Energie- und Umweltkrise: Systemische Parallelen zu den 1970ern

Spar-Mobilisierung: Die ADAC-Straßenwacht in Kiel fordert die Bürger 1973 zum Verzicht auf. Bild: Stadtarchiv Kiel / CC BY-SA-3.0-DE

Neuordnung der politischen Kraftverhältnisse. Was die Ölpreiskrise mit dem Klimawandel zu tun hat. Ressourcenknappheit als Vorwand (Teil 1).

Die wilden 1970er haben Deutschland geprägt. Vor allem das Jahr 1973. Sonntagsspaziergänge auf verlassenen Autobahnen und durch Tempo-Limits verkehrsberuhigte Innenstädte sind die angenehmen Seiten der Ölpreiskrise.

Die unangenehmen können sie aber schwerlich aufwiegen: In den Geschäften gehen die Preise an die Decke, die Tankstellen bedienen nur noch Stammkunden, Arbeitslosenzahlen schießen in die Höhe, Wirtschaftsprognosen trüben sich ein. Die fetten Jahre scheinen vorbei zu sein.

Es ist nicht nur dieses "Ende des Überflusses" (Emmanuel Macron im August 2022), das man ohne Mühe mit Heute verknüpfen kann. Und auch nicht nur die Spar-Appelle der Politiker oder die Diskussion über alternative Energiequellen (damals gewann die Atomkraft noch die Oberhand).

Natürlich, Geschichte wiederholt sich nicht. Aber je genauer man hinsieht, desto mehr Parallelen (und Kontinuitäten) entdeckt man, desto mehr reimt sie sich. Beim Vergleich von 1974 und 2022/23 springen vor allem die folgenden Parallelen ins Auge:

  1. Ein auf expansiver Geldpolitik basierendes Wirtschaftssystem gerät an seine Grenzen.
  2. Eine währungspolitische Transformation ist in Gang.
  3. Ein Krieg löst eine Dysbalance in der (weltweiten) Energieversorgung aus.
  4. Steigende Preise und sinkende Wirtschaftsleistung führen zur Stagflation.
  5. Der Staat reagiert mit Interventionismus und Notstandsgesetzen (damals wie heute: Energiesicherungsgesetz).
  6. Die Krise entfacht die Diskussion über alternative Energiequellen (damals wie heute: Solar-, Wind- und Atom).
  7. Wissenschaftler stellen die Krise als ökologisches Phänomen bzw. Symptom dar.
  8. Die Krise fördert die Ziele der globalen Umweltbewegung und der Vereinten Nationen (UN).
  9. Privat geförderter Humanitarismus/Umweltaktivismus (public-private-partnerships) wird als eine Zukunftslösung gesehen.
  10. Es erfolgt ein (Wieder-)Erstarken der Europäischen Gemeinschaft als geopolitische Institution.

Bei all dem drängt sich die Frage auf, inwieweit wir es in den 1970er-Jahren wie heute mit einer systemischen Krise des Kapitalismus zu tun haben, die als Umweltkrise bekämpft wird – und nicht etwa umgekehrt: mit einer Umweltkrise, die von Kapitalisten bekämpft wird.

Aber schauen wir uns einige Punkte zunächst genauer an.

Bilanzdefizit, expansive Geldpolitik und Inflation

1945 wird auf der Konferenz von Bretton-Woods die Währungsordnung der Nachkriegszeit festgelegt. Als Leitwährung fungiert der Dollar, dessen Wert an Gold gebunden wird (35 Dollar=1 Feinunze). Damals fließt aus den USA als stärkster Wirtschaftsnation noch ein gewaltiger Kapitalstrom in den Wiederaufbau eines vom Krieg zerstörten Europa. Doch die rasche europäische Erholung wird bald zum Problem.

Ende der 1960er-Jahre lässt der Export-Boom aus Europa in die Vereinigten Staaten die Zahlungsbilanz der USA ins Negative rutschen. Wie der Wirtschaftshistoriker Ingo Köhler 2016 in seinem aufschlussreichen Essay "Europa im Bann der Ölpreiskrise 1973/74" schreibt, in dem er die Bedeutung der Ölpreiskrise für das Erstarken der europäischen Gemeinschaft in den Mittelpunkt stellt, hatten die USA außerdem ihre Geldmenge inflationär ausgeweitet, um die Militärausgaben im Kalten Krieg und Vietnam zu finanzieren.

Der Dollar verliert massiv an Kaufkraft, es kommt zu einer enormen Staatsverschuldung. Die USA stehen kurz vor der Insolvenz, wie Die Zeit 1971 schreibt:

In den ersten sechs Monaten 1971 hat das Defizit in der Zahlungsbilanz der USA 11,3 Milliarden Dollar erreicht, innerhalb eines halben Jahres hat Washington also seinen gesamten Gold- und Devisenbestand "verwirtschaftet".

