Glasfaserausbau: "Wir fahren auf der Autobahn ja auch kein Moped"

Hartwig Tauber, Generaldirektor des Fiber-to-the-Home Council Europe, spricht im TR-Interview über Defizite bei der Breitbandversorgung - und die Frage, warum hiesige Telekommunikationskonzerne bei wirklich schneller Technik für Endkunden weiter zögern.

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Der Fiber-to-the-Home Council Europe versammelt Anbieter von Glasfasertechnik wie Cisco, Motorola, Nokia Siemens Networks, Huawai oder Alcatel-Lucent. Hartwig Tauber, 36, war vor seiner Tätigkeit als Generaldirektor der in Brüssel ansässigen Organisation unter anderem Professor an der IMC Fachhochschule Krems und unabhängiger Telekommunikationsexperte.

Technology Review: Herr Tauber, wie kommt es, dass in Ländern insbesondere im asiatischen und skandinavischen Raum die Glasfaser-Technologie problemlos verfügbar ist, sie hier zu Lande aber den meisten Telekommunikationskonzernen als zu teuer gilt?

Hartwig Tauber: Einige asiatische Länder, aber auch Schweden, haben früh erkannt, dass eine echte Breitbandinfrastruktur ein wichtiger Faktor in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung eines Landes darstellt. In einigen asiatischen Städten, z.B. in Südkorea gilt eine schnelle Internet-Verbindung ebenso als Statussymbol wie bei uns ein schnelles Auto.

Anstatt laufend die Frage zu stellen, ob man 100 Megabit pro Sekunde wirklich benötigt, nutzen die Anwender dort die Bandbreite einfach. Und Statistiken etwa vom Telekomriesen NTT in Japan zeigen, dass die zusätzliche Bandbreite tatsächlich vom Endkunden in beide Richtungen genutzt wird.

TR: Die Deutsche Telekom hat beim jüngsten DSL-Evolutionsschritt VDSL mit bis zu 50 Megabit pro Sekunde seit 2006 damit begonnen, die neue Technik nicht mehr von vorne herein über Drittanbieter vermarkten zu lassen, sondern wollte sie zunächst für sich behalten. War das eine strategisch kluge Entscheidung?

Tauber: Der FTTH Council Europe tritt für einen schnellen Ausbau von FTTH-Netzwerken in Europa ein. Es ist deshalb nicht an uns, die Entscheidung der Deutschen Telekom betreffend VDSL zu bewerten. Wenn diese allerdings dazu führt, dass alternative Anbieter deshalb ihre eigenen FTTH-Netze bauen, so begrüßen wir diesen beschleunigten Ausbau von FTTH in Deutschland.

TR: VDSL wird über eine Kombination aus Glasfaser und Kupfer realisiert. Ist das nicht sinnvoll, weil kostengünstiger?

Tauber: Man könnte die Gegenfrage stellen: wenn man weiß, dass man eine Autobahn bauen möchte – ist es dann sinnvoll und kostengünstiger, zuerst eine Landstraße zu bauen und diese kurz darauf auf eine Autobahn zu erweitern? Die limitierten Bandbreiten von Kupfertechnologien sind ja bekannt – und VDSL ist damit nur ein künstliches Hinausschieben des Endausbaus, der in den meisten Fällen sogar höhere Gesamtkosten bedeutet als der direkte Schritt zu FTTH.

TR: VDSL ist mit 50 Megabit ja noch nicht am Ende seiner Fahnenstange, könnte mit neuer Modemtechnik oder Modulation noch verbessert werden.

Tauber: Jede Form der Datenübertragung über Kupfer ist durch die Physik limitiert. Höhere Datenraten bedeuten immer gleichzeitig kürzere Übertragungswege. Und wenn man für eine höhere Bandbreite sowieso schon bis wenige Meter vor die Haustüre des Kunden gehen muss, sollte man gleich die nahezu unlimitierte Lösung mittels Glasfaser überlegen.

Darüber hinaus wird oft vergessen, dass auch VDSL asymmetrisch ist, das heißt, die hohen Datenraten werden immer nur in eine Richtung erreicht. Wer schon einmal versucht hat, ein Urlaubsvideo mit mehreren 100 Megabyte mittels VDSL an einen Kollegen zu senden, wird schnell bemerken, dass der Upstream auch bei VDSL sehr limitiert ist.

TR: Für VDSL sind ja bekanntlich mindestens "Fiber to the Node", also Glasfaser bis zum Verteiler, beziehungsweise "Fiber to the Curb", also Glasfaser bis zum Bordstein, notwendig. Wäre das Ziehen der Fasern bis zum Endkunden da nicht relativ einfach?

Tauber: Dies hängt von vielen Faktoren ab. Tatsächlich ist der Weg zum Endkunden in vielen Fällen nicht mehr weit. Allerdings sind dennoch zusätzliche Investitionen notwendig, vor allem bei der Verkabelung innerhalb von Wohnhäusern und Wohnblöcken. Hier möchten vor allem die ehemaligen Monopolisten ihre vorhandene Infrastruktur noch so lange wie möglich "ausquetschen".

TR: Für den Endkunden hören sich die mit VDSL maxmimal verfügbaren 50 Megabit nach sehr viel an. Braucht man die in einigen asiatischen Ländern verfügbaren Bandbreiten im Gigabit-Bereich tatsächlich für die Versorgung z.B. einer Familie?

