"Rakete zu den Planetenräumen": 100 Jahre Grundlage der Raumfahrt

Hermann Julius Oberth legte mit seinem Werk "Rakete zu den Planetenräumen" die Grundlagen für die Raumfahrt. Doch kennt ihn kaum einer.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 22 Kommentare lesen

(Bild: Alones/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Marco Krefting
  • dpa
Inhaltsverzeichnis

Elon Musk kennt nahezu jeder – Hermann Oberth kaum jemand. Dabei fußen Musks hochfliegende Raketenpläne auf den Überlegungen des Physikers: Oberth war es, der vor 100 Jahren mit seinem Buch "Die Rakete zu den Planetenräumen" als Erster sauber durchrechnete, wie eine Rakete funktionieren kann. Fachleute sprechen vom "Vater der Raumfahrt" und einer "epochalen Entdeckung". Ohne die damals gelegten Grundlagen könnte das Raumfahrtunternehmen SpaceX von Elon Musk wohl nicht am gigantischen Raketen-Raumschiff-System "Starship" tüfteln, das Menschen zu Mars und Mond bringen soll. Zu Jahresbeginn werde es einen Testflug geben, hatte Musk angekündigt – ob und wann es dazu kommt, ist derzeit allerdings unklar.

Angeregt durch die Lektüre von Jules Vernes Mondromanen und eigene astronomische Beobachtungen hatte Hermann Julius Oberth schon als Gymnasialschüler an ersten Raketenplänen gearbeitet, wie man beim Museum und Archiv für Raumfahrtgeschichte in Oberths langjährigem Wohnort Feucht in Franken weiß. Während seines Physikstudiums in München, Göttingen und Heidelberg verfasste er 1922 das Manuskript zu seinem Erstlingswerk.

Zu jener Zeit habe Raumfahrt vor allem in utopischen Romanen eine Rolle gespielt, sagt Museumsdirektor Karlheinz Rohrwild. "Oberth hat das auf die Ebene des Möglichen geholt." Die Grundvoraussetzungen seien nach wie vor die gleichen: "Alles, was in dem Buch steht, hat heute noch Relevanz."

Oberth habe mit zwei damals verbreiteten Vorurteilen aufgeräumt, erklärt Joachim Block, Honorarprofessor an der TU Braunschweig und früherer Leiter mehrerer Standorte des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Zum einen sei man davon ausgegangen, Raketen könnten sich im Vakuum nirgends abstoßen und somit nicht fliegen.

Zum anderen gab es nach Worten Blocks in der damaligen Vorstellung keinen Treibstoff, der genug Energie aufbringen könnte, um das eigene Gewicht aus dem Schwerefeld der Erde zu manövrieren – geschweige denn auch noch Ballast wie eine Rakete. "Oberth hat klargemacht, dass ein Großteil des Treibstoffs das Schwerefeld gar nicht verlassen muss." Wie jeder bei Raketenstarts sehen kann, entsteht ein gewaltiger Feuerball noch am Boden. Wenn Raketen in mehreren Stufen gebaut sind, die nach und nach abgeworfen werden, wird die ins All zu befördernde Masse immer kleiner. Als Brennstoff stellte Oberth sich flüssigen Sauerstoff und Spiritus vor – die Flüssigkeitsrakete war entworfen.

Die erste Stufe der technologischen Entwicklung war damit erreicht, wie Block betont. "Der wissenschaftliche Durchbruch." In seinem Buch beschrieb Oberth auch mögliche Anwendungsszenarien, wie Michael Zuber vom Raumfahrtmuseum sagt. Mit heutigen Worten sei es dabei zum Beispiel um Erdbeobachtung und Klimamessung gegangen, Kommunikation von Kolonien mit dem Mutterland, aber auch um Spionagezwecke.

