Ceatec 2009: Die dritte Dimension klopft an die Tür

Ein Rundgang über Japans wichtigste Elektronikmesse zeigt, dass wir unwiderruflich auf der Schwelle zur 3D-Welt stehen.

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Von
  • Martin Kölling

Einige meiner Kollegen sind von der japanischen Elektronikmesse Ceatec enttäuscht. Denn die ganz großen Neuigkeiten konnten sie nicht entdecken. Aber das liegt an der Natur des Geschäfts. Als Panasonic voriges Jahr den ersten Full-HD-3D-Flachbildfernseher der Welt vorstellte, sahen die meisten Beobachter die Technologie noch nicht als neuen Megatrend, obwohl sich hier deutlich sichtbar die nächste Revolution des TV-Geschäfts ankündigte. War ja nur ein Hersteller. Nach der amerikanischen CES und spätestens der deutschen IFA hatte dann aber jeder begriffen, dass da was neues kommt. Da wirkt die 3D-TV-Schwemme auf der Ceatec natürlich wie ein Deja-vu. Dennoch bietet die Messe immer noch einen Blick in die Kristallkugel, wenn man ein bisschen achtsam ist – diesmal sogar buchstäblich.

Am Eingang der Halle für Konsumelektronik (meine Bilderstrecke gibt es hier) hat die kleine Erfinderstube Holoart auf ihrem zwei Quadratmeter großen Stand eine Glaskugel ausgestellt, die durch ein hineinprojiziertes Bild zum feschen Display mutiert. Das Bild war zwar nur 2D, aber es wirkte fast holografisch und deutete dabei in die Richtung, in die sich die Unterhaltungselektronik bewegen wird: Die bisher zweidimensionale Welt von Foto und Film wird in ein 3D-Universum verwandelt. Panasonic-Chef Fumio Ohtsubo kündete am Rande der Ceatec bereits 3D-Videokameras für Normalnutzer an. "Wir gehen in die Richtung von 3D-Camcordern für Konsumenten", sagte er, ohne einen Zeitrahmen zu nennen. Die Technik dafür hat Panasonic bereits für die professionellen Kameras der Filmstudios im Angebot. Ich könnte mir vorstellen, dass nächstes Jahr oder spätestens 2011 die ersten Prototypen gezeigt werden. (Eine 3D-Digitalknipse von Fujifilm gibt es ja schon.)

Aber wie das Geschäft es will, beginnt die Revolution ganz flach mit dem Fernseher. Sony hat gleich seine Hauptbühne der 3D-Technik verschrieben (Slogan: "make.believe") und zeigt auf einem halben Dutzend Flachbildfernsehern Videospiele, Sport und Filme in drei Dimensionen. Auch wenn der Konzern den anderen Herstellern wie Sharp oder Mitsubishi die Schau stiehlt, der Vorreiter bleibt Panasonic. Nachdem das Unternehmenc 2008 den ersten hochauflösenden 3D-Fernseher der Welt vorgestellt hat, folgt dieses Jahr das erste Massenmodell. Der präsentierte 50-Zoll-Plasmafernseher kommt 2010 auf den Markt. Sony wird erst Monate später folgen. Die Konkurrenz dürfte noch ein bisschen länger mit der anspruchsvollen Technik ringen.

Auf den ersten Blick gleichen die Geräte den bisherigen Experimenten: Ohne Brille geht nichts. Noch immer werden zwei leicht versetzte Bilder gesendet, von denen die Gläser je eines an je ein Auge durchlässt. Das Gehirn setzt sich aus den Informationen dann ein räumliches Bild zusammen. Doch die Pixel der kommenden TV-Generation reagieren inzwischen so schnell, dass die Hersteller die zwei Bilder in voller Auflösung abwechselnd auf den Schirm schicken können. Die Kunden tragen daher statt der bisher bekannten rot-grünen Brillen neuartige Hightech-Geräte, die im Takt mit dem Bildwechsel unbemerkbar für das Auge abwechselnd das rechte und das linke Glas verdunkeln. Ein Infrarotsender auf dem Schirm dient dabei als Taktgeber. "Die Technik ist anspruchsvoll, weil die Bilder sehr genau voneinander getrennt werden müssen", sagt ein Manager von Panasonic. Denn wenn es Überschneidungen gibt, wird das Fernsehen vom Augenschmaus zum -graus.

Ohtsubo geht davon aus, dass die Zuschauer nach einem Trommelfeuer von dreidimensionalen Hollywoodschinken und Spielen in in vier bis fünf Jahren den Wert von 3D-TV verstanden haben werden. Man addiere dazu die 3D-Kameras sowie die von Ohtsubo angedachten mobilen, brillenlosen 3D-Displays – und 3D sieht schon fast wie eine naturgesetzliche Entwicklungsstufe der Elektronik aus.

Einen weiteren Beleg für die kurz bevorstehende Zeitenwende der visuellen Wahrnehmungsgewohnheiten stellt das Heinrich-Hertz-Institut des Fraunhofer-Instituts aus, das erstmals an der Ceatec teilnahm. Die deutschen Forscher zeigen ein marktreifes, brillenloses 3D-Display, dessen gestochen scharfe Bilder sich durch Fingerzeig in alle Richtungen drehen lassen. Das Gerät taugt nicht so sehr zum Fernseher, sondern ist als virtueller Kiosk, als Werbe- oder Infodisplay gedacht.