Diether Stolze, Der tiefe Sturz des Dollar, Die Zeit, August 1971

Der Vergleich zu heute: Von der Finanzkrise 2007/2008 an bis zur Zinswende im Jahr 2022 haben sich die Zentralbanken in Europa und den USA ebenfalls einer expansiven – der sogenannten unkonventionellen oder "ultralockeren" – Geldpolitik bedient, um die Preisniveaustabilität zu garantieren, ohne den Niedrigzins-Kurs zu ändern.

Das sogenannte Quantitative Easing und die umstrittenen Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank führen dabei ebenfalls zu einer Ausweitung der Geldbasis und zu einer Inflation, die durch eine weitere Geldschwemme in der Corona-Krise und den Einbruch der Rohstofflieferungen in der Ukraine-Krise erheblich verstärkt wird.

Seit 1971 hat sich die Situation in dieser Hinsicht nicht wesentlich verändert, die lebensverlängernden Maßnahmen des Kapitalismus dauern fort. Handelsbilanzdefizit und Staatsschulden der Vereinigten Staaten sind seither auf 421 Milliarden beziehungsweise 31,4 Billionen Dollar angewachsen.

Im Januar 2023 wurde die Schuldenobergrenze (debt-ceiling) erreicht.

Neue Geldordnung, neue Umweltordnung

Zu unkonventioneller Geldpolitik im engeren Wortsinn greift auch US-Präsident Nixon am 15. August 1971, als er zur Überraschung der Öffentlichkeit mit der Notstandsverordnung executive order-11615 die "vorübergehende" Aufhebung des festen Goldwechselkurses verkündet (sog. Nixon-Schock). Währungen sind fortan dem sogenannten "free float" von Angebot und Nachfrage auf dem Devisenmarkt überlassen.

Nixons erklärtes Ziel ist es, Preise und Löhne einzufrieren und eine weitere Inflation zu verhindern. Mittelfristig erreicht wird das durch die Abwälzung des US-Währungsdrucks auf die ausländischen Staaten (Phänomen der importierten Inflation). Wohin Nixons Entscheidung langfristig führen wird, weiß niemand. Die Angst vor dem großen Crash macht sich breit.

Auch hier lässt sich leicht eine Parallele zu unserer Zeit aufzeigen, in der die sogenannten Crash-Propheten allerorten – ob nun begründet oder nicht – das bevorstehende Ende des Kapitalismus verkünden. Wichtiger noch ist aber die Parallele zu einem Paradigmenwechsel in der Geldpolitik.

Der geschätzt 1,25 Billionen teure Wiederaufbau der Ukraine stellt vermutlich nur eine Verschnaufpause bis zum mutmaßlich unausweichlichen "nächsten Abschwung" dar.

Das Kapitalverwaltungsunternehmen BlackRock, welches mit der "Macht des Kapitalismus" im Rücken den Wiederaufbau der Ukraine koordiniert, hat 2019 in seinem "Going Direct"-Paper einen Weg beschrieben, wie sich besagter Abschwung vermeiden lässt.

BlackRocks Wunderwaffe ist ein sogenanntes Vollgeldsystem in Form von digitalem Zentralbankgeld (CBDC), mit dem sich währungspolitische Maßnahmen direkt in das Geld einprogrammieren lassen – ein Verfallsdatum etwa. Oder Negativzinsen. Die Anregung von BlackRock wird weltweit aufgegriffen. (siehe Telepolis-Artikel "Mit dem digitalen Geld in die Unfreiheit?") Es wäre eine kaum geringere Revolution als der Nixon-Schock.

Zurück in die 1970er: Nicht nur die Geldpolitik wird Anfang jenes Jahrzehnts revolutioniert, am 5. Juni 1972 wird in Stockholm auch eine Revolution der Umweltpolitik ausgerufen.

Die Weltumweltkonferenz der Vereinten Nationen steht unter dem Eindruck des im März erschienenen Berichts "Grenzen des Wachstums" aus dem US-amerikanischen Wissenschafts-Thinktank Club of Rome – gegründet 1968 unter Mitwirkung des US-amerikanischen Investmentbankers und Spross der bekannten Standard-Oil-Dynastie, David Rockefeller.

Neben Vereinbarungen zur Aufrechterhaltung der Biodiversität (Cartagena-Protokoll) und dem Schutz der Ozonschicht (Montreal-Protokoll) zählen vor allem die Klimarahmenkonvention (UNFCCC) und das Kyoto-Protokoll zu den vorausweisenden Meilensteinen der Konferenz, deren Zielsetzungen uns bis heute begleiten. Auf die Bedeutung der neuen Umweltordnung kommen wir später noch ausführlich zu sprechen.