Als Oberth mit "Die Rakete zu den Planetenräumen" promovieren wollte, scheiterte er in Deutschland allerdings. "Seine Dissertation über die kosmische Rakete wurde von der Universität Heidelberg als zu phantastisch zurückgewiesen", heißt es in der Erfindergalerie des Deutschen Patent- und Markenamts dazu. Museumsdirektor Rohrwild wiegelt ab: Es habe damals schlicht keinen Professor gegeben, der vom Zuschnitt seiner Fächer her die Doktorarbeit hätte annehmen können.

Oberth zog zurück nach Siebenbürgen ins heutige Rumänien zu Frau und Kindern. An der Universität Klausenburg schloss er ein Lehrerstudium ab – mit einem Teil der abgelehnten Dissertation als Abschlussarbeit. Dass der Münchner Verlag Oldenbourg am 26. Juli 1923 "Die Rakete zu den Planetenräumen" veröffentlichte, bezeichnet Rohrwild als mutigen Schritt. Das Buch habe sich anfangs nicht gut verkauft.

Doch der junge Wernher von Braun bekommt es in die Finger. Bezahlt mit Spargroschen, wie es in Bernd Rulands Biografie "Wernher von Braun – mein Leben für die Raumfahrt" heißt. "Zu meiner großen Überraschung war das Buch vollgespickt mit Mathematik."

Von Braun verstand demnach kaum etwas, war gerade wegen Unfähigkeit in Mathematik sitzen geblieben. "Ich bin dann mit dem Oberth-Buch zu meinem Mathematiklehrer gegangen und habe ihn gefragt, was ich machen müsse, um den Inhalt zu begreifen. Er sagte mir ganz einfach: 'Mein lieber Freund, da mußt du erst mal Mathematik lernen!'" So habe er sich auf den Hosenboden gesetzt und ein paar Jahre später wenigstens die Hälfte des Buches verstanden. Heute gilt von Braun als Wegbereiter von Raketenwaffen unter den Nazis im Zweiten Weltkrieg.

Dass seine Ansätze zu Waffen ausgebaut werden, sei nicht Oberths Absicht gewesen, sind Rohrwild und Zuber überzeugt. Er habe im Ersten Weltkrieg als Soldat und als damaliger Medizinstudent als Hilfsarzt im Lazarett gedient. Auch sei Oberth nie wirklich politisch, ein Abstecher zur NPD in den 1960er-Jahren eher ein Ausrutscher gewesen.

1928 erhielt Oberth als wissenschaftlicher Berater von Regisseur Fritz Lang die Möglichkeit, bei der Produktion des Films "Eine Frau im Mond" praktische Raketenversuche zu unternehmen. Zeitweise ließ er sich freistellen, arbeitete in der Schweiz, Deutschland, Italien und den USA. Weil er viel eigenes Geld in seine Forschung steckte, trieb ihn das an den Rand des Ruins. "Eigentlich ein Drama", sagt Rohrwild.

Immer wieder verschlug es Oberth nach Feucht, wo er bis in die 1970er-Jahre ein gefragter Experte war – bis der Wettlauf ins All zwischen den USA und der Sowjetunion endete. Danach wurde es bis zu seinem Tod 1989 ruhig um ihn. Doch viele Auszeichnungen wie das Bundesverdienstkreuz ehrten sein Werk.

Dass seinen Namen heute kaum ein Laie kennt, erklärt Rohrwild mit eben jenem Kräftemessen der Großmächte, die jeweils ihre eigenen Nationalhelden auf den Raumfahrt-Thron gehoben hätten: die Russen Konstantin Ziolkowski, die Amerikaner Robert Goddard. Deutschland habe in der Nachkriegszeit bei dem Thema nichts zu melden gehabt. Auch eine Analyse aus dem National Air and Space Museum in Washington kam 1996 zu dem Schluss, dass Oberth der wahre Vater der Raumfahrt war. Präsent ist er übrigens auch bei Musks Raketenschmiede SpaceX: Die twitterte vor einigen Jahren ein Foto vom Schild an einem ihrer Konferenzräume – benannt nach Hermann Julius Oberth.

(olb)