Costa Rica rettet Deutschland

Boca Tapada, Costa Rica, Bild: Zdeněk Macháček/Unsplash

Mediensplitter (13): Mittelmaß und Wahn; die Nationalmannschaft ist zwar noch nicht ganz im Halbfinale, hat aber Chancen, die Vorrunde zu überstehen.

Etwas reißt./ Eine endlose Segeltuchbahn,/ ein schneeweißer Leinwandstreifen,
der erst langsam,/ dann rascher und immer rascher/ und fauchend entzweireißt.
Das ist der Anfang.
Hört ihr? Hört ihr es nicht? Haltet euch fest!

Hans Magnus Enzensberger: "Der Untergang der Titanic"

Auch im zweiten Vorrundenspiel hat die deutsche Fußballnationalmannschaft nicht gewinnen können. Immerhin ein respektables, sicher glückliches, aber ein nach dem Spielverlauf verdientes 1:1 holte man gegen die favorisierten Spanier heraus.

Der eigentliche Sieg des Tages war das unerwartete 1:0 von Costa Rica gegen Deutschland-Bezwinger Japan. Erst damit waren die zaudernden Kicker aus deutschen Landen vom übermächtigen Druck erlöst, gegen Spanien gewinnen zu müssen, um im letzten Spiel mehr als eine hauchdünne Chance zu haben.

Plötzlich hat von drei Mannschaften nur eine, nämlich Spanien, mehr als 3 Punkte und die Deutschen somit noch alle Chancen, sich am letzten Vorrundenspieltag mit einem Sieg über Costa Rica doch noch selbst aus dem Sumpf des Versagens zu ziehen und durch das Überstehen der Vorrunde und den Einzug ins Achtelfinale halbwegs respektabel abzuschneiden.

Aber noch ist das zweite Vorrundenscheitern nach 2018 möglich.

Deutsche Fußballmythen

Ob es nun psychologisch gut oder ungut war, dass die Deutschen wussten, dass sie auch im Fall einer Niederlage auf keinen Fall ausscheiden würden? Erinnern wir uns an die WM 1986: Da konnte sogar der dritte der Vierergruppe noch weiterkommen. Und es spielte Deutschland in einer Gruppe mit Dänemark und Uruguay und Schottland und kam nur deswegen weiter, weil es Uruguay nicht schaffte, gegen Schottland zu gewinnen.

Man verlor klar mit 0:2 gegen Dänemark, das deutsche Team spielte Unentschieden und das sehr glücklich gegen Uruguay. Trotzdem kam die Mannschaft ins Finale.

Der Mythos des immerwährenden deutschen Fußball-Glücks und der Mythos der absoluten Garantie, mit der Deutschland immer in irgendwelche Halbfinals oder Finals einzog, ist ein Trugschluss. Es gab die großen Fußball-Zeiten, etwa zwischen 1966 und 1976, als man in allen Turnieren mindestens Dritter wurde, oder noch mal wieder zwischen 2002 und 2014, als man überall mindestens ins Halbfinale kam.

Aber dazwischen war immer wieder auch Ebbe. Etwa die Phase des glücklosen "Bundesberti" Vogts, die nur durch den EM-Sieg 1996 in England abgedämpft wurde. Dazwischen zwei klägliche Viertelfinal-Aus gegen Kroatien und Bulgarien.

An den Stammtischen fordert man "Stoßstürmer"

Die Wunsch-Elf der Bundesbürger wurde nicht aufgestellt. Weder Ginter noch Günther kamen ins Spiel und auch nicht der Bremer Rammbock Füllkrug. Dabei entspricht Füllkrug genau dem Ideal des deutschen Fußballs und seiner knapp 80 Millionen Bundestrainer an den deutschen Stammtischen: Ein sogenannter "Stoßstürmer", der im Strafraum herumsteht, durch seine Größe und die Angst, die er vermeintlich den Verteidigern der Gegner einflößt und "den Durchbruch" schafft. Wie die Panzer aus der Zeit des Grabenkriegs im Ersten Weltkrieg.

Eigentlich wurde diese Vorstellung auch aus dem deutschen Spiel schon lange verabschiedet – doch sorgte Füllkrug mit einem wuchtigen Schuss für den Ausgleich. Erinnern wir uns daran, wie vor etwa zehn Jahren der inzwischen in Ungnade gefallene Mehmet Scholl Mario Gomez, den Lieblings-Stürmer von Jogi Löw mit dem Satz verspottete, man hätte auch einen Stuhl hinstellen können.

Zehn Jahre lang versuchten die Deutschen das Modell des modernen Fußballs, das der FC Barcelona praktizierte. Das im gleichen Fußball-Deutschland gern verspottete Tikitaka ist tatsächlich das Nervös-Machen und Herauskitzeln des Gegners, ein Verwirren durch schnelle Bewegungen, was dann fast automatisch Lücken schafft.

Rassismus im Bademantel

Wer die Übertragung im Schweizer Fernsehen verfolgte, hatte etwas zu lachen. Wer sie im ZDF sah, aber auch. Bei den Schweizern sagte der Kommentator zur versemmelten Chance zum 2:0: "Alles hätte er machen können, die Post sortieren, die Schnürsenkel nochmal binden, so viel Zeit hatte er."

Das ZDF zeigte Lothar, wie er gerade konzentriert auf der Zuschauertribüne seine neueste Kolumne ins Smartphone eintippte. Dazu salbaderte Kommentator Oliver Schmidt: "Lothar Matthäus im Auftrag der Fifa jetzt eingeladen." Darauf konterte Wagner schlagfertig: "Wie lautet der Auftrag?"

Ähnlich als Schmidt über Musiala sagte: "vielleicht der spanischste aller deutschen Nationalspieler" und Wagner diesen Unsinn auflaufen ließ: "Das hört sich gut an, Oliver." Später fabulierte Schmidt: Die spanische Mannschaft sei "noch nicht praktisch, aber theoretisch durch".

An Wagners guten Kommentaren entzündete sich noch während des Spiels auch eine nach Ansicht des Autors dieser Zeilen völlig übertriebene Kritik wegen angeblichen "Rassismus": Wagner hatte im Höhöhö-Stil (siehe: Hinter dem Regenbogen) "die Bademäntel der Katarer" erwähnt. Es folgten Erregungen einzelner User, denen manche Medien auch noch ein (Verstärker-)Forum boten. Der Sender entschuldigte sich.