Studie belegt: Ab 2019 gewannen Klimaskeptiker auf Twitter die Oberhand

Klimaforscher ziehen sich von Twitter zurück. Sie haben die Nase voll von Desinformationen und Hassreden.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 86 Kommentare lesen
Elon Musks Twitter-Profil auf Smartphone

(Bild: FellowNeko/Shutterstock.com / Montage: heise online)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert
Inhaltsverzeichnis

Wer bei Twitter den englischen Hashtag #climate (Klima) eingibt, sieht als ersten Eintrag in der Top-Sortierung einen Beitrag, der zugleich den Hashtag climatescam (Klimabetrug) enthält. Unter dem deutschen #klima erhält man zwar nicht unmittelbar negativ konnotierte Tweets zum Thema Klimawandel, dennoch ist die Entwicklung des englischen Suchbegriffs zumindest bedenklich. Relativ leicht landet man bei Tweets von Klimawandelleugnern.

Dass Klimaskeptizismus zunehmend die Oberhand gewinnt, fiel bereits dem Weltklimarat (IPCC) auf. Im zweiten Teil des aktuellen Sachstandsberichts, der die "Auswirkungen, Anpassungen und Gefährdungen" durch den Klimawandel beschreibt, warnt der Rat vor Fehl- und Desinformation und einer Politisierung der Wissenschaft. Die könnten zu Haupthindernissen bei der Umsetzung von Klimamaßnahmen werden, so die Wissenschaftler. Immerhin haben alle 195 Mitgliedsregierungen dieses Dokument mit seiner brisanten Aussage akzeptiert.

Besonders Twitter ist ein Medium, in dem sich auch Klimawissenschaftler aus aller Welt gerne austauschen – oder ausgetauscht haben (wenn man das große Nutzerwachstum auf dem dezentralen Netzwerk Mastodon berücksichtigt). Auch Klimaaktivisten sind oder waren hier besonders aktiv, die das Versagen von Politikern beim Kampf gegen den Klimawandel brandmarken oder für Protestaktionen werben.

Einen gewissen Klimaskeptizismus gab es zwar schon immer, aber die zunehmend aggressivere Verbreitung ist neu. Einer Analyse der "Times" zufolge war 2022 das schlimmste Jahr für klimaskeptische Inhalte seit der Gründung von Twitter.

Mehr rund um Twitter und Elon Musk

Allein in diesem Jahr zählte die Times um die 850.000 klimaskeptische Tweets und Retweets, in denen der Hashtag #climatescam 40 Prozent ausmachte. Zwei Jahre zuvor waren es nur 220.000, und #climatescam erschien nur in zwei Prozent der Tweets.

Forscher aus Großbritannien und Italien untersuchten kürzlich anhand von Twitter-Daten, wie sich eine politische Polarisierung bei Klimathemen im Umfeld der Klimakonferenzen von 2014 bis 2021 bemerkbar macht. Twitter wurde deshalb als Plattform ausgewählt, weil dort die Diskussionen vor und während der Konferenzen aktiver seien als auf anderen sozialen Medien und weil sich dort Schreiber aus dem gesamten politischen Spektrum beteiligten. Auch sei die Plattform unter Politikern und Journalisten weit verbreitet und habe deshalb einen großen sozialen und kulturellen Einfluss, so die Autoren. Sie stellen fest, "dass sich seit Ende 2019 eine prominente Opposition zum dominanten Pro-Klima-Diskurs etabliert hat, was zu einer stark polarisierten Online-Klimadebatte führt."

Das konnten sie auf die zunehmende Aktivität politisch rechter Twitterer zurückführen, deren Beiträge sich seit der Pariser COP21-Klimakonferenz 2015 im Vergleich zu den Pro-Klima-Gruppen vervierfacht hatten.

Während der Pariser Klimakonferenz speiste sich die Szene der Klimawandelleugner aus nur drei Influencer-Konten, deren Beiträge eifrig retweetet wurden, nämlich @BjornLomborg, @Tony__Heller und @JunkScience.

