Fahnenflucht: "Es ist ein Mittel gegen den Krieg"

Nicht Mitspielen ist in diesem Krieg keine Schande – im Gegenteil. Symbolbild: Martina Nolte, Lizenz: Creative Commons BY-SA-3.0 DE

Rekrutierungen in Russland: Wer hilft Männern, die mit den Füßen gegen den Krieg abstimmen? Ein Gespräch mit Rudi Friedrich von der Organisation Connection e. V., die sich weltweit für dieses Recht einsetzt.

Die Organisation Connection e.V. engagiert sich international für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure und wendet sich weltweit gegen einen Zwangsdienst beim Militär. Infolge der Mobilmachung in Russland für den Ukraine-Krieg leistet sie viel Beratungsarbeit für Betroffene, die in diesem Konflikt zwangsweise mitkämpfen sollen. Telepolis sprach mit Connection-Geschäftsführer Rudi Friedrich.

Die Bundesregierung hat jetzt ihre Bereitschaft erklärt, zur Armee eingezogene Russen in Deutschland als politische Flüchtlinge aufzunehmen. Können dann Russen, die von einer Einberufung bedroht sind, in Deutschland Asyl beantragen?

Rudi Friedrich: Die Erklärung des Bundesinnenministeriums bezieht sich ausschließlich auf Deserteure aus Russland, nicht auf Kriegsdienstverweigerer. Das muss man voneinander abgrenzen. Unter Kriegsdienstverweigerern versteht man in der Regel Leute, die wehrpflichtig sind, aber gegenüber den Behörden den Kriegsdienst an der Waffe verweigern.

Das geht in Russland so ungefähr bis 18 und diese Leute sind von der Erklärung der Bundesregierung nicht betroffen. Deserteure sind nur Leute, die schon eine Einberufung erhalten haben oder im Militär sind und sich dann absetzen.

Und was sind die Russen, die jetzt ins Ausland flüchten?

Rudi Friedrich: Diese entziehen sich dem Militärdienst. Sie sagen, mir droht eine Rekrutierung und dann möglicherweise der Kriegseinsatz. Ich haue lieber ab, bevor der Einberufungsbefehl kommt. Nur wenige von ihnen, ein kleiner Teil, der schon die Einberufung erhalten hat, sind Deserteure.

Werden sie dann als politische Flüchtlinge anerkannt und erhalten Asyl?

Rudi Friedrich: Eine Erklärung des Bundesinnenministeriums – schon vom April oder Mai diesen Jahres – gilt nur für Deserteure, die das nachweisen können. Die erhalten einen Flüchtlingsschutz. Das ist schon seit einigen Monaten so.

Damals stand in der Erklärung, dass das nicht für das normale "Einziehen" zum Militärdienst gilt. Hier stellt sich nun die Frage: Wie gehen die Behörden nun mit den Asylanträgen der Leute, die sich dem Militärdienst entziehen, um? Sie können ja eine bevorstehende Einberufung nicht nachweisen. Ich denke, es ist notwendig, dass sie einen Flüchtlingsstatus bekommen.

Gibt es Erklärungen anderer EU-Staaten, diese Menschen aufzunehmen?

Rudi Friedrich: Dazu ist mir nichts bekannt. Es gibt ja auf EU-Ebene sehr kontroverse Diskussionen darüber. Einige Länder wollen russische Deserteure oder Verweigerer auf gar keinen Fall aufnehmen, andere schon. Ich bin gespannt, wie sich die Diskussion entwickelt. Ich halte sie für notwendig. Was die Kriegsverweigerung und Desertieren angeht: Es ist ein Mittel gegen den Krieg. Wenn man den Krieg ablehnt, ist das eine Handlungsmöglichkeit. Diese muss unterstützt werden.

Wer fragt bei Ihnen aktuell um Hilfe nach?

Rudi Friedrich: Zum Teil die Betroffenen selbst aus Russland, aber in den meisten Fällen Angehörige, Verwandte, Bekannte, Freunde. Sie fragen zum einen, wie man aus Russland heraus kommt und wie es nach einer erfolgreichen Flucht weitergeht.Welche Möglichkeiten es gibt, ins westliche Ausland zu kommen. Hier spielen die Visaregeln eine große Rolle. Und natürlich beschäftigt sie die Frage, haben sie bei einem Asylantrag überhaupt Chancen auf einen Flüchtlingsstatus.