Tauber: Tatsächlich klingen 50 MBit/s nach viel Bandbreite. Doch gibt es diese Geschwindigkeit nur in eine Richtung. Der Upstream ist, wie erwähnt, weiterhin relativ schmalbanding. Darüber hinaus gibt es viele Situationen, wo man sich kurzfristig mehr Bandbreite wünschen würde.

Ich werde häufig mit dem Irrtum konfrontiert, der besagt, dass ein typischer Internet-Nutzer im Schnitt nur einige wenige Megabit pro Sekunde benötigt. Denn diese Untersuchungen basieren auf derselben Annahme wie jene Studien, die besagen, dass Autos in England im Schnitt 24,5 km/h und in den US im Schnitt mit 39,11 km/h fahren. Wozu würden wir dann Autos benötigen, die 100 km/h und mehr fahren können? Selbst ein Mofa würde reichen!

Ebenso ist es mit der Bandbreite im Haushalt. Wenn ich schnell ein HD-Video herunterladen möchte, benötige ich für diese Zeit hohe Datenraten. Ich selbst war erst kürzlich in der Situation, dass ich ein Kongressvideo heruntergeladen habe, während meine Tochter im Sony-Laden neue Lieder für "SingStar" auf der PS3 geladen hat, mein Laptop das neue Service Pack von Vista installieren wollte und mein Sohne ein Dinosaurier-Video in HD-Qualität auf YouTube ansehen mochte. Sie können mir glauben: ich hätte dringend mehr als 50 Megabit pro Sekunde benötigt...

TR: Welche Anwendungen sind mit Glasfaser möglich, die heute nicht gehen?

Tauber: Mit Glasfaser werden wir eine neue Qualität der Telekommunikation erleben. Dies gilt für problemloses Nutzen von interaktiven HD-Videos, neuen Formen der Interaktion mittels Videokonferenz oder der gleichzeitigen Nutzung mehrerer Dienste zur selben Zeit ebenso wie für echte Telearbeit, kooperatives Telelearning oder Online-Spiele.

Es müssen dabei nicht unbedingt völlig neue Dienste herauskommen, sondern bereits das Wegfallen von Flaschenhälsen z.B. bei der Videokommunikation kann dazu führen, dass die Betreuung älterer Personen zu Hause plötzlich möglich wird. Und mit der zunehmenden Verschiebung vieler Anwendungen in das Netz werden hohe symmetrische Bandbreiten und hohe Service-Qualität immer wichtiger.

Eine Reihe von Anbietern stehen schon mit Diensten in den Startlöchern, die sie mit heutigen Standard-Bandbreiten nicht auf den Markt bringen können. Ich möchte hier einfach Myles MacBean vom Walt Disney-Konzern zitieren, der als Abschluss einer Präsentation über neue Online-Services von Disney gemeint hat: "Give us the glass and we will break it!"

TR: Das klingt alles schön – derzeit scheint der Trend aber eher in Richtung eingebauter Datenbremse zu gehen. So hat die erwähnte Telekom gerade ihr VDSL-Angebot ohne Zusatzdienste vorgestellt, bei dem plötzlich bei maximal 200 GB mit der vollen Geschwindigkeit Schluss sein soll. Bei Glasfaseranschlüssen wären die noch viel schneller erreicht.

Tauber: Dieser "Trend" ist unter Umständen in einer spezifischen Produktpolitik eines Anbieters zu suchen. Wie schon bei der Einführung von ADSL gibt es gerade bei konservativen Anbietern die Unsicherheit, wie die neuen Bandbreiten von den Kunden genutzt werden. Und dann wird viel zu häufig auf einige wenige "Heavy-User" konzentriert, statt die durchschnittliche Nutzung zu betrachten.

Dennoch sollte man sich zumindest die gesetzte Grenze an sich vor Augen halten. Während bei den erste ADSL-Angeboten oft bei 5 GByte und weniger das Limit gezogen wurde, sind es heute bereits 200 Gigabyte. Und auch diese werden bald den ersten "Flat"-Angeboten mit "Fair Use" weichen...

TR: Wie verhält sich die Bundesregierung in Sachen Glasfaserausbau? Derzeit will man dort ja massiv ländliche Regionen mit Breitbandanschlüssen ausstatten, die heute noch weiße Flecken sind.

Tauber: Das FTTH Council Europe unterscheidet drei unterschiedliche Regionstypen, wenn es um öffentliche Interventionen geht. Während wir meinen, dass in Ballungszentren der Markt dafür sorgen wird – und teilweise auch in Deutschland schon dafür sorgt – dass FTTH ausgebaut wird, bedarf es in ländlichen Regionen gewisser Unterstützungen. Dies muss jedoch nicht gleich eine vollständige Finanzierung des Netzausbaus sein.

Oft können schon intelligente Fördermaßnahmen große Wirkung haben. Eine Studie hat z.B. vor einigen Jahren gezeigt, dass im Schnitt alle sieben Jahre jede Straße einmal aufgegraben wird, um Infrastruktur wie Strom, Gas, Kanal etc. zu verlegen, zu erneuern oder zu reparieren. Wenn man nun eine intelligente Koordinierung vornimmt, bei der während dieser Arbeiten auch Glasfaserleitungen oder zumindest Leerrohre verlegt werden, könnte man einen großen Teil der FTTH-Investitionen, nämlich die Grabearbeiten, einsparen.

Und dann sieht die Situation auch auf dem Land plötzlich anders aus. Hier bedarf es allerdings eines klaren politischen Willens wie er beispielsweise heute in Griechenland ebenso gezeigt wird wie in Frankreich oder Portugal. (bsc)