Internet Governance Forum: Der Kitt fürs globale Netz bröckelt

Nach dem Ende des 17. Internet Governance Forum der Vereinten Nationen bleibt unklar, ob die Fragmentierung des Netzes aufzuhalten ist.

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IGF

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Monika Ermert
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Der Ukraine-Krieg, der Kalte Krieg um die Technologieführerschaft und die neue Blockbildung stellen die Idee eines einheitlichen Internets in Frage. Auf dem 17. Internet Governance Forum (UN IGF) in Addis Abeba wurde in den vergangenen Tagen rege diskutiert, wie tief die Risse im Netz heute gehen – und wie der Kitt aussehen muss, um das Netz der Netze zusammenzuhalten.

Für Internet-Nutzer sei Fragmentierung bereits heute eine Realität, konstatierte der vor sechs Monaten berufene erste UN-Gesandte für Technolgie (Tech Envoy) des UN-Generalsekretärs, Amandeep Singh Gill. "Wir können nicht nahtlos von einer geographischen Region in eine andere oder einem Set von Einstellungen zu einem anderen wechseln. Wir werden eingeschränkt in dem Möglichkeiten, wie wir das Netz nutzen." Offen sei die Frage, ob die "Risse an der Oberfläche" bereits das Fundament des Netzes der Netze bedrohten.

Solange die teilnehmenden Netze im Kern interoperabel bleiben, sei das Internet intakt, unterstrichen Wissenschaftler wie Milton Mueller vom Georgia Institute of Technology Tech oder Tatiana Tropina von der Universität Leiden. Noch gebe es für das einheitliche System der Adressierung über Domainnamen und IP-Adressen keine echten Alternativen. Vorstöße wie das Protokoll New IP des chinesischen Netzausrüsters Huawei/Futurewei konnten sich ebenfalls bislang nicht durchsetzen, sagte Tropina.

New IP wird mittlerweile allerdings in kleineren Happen von mehreren Standardisierungsorganisationen eingespeist, erläuterte Carolina Caeiro vom britischen Think Tank Chatham House. Durch Grenzen und "Grenzkontrollen" zwischen heterogenen Teilnetzen könne es für ein stärker fragmentiertes Netz auf Protokollebene sorgen.

Auch westliche Demokratien seien keineswegs frei von Fragmentierungs-Phantasien, betonte Tropina. Dabei verwies sie auf die Vorschläge der EU, Sicherheitsfragen auch für die zentralen Rootserver des DNS zu regulieren. Auch vor einem etwaigen Mandat für einen EU DNS Resolver (DNS4EU) wurde in Addis Abeba noch einmal gewarnt. Die ausgewählten Betreiber will die EU-Kommission noch in diesem Jahr bekannt geben.

In den Vorstößen der EU, dem deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz oder auch Exportkontrollen in die USA manifestiert sich für Mueller "die Konterrevolution gegen die Globalisierungstendenzen eines digitalen politischen Wirtschaftssystems." Die Fragmentierungsdebatte sei letztlich eine Souveränitätsdebatte. Walled Gardens samt entsprechender Nutzereinschränkungen hätten dagegen nichts mit Fragmentierung zu tun, findet der US-Amerikaner.

Die Nationalstaaten seien nicht allein mit Allmachtsphantasien von einem "eigenen" Internet, widersprach Andrew Sullivan, Vorsitzender der Internet Society. Solche Ideen hätten auch Unternehmen. Ein möglicher Treiber für eine Zweiklassengesellschaft im Datenverkehr: der Ausbau privater Seekabel durch Unternehmen wie Google und die finanzielle Auszehrung klassischer Transitnetze, hieß es auf dem Treffen des "Policy Network on Internet Fragmentation" (PNI). Das PNI sammelt Empfehlungen gegen Fragmentierung für den Global Digital Compact, die für 2024 geplante UN-Vereinbarung über die digitale Welt.

Einen großen Zersplitterer des Internets nannte Raul Echeberria, Geschäftsführer der Asociación Latinoaméricana de Internet, Filter-Systeme zum Schutz des Geistigen Eigentums. Mehr Verschlüsselung und Cloud-Systene würden nun erzwingen, dass Filter gröber werden. Wer sperren will, könne künftig nur noch größere Bereiche aussperren.

Um globale Erreichbarkeit im Netz trotz wirtschaftlichem und ideologischem Wettlauf zu erhalten, wurden im IGF "Gegenmittel" zusammengetragen. So sollten etwa Parlamente in neuen Gesetzen die "Nebenwirkungen" auf Grundrechte, aber auch auf regionale und internationale Interoperabilität achten, lautet eine der Empfehlungen einer Broschüre des IGF für Parlamentsmitglieder weltweit. In Addis Abeba wurde auch die bessere Zusammenarbeit der technischen Experten, aber auch der Zivilgesellschaft mit der Politik beschworen. Im IGF wird dieses Multi-Stakeholderprinzip sorgsam gepflegt, doch auf nationaler Ebene ist es nach wie vor nicht recht angekommen. Die Parlamentarier versprachen in ihrer Abschlusserklärung Abhilfe.

Auch die Stärkung der für Namen und Nummern zuständigen Selbstverwaltungsorganisationen, die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) und die Adress Registries, sollten als vertrauenbildende Maßnahme betrachtet werden. Das IGF selbst könnte zum Kitt gegen Fragmentierung beitragen, meinte der UN Tech Envoy Gill, als Gelenkstelle zwischen Regierungen und anderen Stakeholdern, zwischen Norden und Süden. Gill sammelt bis März 2023 Stellungnahmen für den Global Digital Compact ein. Er wurde auch beauftragt, für Kohärenz in der Digitalpolitik der vielen mittlerweile mit mischenden UN Organisationen zu sorgen.

Noch nicht geklappt hat es mit der Kohärenz in Bezug auf Internet-Shutdowns, ein anderes viel diskutiertes Thema in Addis Abeba. Afrika habe sich praktisch zu einem Hotspot solcher Shutdowns entwickelt, stellten Aktivisten in einem Workshop fest.

Während die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Äthiopiens Regierung darauf hinwies, dass der humanitäre Zugang zur Region Tigray im Norden trotz entsprechender Vereinbarungen noch nicht klappe, blieben die Vertreter der UN-Hauptabteilung für Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten, die Internationale Fernmeldeunion oder auch das IGF-Sekretariat still in Bezug auf den zwei Jahre dauernden Internet Shutdown der umkämpften Region.

Auf der traditionellen Feedback-Sitzung vor dem Abschluss der Konferenz versuchten tigrayische Aktivisten vergeblich, sich über die Chatfunktion des Konferenzportals noch Gehör zu verschaffen. Von den Anwesenden gab es dagegen viel Lob für die äthiopischen Gastgeber und den Vorschlag, Internet-Pionier Vint Cerf für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen.

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Auch zivilgesellschaftliche Gruppen übten sich in "Selbstzensur", kommentierte eine langjährige IGF Teilnehmerin gegenüber heise online. Sie schwiegen vielleicht auch, weil alle sich bewusst seien, dass ihre Länder "für den einen oder anderen Horror in der Welt verantwortlich" seien. Nichts gesagt – und mehr noch, nichts getan zu haben – sei aber eine verpasste Gelegenheit für das Forum.

(anw)