"Die meisten, die hier sind, hatten einfach ein Visum"

Viele Wege für Russen nach Deutschland sind versperrt, die EU-Staaten an der Ostgrenze lassen keine Russen einreisen, direkte Flugverbindungen gibt es nicht mehr. Sind denn dann überhaupt schon Flüchtlinge in Deutschland angekommen?

Rudi Friedrich: Die meisten, die hier sind, hatten einfach ein Visum. Etwa ein Studentenvisum für ein Gastsemester oder sie sind über Bekannte eingereist. Sie wurden oft überrascht vom Krieg und jetzt von der Mobilisierung. Das Visum oder der Pass laufen ab und sie fragen sich, wie es nun weitergehen soll.

Wie informieren Sie sich über die Lage in Russland?

Rudi Friedrich: Es gibt eine in Sankt Petersburg gegründete Bewegung für Kriegsdienstverweigerung. Vor sieben Jahren haben sie ihren Sitz nach Estland verlegt und arbeiten von dort aus. Die Organisation bietet sehr viele seriöse Informationen online an, wie man in Russland den Rekrutierungen entgehen kann oder wie Kriegsdienstverweigerung geregelt ist. Das sind Informationen, die viele dort nicht kennen, wobei es durchaus Optionen gäbe, sich der aktuellen Rekrutierung legal zu entziehen.

Aber werden die Regeln vom russischen Staat denn noch eingehalten? Es gibt ja in Russland Berichte, dass sogar Leute als vermeintliche Reservisten eingezogen werden, die gar keinen Wehrdienst abgeleistet haben oder die über das Alter der Mobilmachung schon hinaus sind.

Rudi Friedrich: Ja, das kommt vor. Inwieweit quasi "wild" rekrutiert wird, also Leute etwa an der Arbeitsstelle einberufen werden oder dergleichen, weiß ich nicht. Dafür gibt es zu wenige Berichte. Aber die Militärkommissare versuchen seit Monaten nicht legale Wege zu finden, Einberufungsbefehle zuzustellen.

Wie läuft das?

Rudi Friedrich: Leute werden per E-Mail oder Messenger-Dienste aufgefordert, ins Militärkommissariat zu kommen. Dort hinzugehen, war keine gute Idee, schon in den letzten Monaten, weil sie wurden sofort rekrutiert wurden – alles in einem Aufwasch. Wie das aktuell ist, weiß ich nicht, aber der Druck ist natürlich größer geworden und die Wahrscheinlichkeit, dass da auch die russischen Gesetze nicht eingehalten werden, ist recht groß.

Ukrainer, die nicht zum Militär wollen, sind hier "erst einmal sicher"

Sie betreuen im Ukraine-Krieg ja nicht nur Kriegsdienstverweigerer und Deserteure auf russischer Seite, sondern auch solche auf der ukrainischen. Wie ist dort die aktuelle Lage?

Rudi Friedrich: Sie ist dort sehr anders, da es das humanitäre Aufenthaltsrecht allgemein für ukrainische Flüchtlinge gibt. Auch für die Männer. So ist es nicht entscheidend, ob sie Asyl bekommen, ihr Status hier ist erst einmal sicher.

Gibt es in der Ukraine ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung?

Rudi Friedrich: Es wurde ausgesetzt, es existiert nicht mehr. Spannend wird es, wenn in zweieinhalb Jahren der humanitäre Aufenthalt auslaufen sollte. So lange sind die Menschen hier sicher.

Zurück zu den russischen Flüchtlingen vor der Rekrutierung. In der deutschen Diskussion ist immer wieder zu hören, wer in Russland gegen den Krieg ist, der sollte dort bleiben und an einem Sturz der Regierung arbeiten, anstatt zu flüchten. Was meinen Sie zu dieser Auffassung?

"Es ist bereits eine Handlung gegen den Krieg"

Rudi Friedrich: Das finde ich einfach nur zynisch. Sich dem Dienst zu entziehen, dem Militärdienst, ist bereits eine oppositionelle Handlung gegen das Militär. Es ist bereits eine Handlung gegen den Krieg und insofern unbedingt zu unterstützen.

Ich erlebe hier, dass russischen Menschen alle möglichen Sachen angedichtet werden. Ich spüre ein Feindbild, anstatt einfach zu sagen: Es ist toll, dass die Leute nicht im Krieg kämpfen wollen. Sie brauchen unsere Hilfe und wir sollten sie ihnen auch geben.

Connection e.V. setzt sich aktiv für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ein. Die Organisation unterstützt verfolgte Kriegsverweigerer und kooperiert international mit Gruppen und Organisationen, die sich in ihren Ländern gegen Krieg, Militär und Wehrpflicht engagieren.