zumeist im Nordwesten, wo auch verstärkt Windkraftwerke gebaut werden. Durch eine Doppelnutzung, etwa mit Landwirtschaft, ließe sich das aber beheben, meinen die Experten.

Auch in der zweiten Studie aus dem Haus Roland Berger heißt es, dass SBSP ein hohes Potenzial habe, eine wettbewerbsfähige erneuerbare Technologie zu werden. Noch stünden dem aber die relativ hohen Vorlaufkosten und die Skepsis auf der Entscheidungsebene gegenüber. Europa biete sich hier aber die Gelegenheit, "Technologieführerschaft in den damit verbundenen Bereichen zu erwerben".

Auch Roland Berger verweist auf den Nutzen wiederverwendbarer Schwerlast-Trägerraketen. Vor allem in einer ersten "Technologieentwicklung- und Entwurfsphase" sei das Risiko aber gering. Erst der Aufbau werde dann teurer und riskant, das wäre aber erst nach 2035 der Fall.

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Dieser zweiten Studie zufolge könnten weltraumgestützte Solarenergie schon bei einer ersten Anlage auf Herstellungskosten von 69 Euro pro Megawattstunde (MWh) kommen, später seien 49 €/MWh möglich. Das läge im Bereich anderer erneuerbarer Energien und deutlich unter der Kernkraft (91 €/MWh), SBSP könne als also wettbewerbsfähig sein. Außerdem habe das System das Potenzial, "das ganze Jahr über mit geringen Unterbrechungen und ohne direkte Treibhausgasemissionen grünen Strom zu erzeugen". Nach vorbereitenden Arbeiten bis 2035 müsste dann ein groß angelegtes Programm beginnen. Das könnte zum größten Energieprojekt werden, das die Menschheit je in Angriff genommen hat. Beide Berichte sind in deutscher Sprache als Zusammenfassungen und komplett online abrufbar.

Erforscht wird das Konzept bereits seit Jahren in den USA und in China. So will das California Institute of Technology (Caltech) bald den Prototypen eines Satelliten für SBSP im All testen. Im Frühjahr war es dem US-amerikanischen Naval Research Laboratorys gelungen, Strom über eine Entfernung von einem Kilometer drahtlos zu übertragen. Noch befindet sich das alles aber in seinen Anfängen, bei der ESA ist man jetzt der Meinung, mit entsprechender finanzieller Ausstattung aufholen zu können. Ob die Mitgliedsstaaten dem folgen und das gewünschte Geld beisteuern, wird sich im November zeigen. Dann findet das ESA-Ministertreffen statt.

(mho)