Bei der Glasgower Konferenz 2021 waren es schon 56 Influencer, die die Szene der Klimawandelleugner mit ihren Ergüssen versorgten. Dazu gehörten auch Medienorganisationen, Journalisten und Politiker, wie die rechtskonservative, verschwörungstheoretische US-Mediengruppe Newsmax, der rechtsgerichtete Newsmax- und The-Daily-Caller-Kolumnist Benny Johnson und der rechtskonservative britische Abgeordnete Steve Baker.

Nach dem Besitzerwechsel bei Twitter konstatierte der britische Guardian jüngst eine weitere Eskalation der klimaskeptischen Aktivitäten. Denn Elon Musk, seit Oktober 2022 der neue Eigentümer der Plattform, hat die Content-Management-Teams entlassen, die Nachhaltigkeitsabteilung der Plattform aufgelöst und die Sperren für mehrere prominente Klimaskeptiker mit Millionen von Anhängern aufgehoben. Einigen Klimaexperten war das zu viel, wie sie der Zeitung berichteten. Sie verließen Twitter in Richtung Mastodon.

Michael Mann, einer der prominentesten Klimawissenschaftler von der University of Pennsylvania, will Twitter zwar noch nicht ganz verlassen, stellt aber fest, dass Klimaleugnung dort zunehmend an Anziehungskraft gewinne. Zur Sicherheit hat er schon mal ein zusätzliches Profil auf Mastodon erstellt. Das tat auch der deutsche Klimaforscher Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, dem sich in nur einer Nacht 3500 seiner Follower auf dem neuen Dienst anschlossen (inzwischen hat er über 15.000 Follower). Mann und Rahmstorf tröten von fediscience.org aus, einer Instanz, die nur Wissenschaftlern vorbehalten ist.

"Ich kann verstehen, dass Klimawissenschaftler sagen, dass [Twitter] kein produktiver Ort für Gespräche untereinander mehr ist. Sie sind zu Blitzableitern für Hassreden und Todesdrohungen geworden. Wir sehen eine echte Eskalation der Drohungen, die darauf abzielen, sie von der Plattform zu vertreiben", sagt Jennie King vom Thinktank Institute for Strategic Dialogue (ISD).

Ihre Denkfabrik hatte im Juni 2022 eine umfangreiche Untersuchung unter dem Titel "Deny, Deceive, Delay: Documenting and Responding to Climate Disinformation at COP26 and Beyond" ("Leugnen, täuschen, verzögern: Dokumentieren und Reagieren auf Klima-Desinformation auf der COP26 und darüber hinaus") veröffentlicht. Darin bezogen die Analysten auch Google und Facebook mit ein, deren Geschäftsmodelle gleichermaßen von Klima-Desinformationen profitieren.

Google hatte zwar einst versprochen, Klimawandelleugnern kein Forum mehr zu bieten, aber die ISD-Studie zeigte, dass die Hälfte aller Klimaleugnerseiten bei Google-Suchen unterstützt wird.

Facebook kündigte auf der COP26 in Glasgow zwar ein Climate Science Center an, doch die Auswertung ergab, dass das wenig half. Die Anzahl der Klima-Desinformationen übertrafen die Informationswirkungen des neuen Zentrums um den Faktor 12.

"Unsere Analyse hat gezeigt, wie eine kleine, aber engagierte Gemeinschaft von Akteuren eine unverhältnismäßig große Reichweite und ein unverhältnismäßig großes Engagement in den sozialen Medien hat, die Millionen von Menschen weltweit erreichen und von alten Print-, Rundfunk- und Radiosendern unterstützt werden", heißt es in der Zusammenfassung der ISD-Analyse.

Wie sich solche Tendenzen unter der Leitung Elon Musks auf Twitter weiterentwickeln werden, bleibt abzuwarten. Doch gut, sieht es nicht aus.

(jle)