Nachhaltigkeit im All: Welche Regeln sind nötig?

Ist die Weltraumfahrt nachhaltig? Dieser Frage ging ein Workshop zum "Neuen Weltraumzeitalter" nach.

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(Bild: Skylines/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske

Die Erkundung und Erschließung des Weltraums mit unbemannten und bemannten Raumfahrzeugen wird immer noch vorrangig als naturwissenschaftliches und technologisches Unterfangen betrachtet. Dabei ist längst klar, dass sich im All auch gesellschaftlich, politisch und philosophisch neue Perspektiven ergeben. Um diese Aspekte stärker in den Fokus zu rücken, veranstaltet die Schader-Stiftung in Darmstadt eine dreiteilige Workshop-Reihe zum "Neuen Weltraumzeitalter". Beim zweiten Workshop stand jetzt das Thema Nachhaltigkeit im Mittelpunkt.

Unter dem Titel "Zwischen Ausplünderung und neuer Mitwelt" diskutierten die Teilnehmer darüber, ob und wie sich im Weltraum die Fehler vermeiden lassen, die wir auf der Erde beim Umgang mit Ressourcen und Müll begangen haben. Eine Frage, die dabei immer wieder aufgeworfen wurde, lautete: Wer genau ist "wir"? So wurde etwa eingeworfen, dass die Raumfahrt gegenwärtig vor allem durch die Rivalität zwischen den USA und China geprägt werde. Keine dieser Nationen würde sich groß darum scheren, was anderswo geplant oder diskutiert würde. Auch der 1967 verabschiedete Outer Space Treaty, der es Nationen verbietet, außerirdische Gebiete für sich zu beanspruchen, werde sie gewiss nicht davon abhalten, auf dem stets von der Sonne beschienenen Rand des Malapert-Kraters am Mondsüdpol Stationen zu errichten, sobald sie es können. Wer sollte sie daran hindern?

Chiara Moenter (ESA) zitierte in ihrem Kurzvortrag einen Satz von Marshall McLuhan: "Auf dem Raumschiff Erde gibt es keine Passagiere, wir gehören alle zur Besatzung." Damit ist sehr schön die Verantwortung jedes und jeder Einzelnen für den Erhalt des Planeten ausgedrückt. Aber auch hier wurde eingewandt, dass Raumschiffbesatzungen in der Regel hierarchisch strukturiert sind: Wer hat das Kommando und bestimmt den Kurs? Wer schrubbt das Deck?

Bei aller ernüchternden Realpolitik, die jede Vision von einem gerechteren und solidarischen Miteinander im All rasch ersticken kann, gibt es jedoch auch Entwicklungen, die zur Kooperation zwingen: So kann der bislang weitgehend ungeregelte Betrieb von Satelliten insbesondere im erdnahen Orbit über kurz oder lang dazu führen, dass dort niemand mehr Satelliten stationieren kann. Denn irgendwann wird die Zahl der dort unkontrolliert herum fliegenden Teile das Kollisionsrisiko zu groß werden lassen.

Daniela Schmidt von der Bremer Raumfahrtfirma OHB SE schlug vor, sich vorzustellen, wie es auf der Erde aussehen würde, wenn alle bisher produzierten Autos immer noch irgendwo herumstehen würden, ohne Schrottplätze und Verkehrsregeln. Wartung, Recycling oder Entfernung von Satelliten seien nach wie vor keine gängige Praxis. Das könne sich nur ändern, wenn es den Betreibern empfindlich weh tue, den eigenen Satelliten am Ende seiner Lebensdauer nicht wieder herunterzuholen. Dafür wiederum brauche es verbindliche Regeln.

Es wäre natürlich wünschenswert, wenn sich die Akteure über solche Regeln für mehr Nachhaltigkeit im Weltraum nicht erst verständigten, wenn ihnen das Wasser bis zum Hals steht. Anzeichen dafür sind aber kaum zu erkennen. Der Weltraumdiskurs sei weiterhin dominiert von Dominanzdenken, Machterhalt, Konkurrenz, stellte Reinhard Heil vom Karlsruher Institute of Technology fest. Es gebe bisher keine Ansätze oder Visionen, die Kolonialismen vergangener Jahrhunderte vermeideten. Visionen einer Zukunft im Weltraum stellten überwiegend Weiterentwicklungen bisheriger Aktivitäten dar, statt qualitativ neuer Ansätze.

In Vorträgen und Diskussionen wurde wiederholt darauf verwiesen, dass Weltraumtechnologien zu mehr Nachhaltigkeit auf der Erde beitragen könnten. In der Tat ist etwa die Bedeutung der Fernerkundung aus dem All für Wettervorhersage und Klimaforschung nicht zu leugnen. Gleichwohl bedeutet das aber auch, dass nun versucht wird, die Schäden, die durch den massenhaften Einsatz industrieller Technologien verursacht wurden, nun durch noch ambitioniertere Technologie wieder in den Griff zu bekommen. Kann das gelingen? Oder wäre es nicht eher im Sinne der Nachhaltigkeit, ganz auf Raumfahrt zu verzichten?

Es macht die besondere Qualität dieser Workshop-Reihe aus, dass auch solche radikalen Positionen diskutiert werden können. Tatsächlich erscheint der Weltraum ja häufig als willkommenes Brachland, um dort weiterhin die Ideen von unbegrenztem Wirtschaftswachstum verfolgen zu können, die auf der Erde zunehmend in Zweifel gezogen werden. Vielleicht wäre es wirklich ratsam, sich zumindest so lange mit Raumfahrtunternehmungen zurückzuhalten, bis die Menschheit sich von dem Wachstumswahn erholt hat? Oder bieten sich im Weltraum Möglichkeiten, die soziale Energie, die bisher überwiegend ins wirtschaftliche Wachstum geflossen ist, dafür zu nutzen, die Menschheit auf eine höhere kulturelle Stufe zu heben? Antworten darauf bietet vielleicht der dritte und letzte Workshop der Reihe, bei dem es im Oktober unter dem Titel "Zwischen Utopie und Perspektivwechsel" um Zukunftsvisionen vom Leben im All gehen soll.

(olb)