Koalitionsstreit: Faeser will für Vorratsspeicherung von IP-Adressen kämpfen

Bundesinnenministerin Faeser sieht sich mit dem EuGH-Urteil gegen eine allgemeine Vorratsdatenspeicherung gestärkt. Sie sucht die Fehde mit dem Rest der Ampel.

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(Bild: asharkyu/Shutterstock.com)

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Die künftige Linie der Ampel-Koalition zum Protokollieren von Nutzerspuren im Internet birgt gewaltigen Sprengstoff für das Regierungsbündnis. So hält Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gegen eine allgemeine Vorratsdatenspeicherung unerbittlich an ihrer Forderung fest, zumindest IP-Adressen weiterhin anlasslos für einen gewissen Zeitraum aufzubewahren. Grüne und FDP drängen dagegen darauf, Verbindungs- und Standortdaten nur noch im Verdachtsfall quasi einzufrieren ("Quick Freeze").

Faeser betonte am Dienstag: "Ausdrücklich hat der Europäische Gerichtshof entschieden: IP-Adressen dürfen gespeichert werden, um schwere Kriminalität bekämpfen zu können." Zudem gestatte der EuGH gezielte Speicheranordnungen für Orte wie Flughäfen oder Bahnhöfe und für Gegenden mit einer hohen Kriminalitätsbelastung. Für die Sozialdemokratin steht damit fest: "Die damit eröffneten rechtlichen Möglichkeiten müssen wir nutzen, um bei der Bekämpfung von organisierter Kriminalität, von extremistischen und terroristischen Bedrohungen und anderen schweren Straftaten konsequent handeln zu können."

Zuvor hatte es Mahnungen auch aus SPD-Kreisen gegeben, Faeser solle den "gescheiterten Kult" und die "verfehlte Ideologie ihrer Vorgänger" im Innenministerium stoppen und sich für Verbrechensopfer einsetzen. "Das ist für mich keine ideologische Frage", hielt die Ressortchefin nun dagegen. "Ich will keine alten Debatten führen, sondern pragmatisch handeln. Der Koalitionsvertrag knüpft an die heutige EuGH-Entscheidung an – und gibt uns daher den Raum, das, was zulässig und dringend notwendig ist, auch umzusetzen."

Dabei sei ihr "die entschiedene Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder besonders wichtig", hob Faeser hervor. "Die Speicherung der Daten, mit denen wir Täter identifizieren können, ist unbedingt erforderlich – und nach dem heutigen Urteil zulässig." Auch wenn Strafverfolger hierzulande Hinweisen auf sexuellen Missbrauch nur im Bereich weniger Prozent aufgrund fehlender IP-Adressen nicht nachgehen könnten, sei hier jeder Fall einer zu viel: "Die Opfer haben das Recht, dass die Tat zumindest aufgeklärt wird."

Die Innenministerin verwies auch auf ein Online-Forum mit viel Hass und Hetze gegen Migranten mit rund 500 Einträgen von Usern. Davon habe die Polizei nur 2 aufklären können, die vom Täter des Terroranschlags in Hanau gestammt hätten. Dies sei ein weiterer Grund dafür, wieso sie so stark für die IP-Adressenspeicherung auf Vorrat kämpfe.

Wie lange Anbieter die Nutzerkennungen aufbewahren sollen, ließ Faeser zunächst offen. Zu einer möglichen Speicherfrist habe der EuGH aktuell nichts gesagt. Die Behörden bräuchten aber einen gewissen Spielraum wie etwa "wenige Wochen, damit wir die Täter noch ermitteln können".

Vertreter der Konservativen überschlugen sich derweil am Dienstag regelrecht mit Rufen nach einer auf IP-Adressen beschränkten Vorratsdatenspeicherung. Die Bundesregierung habe nun keine Ausrede mehr, unterstrich die Vize-Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Andrea Lindholz. "Jahrelang haben sich SPD, Grüne und FDP hinter dem ausstehenden Urteil verschanzt. Sie haben so tausende ungeklärte Missbrauchsfälle in Kauf genommen. Das muss mit dem heutigen Tag ein Ende haben." Umgehend nötig sei eine "sechsmonatige Speicherung von IP-Adressen zur Bekämpfung von sexuellem Kindesmissbrauch".

Der Innenexperte der Unionsfraktion, Alexander Throm, und sein für Rechtspolitik zuständiger Kollege Günter Krings äußerten sich ähnlich. Den Rücken stärkten Faeser auch die Unions-Innenminister der Bundesländer, erklärte ihr Sprecher, Hessens Chef des Innenressorts, Peter Beuth (CDU). Die Bundesnetzagentur solle angewiesen werden, die Speicherung von IP-Adressen zumindest für die Dauer von zehn Wochen bei den Telekommunikationsanbietern zu ermöglichen. In Bayern unterstützte auch Justizminister Georg Eisenreich (CSU) diesen Appell.

Das Ampel-Bündnis hat vereinbart: "Angesichts der gegenwärtigen rechtlichen Unsicherheit, des bevorstehenden Urteils des Europäischen Gerichtshofs und der daraus resultierenden sicherheitspolitischen Herausforderungen werden wir die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten, dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können."

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) kündigte am Dienstag an, die Bundesregierung werde die anlasslose Vorratsdatenspeicherung "nun zügig und endgültig aus dem Gesetz streichen". Faeser sagte, sie habe im Vorfeld des Urteils mit dem Liberalen zusammengesessen. Es sei verabredet worden, diesen Dialog zeitnah fortzusetzen.

Der Verein Digitale Gesellschaft schreibt in einer Stellungnahme, die EuGH-Einschätzung, wonach der schwere Eingriff in die Grundrechtecharta durch eine Speicherung der IP-Adressen gerechtfertigt sein könne, stehe auf sehr tönernen Füßen. Die Luxemburger Richter folgten hier der Behauptung der Mitgliedsstaaten, dass für im Internet begangene Straftaten die Ermittlung der Nutzerkennung der einzige Anhaltspunkt für das Einschreiten der Behörden sein könne. Dies sei statistisch nicht belegbar. Bei anderen personellen wie fachlichen Möglichkeiten gebe es gerade hierzulande noch Luft nach oben.

Das Auftreten der Bundesinnenministerin zeigt für die Digitale Gesellschaft, "dass maßgebliche Teile der deutschen Innenpolitik und insbesondere auch der Ampelkoalition weiter eine Politik betreiben wollen, die das europa- und verfassungsrechtlich gerade noch Vertretbare voll ausreizen". Faeser & Co. seien im Namen einer Law-and-Order-Politik eher bereit, erneut ein jahrelanges Gezerre vor den Gerichten in Kauf zu nehmen, als endlich eine den Grundrechten der Bevölkerung verpflichtete Politik zu betreiben. Der digitalpolitische Verein Load mahnte Faeser, "ihr Störfeuer einzustellen".

"Nach zwei Anläufen bei der Vorratsdatenspeicherung darf es nun keinesfalls einen weiteren Schnellschuss geben, der vor dem EuGH erneut keinen Bestand hat", verlangte Jürgen Grützner vom Telekommunikationsverband VATM. "Gerade in dieser heiklen Frage muss es eine gesamteuropäische Lösung geben und keinen nächsten deutschen Alleingang. Dies würde erneut große Planungsunsicherheit für die Unternehmen und mögliche Investoren bedeuten." Der Bundesverband Breitbandkommunikation (Breko) erwartete, "dass die Bundesregierung mit einem verhältnismäßigen und unter angemessenem Aufwand umsetzbaren Vorschlag auf die Telekommunikationsbranche zukommt und diesen ergebnisoffen diskutiert".

(mho)