Totgesagte sterben länger

Sündenbock gefunden: Bierhoff fliegt, alles andere bleibt wie es ist beim DFB und die Nationalmannschaft steht vor der Rückkehr zum Rumpelfußball.

Für uns ist es vorbei. Für den Fußball-Liebhaber mit Sicherheit nicht.

Thomas Broich, ARD-Experte

Wer 2006 dabei war, wird es nie vergessen. Damals geschah ein Stimmungsumschwung in Deutschland. Patriotismus war in, Deutschlandfahnen wehten an den Autos. Die Deutschen spielten leicht, unideologisch, kämpferisch. Das Ausland nahm uns als optimistisches Land wahr. ... Heute, viele, viele Jahre später, weiß ich, dass der Fußball etwas Heiliges ist. Der Fußball ist rund, wie das Auge, wie die Erde, wie die Ringe um einen Baum.

Franz Josef Wagner, BILD-Goethe

Die für diesen Mittwoch angesetzten Tag der Aufarbeitung wollte man in der Frankfurter DFB-Zentrale nicht mehr abwarten. Dabei wäre es doch auch für die Führung des deutschen Fußballbundes zumindest interessant gewesen, noch einmal zu hören, wie der DFB-Direktor das vorzeitige WM-Ausscheiden erklärt.

Aber mit dem bei den Fans unbeliebten Ex-BWL-Studenten und DFB-Modernisierer ("Die Mannschaft") Oliver Bierhoff fand man den passenden Sündenbock. Als ob die unselige One-Love-Affaire und das abgelegene WM-Quartier allein Ursache für den blamablen Auftritt der Nationalmannschaft wären.

Die Probleme bei der Nationalmannschaft werden seit Jahren gerne außen gesucht: 2018 waren angeblich Özil, Gündogan und die Erdogan-Fotos der beiden am frühen Ausscheiden schuld. 2021 bei der EM der Rasen und die Corona-bedingt leeren Stadien. Jetzt die "One Love"-Binde.

Das Spiel hingegen wird immer wieder schöngeredet.

Zu viel Politik. Zu wenig Leistung

Es stimmt: Am Samstag wurde in der ARD das Krisenmanagement bei der One-Love-Debatte heftig kritisiert. Das kann man machen. Denn offenbar wollte kaum ein Nationalspieler – Ausnahmen Neuer, Goretzka, Kimmich – den Auftritt mit der Binde und oder die spätere Ersatz-Geste mit der Hand vor dem Mund mitmachen. Olaf Scholz PR-Berater Raphael Brinkert, der passenderweise auch der PR-Berater von Goretzka ist, wurde eingeflogen, um die Wogen zu glätten.

Gerade die Nationalspieler mit Migrationshintergrund interessierten sich nicht für politische Wohlfühlgesten angehender Sportpolitiker, die nur vom Eigentlichen ablenkten: "Wir sind hierhergekommen, um Fußball zu spielen", meinte etwa Antonio Rüdiger. Sie fühlen sich instrumentalisiert.

Dumm nur, dass auch bei der ARD vorher alle die One-Love-Gesten richtig fanden, und "hart bleiben" eingefordert hatten. Sogar einen Punkteabzug oder andere FIFA-Strafen hätte man doch in Kauf nehmen können, spekulierte Moderatorin Jessy Wellmer vor dem Anpfiff des Japan-Spiels.

Erst hinterher wusste man es dann besser. Die Uneinigkeit in der Mannschaft hatte geschadet. Zu viel Politik. Zu wenig Leistung.

"So viele Helden haben wir nicht in Deutschland"

Aber "So viele Helden haben wir nicht in Deutschland, dass wir sie vergessen dürfen." (F.J.Wagner) Nach wie vor gilt: Entscheidend ist auf dem Platz. Und dort erlebte man wenig Gutes.

Die deutsche Defensive war ohne jedes Weltklasse-Niveau und fing sich fünf Gegentore in drei Partien. Gerade das, was den deutschen Fußball immer ausgezeichnet hat, dass die DFB-Elf verteidigen konnte, notfalls robust und mit allen Mitteln, ist verloren gegangen. In 19 Spielen unter Flick probierte man 16 verschiedene Abwehr-Kombinationen.

Und in der Offensive gab es viel Aufwand, wenig Ertrag. Die ARD rechnete aus, dass die Deutschen zwar auf 66 Torschüsse kamen, so viel wie kein anderes Team, aber fast alle verballerten. Mangelhafte Effizienz oder Unvermögen.

Jedenfalls fehlten die Führungsspieler. Vorne war Müller zwar laut, aber zu alt, und Goretzka, der mit Olaf Scholz den PR-Berater teilt und lieber SPD-Politiker werden möchte als WM-Held, und Ex-Erdogan-Fanboy Gündogan sind sich nicht grün. Bei Impfskeptiker Josuah Kimmich klaffen Führungsanspruch und Realität weit auseinander. Er bleibt ein bubihafter Mitläufer.

Bierhoffs Rausschmiss ist mehr als ein Bauernopfer

Auch an den Spaniern lag es nicht. Wer 1:2 gegen Japan verliert, kann sich nicht darüber beschweren, dass andere 1:2 gegen Japan verlieren.

So dürfte nun alles beim Alten bleiben, und Hansi Flick die Nationalmannschaft auch in die Europameisterschaft in anderthalb Jahren führen.

Trotzdem: Bierhoffs Rausschmiss ist mehr als ein Bauernopfer. Bevorstehen dürfte die Rückkehr zum klassischen deutschen Rumpelfußball: Hinten dicht, und vorne helfen der liebe Gott und ein "Stoßstürmer". Schluss mit dem welschen Tiki-Taka.

Querdenker Hummels

Der ausgezeichnete ARD-Experte Bastian Schweinsteiger ist da klüger: "Wir befinden uns zwischen Spanien und der alten Qualität dreckig, zu gewinnen. Wollen wir noch bessere Spieler ausbilden, oder wollen wir den Leuten weh tun im Rahmen des Erlaubten." Und weiter: "Vielleicht passt die Mischung nicht zusammen? Es kommt auch auf die Mitspieler an, die auf dem Platz sind."

Aber die Jogi-Löw-Krankheit lässt die deutsche Nationalmannschaft auch unter Bundestrainer Flick nicht los. Die deutsche Nationalmannschaft ist an ihrer Harmoniesucht gescheitert. Der Mann, der Hansi heißt, hat seine Mannschaft für die WM nicht nach dem Leistungsprinzip zusammengestellt, sondern nach willkürlichen, von außen schwer nachvollziehbaren Kriterien.

Obwohl Flick ansonsten zwei Dortmunder Abwehrspieler aufgestellt hat. Wenn man überhaupt die löchrige BVB Abwehr nominieren will, dann muss man den Kommandeur dieser Abwehr auch nominieren. Aber Mats Hummels wurde nicht mitgenommen - weil er "Unruhe in die Mannschaft bringt". Ein Querdenker.

Dabei sind Unruhe und Streitkultur das, was die Deutschen nicht nur im Fußball am allerdringendsten brauchen.