Diplomatie und Ukraine-Krieg: Macron will auch Sicherheitsgarantien für Russland bedenken

In einem TV-Interview erklärt sich der französische Präsident zu künftigen Friedensverhandlungen. Bei seiner Vision der Sicherheitsarchitektur bezieht er auch russische Forderungen und Sichtweisen mit ein und erntet deutliche Ablehnung.

Ist Macron jetzt ein Putin-Versteher oder ein Europapolitiker, der, weil er auf einer anderen Tradition fußt, Russland anders einordnet als dies führende Politiker in Deutschland tun – und selbstverständlich Vertreter der von Russland angegriffenen Ukraine?

Der französische Präsident gab nach Abschluss seines Staatsbesuches in den USA ein TV-Interview, in dem er eine Aussage machte, die viele Politiker in Deutschland vor den Kopf stieß. Macron sprach von einer künftigen europäischen Sicherheitsarchitektur, die auch Russland einbeziehe und damit auch dessen Empfindlichkeiten, was die Natoerweiterung betreffe.

Zum Kontext: Seiner Äußerung im Interview mit dem französischen Fernsehsender TF1 , die viele Reaktionen auslöste, ging Folgendes voraus. Zunächst, dass Macron demnächst mit Putin und zuvor mit dem IAEA-Chef Rafael Grossi "konkret und präzise" über den Schutz der Atomkraftwerke sprechen wolle. Die Vermeidung von Eskalationen gerade auf diesem Gebiet sei eine der Prioritäten der französischen Politik.

Daran schloss Macron an, was in den "kommenden Wochen" wichtig sein werde (ab Minute 6:09): Erstens müsse man der Ukraine dabei unterstützen, Widerstand zu leisten, sie weiterhin militärisch unterstützen und Eskalationen vermeiden, weswegen Frankreich in der Sache der AKW in konkreten Fragen intervenieren wolle, um sie zu schützen – und man müsse den Dialog vorbereiten, "den es geben wird, wenn sich alle an einem Tisch versammeln".

Ab Minute 6:27 folgt dann das Zitat, das Furore macht:

Es gibt ein Thema, das von den Ukrainern abhängt, das ist die Frage der Grenzen. Und es gibt eine Sache, die wir vorbereiten müssen und worüber ich mit Präsident Biden gesprochen habe: Das ist die Sicherheitsarchitektur, in der wir morgen leben wollen. (…) Einer der wichtigen Punkte dessen, was Präsident Putin immer wieder angesprochen hat, ist die Angst, dass die Nato bis an seine Tür kommt. Das ist die Stationierung von Waffen, die Russland bedrohen können. Dieses Thema wird zu den "Friedens"-Themen gehören, die wir vorbereiten müssen. Wir müssen besprechen, wie wir unsere Verbündeten und die Mitgliedsstaaten schützen, indem wir Russland für seine Sicherheit Garantien geben – an dem Tag, an dem es an den Verhandlungstisch zurückkehrt.

Emmanuel Macron

Als ihm die Journalistin die brisante Frage stellt, wie er denn zum Thema Krim steht, antwortet Macron mit großer Entschiedenheit darauf, dass dies eine Angelegenheit der Ukraine sei, in die man sich nicht einmischen wolle. Frankreich sei keine Kriegspartei in dem Konflikt. Für Frankreich sei die Sicherheit Europas wichtig.

Ablehnung und Erstaunen

Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD im Bundestag, reagierte mit Ablehnung und Erstaunen, wie ihn die Welt zitiert: "Die Worte Macrons verwundern. Die Nato hat zu keinem Zeitpunkt Russland bedroht, sondern mit der Nato-Russland-Grundakte einen gemeinsamen Rahmen für Sicherheitsfragen geschaffen."

Laut dem Zeitungsbericht gibt es innerhalb der Koalition niemand, der die Vorschläge Macrons unterschreiben würde. Ablehnung überwiegt selbst bei Politikern, wie dem FDP-Außenpolitiker Ulrich Lechte, der zwar am Ende auch Verhandlungen sieht, aber zu bedenken gibt, dass man "die Narrative des Despoten auch durch Gedankenspiele nicht bestätigen" dürfe, sondern ihnen mit Klarheit entschieden entgegentreten müsse. Außerdem: "Russland habe durch die Stationierung von Atomwaffen in Kaliningrad in den vergangenen Jahren eher die Nato bedroht als umgekehrt‘".

Betont wird auch von CDU-Außenpolitiker Johann Wadephul, dass Macron der russischen Propaganda Vorschub leiste. Er stelle die Dinge auf den Kopf: Die Ukraine brauche Sicherheitsgarantien, nicht Russland.

Die Vorschläge seien hochproblematisch. "Hierüber müssen dringend Gespräche in EU und Nato geführt werden." Die Nato sei, so Wadephul, ein "rein defensives" Bündnis und Putin habe "jedwedes Vertrauen in eine belastbare Sicherheitsarchitektur zerstört".

Irina Scherbakova, Mitbegründerin der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial, die dieses Jahr den Friedensnobelpreis gewann, wird von Le Monde im Zusammenhang mit den Äußerungen Macrons in einem Ticker mit dem Satz zitiert:

"Die Lösung, die es jetzt geben wird, ist in meinen Augen eine militärische."

Macrons Äußerungen würden in russischen Medien gerne zitiert, heißt es bei Medienbeobachtern. Andere verweisen auf die Unterschiede zwischen Macron und Scholz. Das zeigt sich vor allem im Verhältnis zur Nato und europäischen Autonomiebestrebungen.

Während Macron in einer französischen Tradition, die der Nato anders verbunden ist als Deutschland, europäische Autonomiebestrebungen ausbauen will, setzt Scholz, wie der Kanzler in einem Grundlagenaufsatz über die "Zeitenwende" in der renommierten US-Publikation Foreign Affairs herausstellt, besonders und vorzugsweise auf die Nato.