Mit Genschere CRISPR gegen HIV: Erster Versuch läuft in den USA

Weltweit sind 39 Millionen Menschen von HIV betroffen. Nun soll die Genschere CRISPR-Cas das Virus zerstören.

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Frau hält Schild "Mit HIV komm ich klar. Mit Ablehnung nicht."

Der 1. Dezember ist Welt-AIDS-Tag.

(Bild: BZgA)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Rainer Kurlemann
Inhaltsverzeichnis

Am 1. Dezember, dem Welt-Aids-Tag, bietet eine Nachricht aus den USA Anlass zur Hoffnung für die Betroffenen. Im Juli 2022 hat die kalifornische Biotechfirma Excision BioTherapeutics erstmals den Einsatz eines neuen Therapiekonzeptes mit Gentechnik beim Menschen gewagt. Das Experiment ist sehr klein angelegt: Nur eine einzige Person wurde behandelt.

Ein Freiwilliger bekam mit Hilfe einer Infusion einen Cocktail in sein Blut eingespült, der das Erbgut des HI-Virus attackieren soll. Excision BioTherapeutics setzt auf die Genschere CRISPR-Cas. Dieses neue Werkzeug der Biotechnologie soll ganz gezielt Teile der Viren-RNA zerschneiden, die das Virus zur Reproduktion benötigt. Gelingt der Plan, dann soll der Erreger im Blut des Patienten nicht mehr nachweisbar sein, weil sich das Virus nicht vermehren kann. Eine HIV-Infektion wäre damit geheilt.

Der Mann hat die Gentherapie gut vertragen. Wenn alles gut verläuft, sollen nach Herstellerangaben insgesamt neun von HIV betroffene Menschen mit der neuartigen Infusion behandelt werden. Der Therapieversuch ist mutig, denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Genschere im Körper auch andere Stellen attackiert und nicht nur das gewünschte Ziel in der Viren-RNA. Das Crispr-Cas-System könnte gesunde Teile des Erbguts in menschlichen Zellen zerstören und damit erhebliche Nebenwirkungen wie beispielsweise Krebs verursachen. Forscher nennen diesen Effekt "Off-Target".

Kamel Khalili von der Temple-Universität hat deshalb besondere Vorsicht walten lassen. Für die Programmierung der Genschere habe sein Team mit großem Aufwand nach einer Region im Genom des HI-Virus gesucht, dessen Sequenz sich nicht mit dem menschlichen Genom überlappe, sagt er in einem Interview mit dem Magazin "Wired".

Seine Arbeitsgruppe an der Uni in Philadelphia hat das Konzept gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universität Nebraska 2019 bei Mäusen und Ratten und 2020 bei Makaken erfolgreich getestet. Doch der Schritt vom Tier zum Menschen ist groß – und vielen Kandidaten für HIV-Impfstoffe oder -Medikamente gelingt diese Hürde nicht. Schon wenn die Gentherapie nur einen kleinen Teil der Viren erwischt, gilt der Versuch als gescheitert, da der Patient weiterhin auf Medikamente angewiesen wäre.

Gen-Editiermethoden - eine kleiner Einblick (6 Bilder)

Das System aus CRISPR (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats) und der Cas9-Nuklease haben die Molekularbiologinnen Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier 2012 entdeckt. Dank seiner einfachen Handhabe und geringer Kosten erlebt die Gentherapie derzeit ein Revival.
(Bild: Text: Inge Wünnenberg; Grafik: Brian Sipple)

Weltweit verfolgen nun Wissenschaftler das Experiment aus zwei Gründen sehr gespannt. Zum einen, weil es 40 Jahre, nachdem die Symptome der Immunschwäche Aids als eigene Krankheit erkannt wurden, endlich eine Chance auf Heilung geben könnte. Zum anderen könnte die Studie sehr genaue Daten liefern, wie präzise eine Genschere im menschlichen Körper arbeitet und welchen Anteil der erkrankten Zellen sie erreicht. Mit diesem Wissen könnten Therapiekonzepte für andere Krankheiten überprüft werden, die ebenfalls auf die heilende Wirkung einer Genveränderung direkt vor Ort setzen.

