Lastenräder: Wechselcontainer mit Akku und Solarzellen

Lastenräder mit Wechselcontainern aus Bio-Kunststoff, mit eingebauten Akkus und Solarmodulen können die Logistik auf der letzten Meile verbessern.

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Das Schwerlast-Fahrrad der Universität Stuttgart und der Firma Radkutsche soll mehr Nachhaltigkeit in den innerstädtischen Lieferverkehr bringen.

(Bild: Universität Stuttgart/IFB)

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Eine komplette Europalette passt auf die Lastenräder, die die Uni Stuttgart und die Radkutsche GmbH entwickelt haben. Beladen werden können die Paletten bis zu einer Höhe von 1,36 Meter. Macht also ein Ladevolumen von rund 1,3 Kubikmetern. Das an sich ist nichts Besonderes – es gibt bereits seit Jahren Lastenräder mit deutlich mehr. Das Besondere an den Rädern ist, dass sie Teil eines ineinandergreifenden Logistik-Systems werden sollen. Dessen Grundbausteine sind Wechselcontainer aus Bio-Kunststoff, die mit Akkus und Photovoltaik-Modulen ausgestattet sind.

In einem Verteilzentrum können diese Container in Ruhe be- und geladen werden. Fahrerinnen und Fahrer brauchen die vollen Container dann nur noch abzuholen, und bekommen gleichzeitig einen frischen Akku an Bord. Dank der PV-Module können sich die Container teilweise selber aufladen und unterwegs noch ein paar Kilometer zusätzliche Reichweite spenden.

Die Container entstanden im Rahmen des Projekts "CoaLa" ("Biobasiertes Containersystem adaptiert an ein neues, fahrerunterstützendes Lastenrad für den Lieferverkehr auf der letzten Meile"). Noch wiegen sie leer stolze 63 Kilo. Das ist aber auch den Anforderungen geschuldet: Sie sind so ausgelegt, dass bis zu drei Container mit einem Gewicht von je 160 Kilogramm aufeinander gestapelt werden können. Dazu kommen noch vergleichsweise schwere monokristalline PV-Module mit einer Leistung von 180 Watt. Leichtere PV-Folien hätten ein Problem mit der Wärmeabfuhr gehabt, erzählt Projektleiter Mathias Engelfried vom Institut für Flugzeugbau der Uni Stuttgart. Das reine Strukturgewicht der Boxen betrage 35 Kilo.

Container aus Flachsfasern in Kombination mit einem biobasierten Kunststoff und mit integriertem Solarpanel.

(Bild: Universität Stuttgart / IFB)

Damit die Boxen ohne fremde Hilfe gewechselt werden können, lässt sich das Lastenrad hinten pneumatisch absenken. Über eingebaute Schwerlastrollen können die Container dann heraufgerollt werden. Anschließend werden sie fixiert und mit einem Magnetstecker angeschlossen. Alternativ lassen sich die Räder auch mit einem Gabelstapler beladen.

Ein weiterer Teil des Projekts drehte sich um die nachhaltige Herstellung der Boxen. Sie bestehen aus Flachsfasern und Epoxid-Harz. Dieses wird zu 45 Prozent aus einem Öl hergestellt, das als Abfallstoff aus den Schalen von Cashews anfällt. Den petrochemischen Anteil von 55 Prozent hofft Engelfried auch noch loszuwerden. "In naher Zukunft sind 100 Prozent bio-basierte Kunststoffe möglich", sagt er.

Die Flachsfasern werden als fertiges Gewebe zugekauft. Gegenüber Glas- oder Carbonfasern zeigen sie allerdings ein anderes Quellverhalten, das unter anderem zu einer Porenbildung führen kann. Deshalb haben die Forschenden ein spezielles Fertigungsverfahren entwickelt. Fasern und Harz werden in eine Folie eingepackt, unter Vakuum gesetzt und mit zwei Walzen wie bei einer Wäschemangel verpresst. So lässt sich ein Faseranteil von bis zu 45 Prozent erreichen.

Die fertigen Faserplatten werden dann zur Sandwichpaneelen verklebt. Als Kern für diese Sandwiches experimentierten die Stuttgarter unter anderem mit Pappwaben, Kork, Balsa- und Paulowniaholz. Wegen der einfachen Verfügbarkeit entschied man sich dann Balsaholz. Nicht-tragende Teile haben einen Kern aus Pappwaben. Insgesamt haben die Naturfaserplatten nach Angaben der Forschenden ähnliche mechanische Eigenschaften wie solche aus Glasfaserkunststoff.

Das Sandwichmaterial des Containers schöpft die Potenziale des Leichtbaus aus.

(Bild: Universität Stuttgart / IFB)

Sind die Boxen am Ende ihrer Lebensdauer angelangt, lassen sie sich "relativ entspannt thermisch verwerten", spricht verbrennen. Eine Trennung und Wiedergewinnung von Fasern und Harz wäre schwierig. "Dafür sind die Boxen auf eine möglichst lange Lebensdauer ausgelegt", sagt Engelfried.

Entscheidend für den Erfolg des Konzepts ist es, dass die Boxen in großem Rahmen von Logistikern eingesetzt werden – und irgendwann vielleicht so sogar Europaletten oder Pfandflaschen ausgetauscht werden können. Um so etwas anzustoßen, stehen die Projektpartner laut Engelfried mit der irischen und der französischen Post in Verhandlung. Zudem läuft ein Pilotprojekt mit einem Biobauern in Tübingen. Der Radlogistikverband Deutschland hat im vergangenen Herbst bereits Empfehlungen für standardisierte Wechselcontainer im Europaletten-Format ausgesprochen – allerdings ohne Stromanschluss.

Trotz ihrer Breite von 1,20 Meter gelten die Lastendreiräder, rechtlich als Fahrrad, weil sie, wie normale Pedelecs, nur mit 250 Watt bis 25 km/h die Tretkraft unterstützen. Damit müssten sie eigentlich Radwege benutzen. "Für normale Radwege sind sie aber nicht wirklich geeignet", gibt Engelfried zu. Es gebe aber bereits eine Vielzahl anderer Lastenräder ähnlicher Dimension, die in der Regel problemlos auf Straßen unterwegs sind. Rechtlich ist das eine Grauzone, wird aber üblicherweise toleriert.

(grh)