Volksentscheid in Berlin gescheitert: Keine Chance für das Klima?

Bild: Leopictures auf Pixabay

Die Beteiligung an der Abstimmung lag unter der erforderlichen Quote. Auch die Linke zeigte sich skeptisch ob der sozialpolitischen Folgen. Was man aus dem Scheitern lernen könnte.

Wer auf die Internetseite des Berliner Klimavolksentscheids schaut, könnte denken, die Initiative wäre erfolgreich gewesen. "Danke für die 442.210 – 51 % stimmen für Klimavolksentscheid" steht dort. Nicht erwähnt wird, dass der Volksentscheid gescheitert ist, weil das nötige Quorum nicht erreicht wurde.

Um dieses Ziel zu erreichen, müssten 607.518 wahlberechtigte Berlinerinnen und Berliner zustimmen, dass Berlin nicht erst 2045, sondern bereits 2030, also in sieben Jahren, klimaneutral wird.

Die Organisatoren hatten von Anfang an befürchtet, dass sich nicht genügend Menschen an der Abstimmung beteiligen könnten. Deshalb hatten sie darauf gedrängt, den Abstimmungstermin mit der Wiederholungswahl am 12. Februar 2023 zu verknüpfen. Das lehnte die Wahlbehörde offiziell aus organisatorischen Gründen ab.

Dafür wurde sie von Klimaaktivisten arg kritisiert, die in den getrennten Terminen eine bewusste Demobilisierung sahen. Dagegen spricht allerdings, dass die Gegner der Initiative nicht einfach der Abstimmung fernblieben, um die Quote zu drücken. Immerhin gab es 423.418 Nein-Stimmen, das sind 48,7 Prozent der abgegebenen Stimmen. Das zeigt, dass auch die Gegner den Volksentscheid sehr ernst genommen und sich nicht darauf verlassen haben, dass die erforderliche Quote nicht erreicht wird.

Tatsächlich wurde die Initiative durch mehrere Faktoren begünstigt. Dazu gehört eine wahrscheinliche Senatskoalition aus SPD und CDU, zwei Parteien, die zumindest nicht als Vorreiter des Klimaschutzes gelten. Vor allem das wahrscheinliche Ausscheiden der Grünen aus dem Senat hat dazu geführt, dass von dort Unterstützung für das Volksbegehren kam. Noch vor wenigen Monaten wurde davor gewarnt, dass die Forderungen in dem genannten Zeitraum nicht umgesetzt werden könnten.

Die Berliner TAZ-Redaktion hatte in den vergangenen Wochen mit viel Sympathie über die Initiative berichtet. Auch bekannte Künstler mobilisierten am Vortag des Volksentscheids mit einem Konzert am Brandenburger Tor, das allerdings deutlich kleiner ausfiel als von den Organisatoren erwartet. Lag es nur am regnerischen Wetter?

Waren die Klimaaktivisten zu sehr in ihrer eigenen Blase?

Vielleicht lag es auch daran, dass es den Klimaaktivisten nicht gelang, diejenigen zu erreichen, die von der schnellen Klimaneutralität noch nicht überzeugt sind. So waren vielen die konkreten Umsetzungsschritte für das angestrebte Ziel der Klimaneutralität nicht klar.

Die Aktivisten und ihre Juristen hatten einen sehr detaillierten Gesetzesentwurf ausgearbeitet. Wäre der Volksentscheid erfolgreich gewesen, wären alle möglichen zukünftigen Senatskoalitionen daran gebunden gewesen. Doch selbst einige der Organisatoren äußerten in Gesprächen Zweifel, ob sich die Politik daran halten würde. Denn wie Berlin in sieben Jahren klimaneutral werden soll, blieb weitgehend offen, viele konkrete Schritte fehlten.

Linke Kritik am Volksentscheid

Zudem konnten die Befürchtungen nicht ausgeräumt werden, dass wieder besonders einkommensschwache Menschen betroffen sein werden. Gerade in den vergangenen Tagen kamen solche Einwände gegen die Forderungen des Volksbegehrens von linker Seite.

Einer der fundiertesten Kritiker ist der Jurist und linke Bezirkspolitiker Moheb Shafaqyar. Seine Kritik konzentriert sich auf drei Punkte: Er vermisst eine konkrete Strategie, wie die angestrebte frühere Klimaneutralität umgesetzt werden soll.

Im Gesetzesvorschlag selbst findet sich keine Vorstellung davon, wie das Ziel zu erreichen ist. Kein Wort dazu, welche Rolle der wohl relevanteste Bereich, der Verkehr, spielen soll. Anscheinend erachten es die Initiator*innen für hinreichend, ein Gesetz, das Berlin zum "Anstreben" der Klimaneutralität für das Jahr 2045 anhält (Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz – EWG Bln), zu ändern, damit die Klimaneutralität um 15 Jahre vorgezogen und "verpflichtend" wird.

Moheb Shafaqyar, TAZ vom 24.03.2023

Der Linken-Politiker kritisierte zudem, dass das Volksbegehren zu einer Entdemokratisierung und Banalisierung einer menschlichen Existenzfrage führe. Dies werde unter anderem dadurch erreicht, dass nicht das Parlament, sondern der Senat gesetzlich verpflichtet werden solle, Maßnahmen und Konzepte vorzulegen. Die Landesregierung bekäme damit "für sämtliche seiner Konzeptionen eine Carte blanche verliehen".

Außerdem bezweifelt Shafaqyar, dass der Volksentscheid wirklich so sozial ist, wie er vorgibt. Denn er könne den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften als Legitimation dienen, soziale Auflagen wie den Mietenstopp wieder abzuschaffen.

Das würde ermöglicht durch die vom Volksentscheid vorgesehene Entfernung des Gesetzespassus, wonach Maßnahmen keinen Einfluss auf Mieten haben dürfen. Ob der ihn ersetzende Passus, wonach mieterhöhende Maßnahmen durch staatliche Bezuschussung ausgeglichen werden sollen, haltbar und als Anspruch für Mieter*innen heranziehbar wäre, sei dahingestellt.

Moheb Shafaqyar, TAZ

Wacht auf Verdämmte dieser Erde

Die Angst ist nicht unbegründet. Für viele Mieter ist der Begriff energetische Sanierung ein Synonym für Verdrängung durch hohe Mieten unter dem Vorwand des Klimaschutzes. Unter dem Motto "Wacht auf Verdämmte dieser Erde" organisierten von energetischer Sanierung Betroffene gemeinsam mit dem Aktionskünstler Kurt Jotter Protestaktionen. Sie leugnen keineswegs den Klimawandel, wehren sich aber dagegen, dass wieder die Armen die Hauptlast tragen sollen.

"Zu glauben, Klimaschutz könne einfach per Gesetz verordnet werden, ohne konkrete Maßnahmen vorzulegen, ist eine Illusion", kritisiert Shafaqyar. Die sozialschädlichen Wirkungen dennoch scharfzustellen, spiele Soziales gegen Klimaschutz aus.

Das Scheitern könnte für die Klimabewegung auch eine Lehre sein, weniger auf die Kooperation mit Staatsapparaten zu setzen, wie es die Klimagruppe Letze Generation macht, wenn sie Klimaabkommen mit Bürgermeistern einzelner Städte schließt.

Notwendig wären stattdessen mehr Bündnisse mit Lohnabhängigen und Armen. Die Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft Ver.di zur Unterstützung des Tarifkampfes der Beschäftigten bei der Bahn und im öffentlichen Nahverkehr weist in die richtige Richtung.

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