Der Versuch einer Gentherapie gegen das HI-Virus ist nicht komplett neu. Meistens wollen die Forscher den Erreger aber über einen Umweg im Labor bekämpfen. Sie verändern dazu das Genom von blutbildenden Stammzellen, die sie ihren Patienten entnommen haben. Diese Stammzellen erzeugen im Körper T-Zellen, eine spezielle Form der Abwehrzellen im menschlichen Immunsystem. Das HI-Virus nistet sich bei einer Infektion in diesen T-Zellen ein und bremst so das Immunsystem, das beim Höhepunkt eines Aids-Ausbruchs sogar vollständig zusammenbrechen kann.

Die Infektion der T-Zellen mit dem HI-Virus lässt sich durch Gentherapie vermutlich dauerhaft verhindern. Ziel der Forscher ist das Gen CCR5, das ein Protein codiert, das die Zellwand für das HI-Virus öffnet. Der genetische Eingriff in den Stammzellen verändert die Oberfläche der T-Zellen: HI-Viren können nicht mehr eindringen. Bei menschlichen Zellen hat das Konzept im Labor bereits funktioniert. Doch der letzte Schritt ist noch nicht erfolgt. Die Forscher wollen die entnommenen Stammzellen nach der genetischen Verbesserung an den Patienten zurückgeben. Die Stammzellen sollen im Körper dann nur noch T-Zellen produzieren, die vor HI-Viren geschützt sind.

Vorbild für diese Gen-Behandlung ist die Heilung zweier HIV-Patienten, die als "Berliner Patient" und als "Londoner Patient" in die Medizingeschichte eingegangen ist. 2007 wurde der US-Amerikaner Timothy Ray Brown wegen einer Leukämie in der Berliner Charité behandelt. Er war HIV-positiv. Die Ärzte wollten seine leukämiekranken Blutstammzellen durch die eines Spenders ersetzen. Per Zufall fand sich in der Liste möglicher Spender ein Mann mit einer interessanten Besonderheit. Denn etwa ein Prozent der Europäer sind von Natur aus immun gegen Aids. Sie besitzen das CCR5-Gen in der T-Zellen-Variante, deren Oberfläche das Virus abwehren kann. Die Übertragung der Blutstammzellen des Spenders half Timothy Ray Brown gegen die Leukämie und entfernte auch das HI-Virus. 2019 wurde die Behandlung in London bei einer weiteren Person erfolgreich durchgeführt.

Doch die Gentherapien gegen HIV beschränken sich weltweit auf wenige klinische Tests. Die Standardversorgung der Betroffenen besteht derzeit aus konventionellen Medikamenten, die die Vermehrung der Viren behindern. In den meisten Fällen handelt es sich um eine Kombinationstherapie mit mehreren Wirkstoffen, die an unterschiedlichen Stellen der HIV-Vermehrung ansetzen. Die Arzneien müssen regelmäßig und bis zum Lebensende eingenommen werden. Das Robert-Koch-Institut (RKI) berichtet, dass in Deutschland im Jahr 2021 mehr als 95 Prozent der Therapien erfolgreich sind und die Virenlast im Blut der Betroffenen so gering ist, das diese nicht mehr ansteckend sind. In Deutschland werden aktuell knapp 80.000 Menschen behandelt. Mehr als die Hälfte von ihnen ist über 50 Jahre alt.

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Das RKI schätzt die Zahl der Neuinfektionen im Jahr 2021 auf etwa 1800 Fälle. Diese Zahl sei so niedrig wie zuletzt vor zwei Jahrzehnten, heißt es. Etwa 1000 Fälle betreffen Männer, die Sex mit Männern hatten, 440 Infektionen entstanden bei heterosexuellen Sex, mehr als 300 durch den gemeinsamen Gebrauch von Drogenutensilien. Das RKI vermutet, dass in Deutschland mehr als 8000 Betroffene leben, die noch nicht diagnostiziert wurden, beispielsweise weil sie trotz einer (oft unbekannten) Infektion noch keine Symptome aufweisen

In den ärmeren Ländern der Welt ist die Versorgung deutlich schlechter. Die UN-Aids-Behörde schätzt, dass 2021 weltweit etwa 39 Millionen Menschen mit HIV leben und berichtet von 650.000 Toten im vergangenen Jahr. Nur Dreiviertel der Patienten haben Zugang zu Medikamenten, es sind aber immerhin fast acht Millionen mehr als 2010. Während Pharmafirmen und staatlich finanzierte Forschung mit großem Aufwand neue Therapien testen, ist der Etat des internationalen Aids-Programms der UN seit 2012 um 25 Prozent auf 165 Millionen US-Dollar im Jahr 2021 gesunken.

(jle)