Und so funktioniert es: Wie bei anderen herkömmlichen brillenlosen 3D-Techniken stellt eine Reihe des Displays das Bild für das rechte, eine für das linke Auge dar. Und eine Mikrolinsen-Folie sorgt für die Projektion des Bildes. Das Problem bei dieser Technik ist bisher, dass der Betrachter nur aus einem bestimmten Blickwinkel ein 3D-Bild sehen kann. Bewegt er den Kopf ein bisschen, verschwindet das räumlich Bild. Die Forscher haben das Problem dadurch gelöst, dass die Folie je nach Position und Abstand der Augen bewegt und so die Projektion angepasst wird. Die Erkennung erfolgt durch ein Kamerasystem mit zwei Objektiven, das im Bildschirmrahmen angebracht ist. Das System erkennt die Augen sowie deren Blickwinkel und berechnet die notwendige Anpassung der Mikrolinsen.

Die Qualität ist erstaunlich gut. Doch richtig rund wird das Erlebnis durch die Einfingerbedienung des schwebenden Bildes. Unterhalb des Bildschirmens ist nämlich eine Infrarotsensorenreihe angebracht, die die Fingerbewegung identifizieren kann. 3D-Objekte kann man intuitiv um alle Achsen drehen (ich habe spaßeshalber einen Mammut auf den Rücken gelegt) oder ein schwebendes Menü bedienen. Die Schaltflächen müssen dabei nicht "angeklickt" werden (die Tippbewegung auf virtuelle Schalter hat sich als ungenau erwiesen), sondern man muss nur den Finger eine Zeitlang auf die Schaltfläche halten (Zeitdauer ist einstellbar). Die Zahl der erkennbaren Finger kann erhöht werden, wurde mir versichert. Zehn Finger hat man schon für ein Großdisplay geschafft. Das 3D-Display funktioniert und wird bereits erprobt, unter anderem von einer Ölgesellschaft, wahrscheinlich zur Unterstützung des Bohrbetriebs. Auch für Medizinstudenten ist es eine nette Lernhilfe, weil sie sich etwa Skelette oder virtuelle Organe wunderbar vor Augen führen können. Auch japanische Hersteller experimentieren mit Hand- und Fingersteuerung von Menüs, aber ihre Lösungen rucken noch gewaltig.

Trotz der Konzentration der Hersteller auf den nächsten Schritt der technischen Entwicklung gab es einen kleinen Ausblick in die etwas entferntere Zukunft des Fernsehens. Panasonic stellte ein Gerät vor, dessen Auflösung vier mal höher als die der derzeitigen Full-HD-Technik ist. Dies ist ideal für schrankwandgroße Bildschirme. Der japanische öffentlich-rechtliche Fernsehsender NHK hat die Technik schon seit Jahren fertiggestellt und sogar bereits weit höher auflösende Kameras entwickelt.

Ansonsten fand ich eher in der Handy-Ecke Interessantes, weniger an Geräten als an Diensten. Fangen wir aber mal mit den Geräten an. Die Handyhersteller haben Techniken fürs Breitbandzeitalter entwickelt, mit denen sich Riesenmengen an Daten aufs Handy transferieren lassen. KDDIs (Netz AU) Infrarottechnik schafft bis zu 1 Gbit/s, das ist 250 mal schneller als normale Infrarotschnittstellen.

Gehen wir zu Diensten und bleiben bei KDDI. Fasziniert hat mich der Handy-Dienst "Marathon Viewer". Damit ermöglicht das Unternehmen reale Marathonwettkämpfe im virtuellen Raum. Hört sich verschroben an, ist aber einfach. Im Internet wird ein Marathonwettkampf organisiert (entweder von KDDI oder den Nutzern selbst), bei dem sich die Wettläufer aus ganz Japan anmelden können. Die Neuerung: Zur Startzeit rennen die Teilnehmer los, und zwar ein jeder oder eine jede in der heimischen Ortschaft. Die Handys der Teilnehmer (ausgestattet mit GPS und Pedometer, beides schon weit verbreitet in japanischen Handys) melden die Laufwerte jedes Teilnehmers an den Server, der aus den Daten in Realzeit ein Ranking ermittelt, den Laufweg misst und die zurückgelegte Strecke mitsamt Zeit und Ranking an die Läufer oder auf einen Computerbildschirm zurückübermittelt. Am Ende wird der Sieger virtuell prämiert.

Konkurrent NTT Docomo hat die Idee umgesetzt, je nach Aufenthaltsort automatisch das Wallpaper und die angezeigten Programmicons auszutauschen. Das Handy stellt dazu mit Hilfe des GPS-Empfängers fest, wo sich sein Träger aufhält – daheim, auf dem Weg zur Arbeit oder auf der Arbeit, und schaltet automatisch den benutzerdefinierten Bildschirm ein. Ein anderer Dienst soll Kindern beibringen, ihr Handy nicht zu viel zu benutzen. Eltern und Kind können dazu eine Nutzungsobergrenze ins Programm eingeben. Schießt die Nutzung über das Limit hinaus, teilt das Handy dies dem Kind mit und fragt, ob es jetzt weitermachen oder abbrechen will. Außerdem wird dem Kind eine Nutzungsgeschichte per Mail zugeschickt, so dass es sich selbst kontrollieren kann. Man lege es auf Freiwilligkeit an, erklärte mir ein Entwickler. Die junge Generation solle damit in der Nutzung von Handy und mobilem Internet geschult werden. Auf Nachfrage gesteht er jedoch, dass die Nutzungsgeschichte auch an die Eltern geschickt werden könnte, wenn ins Programm deren E-Mail-Adresse eingegeben wird. Welche E-Mail dort eingetragen wird, hänge von der Lage in der Familie ab.

Zum Abschluss noch ein wenig Allgemeines: Wegen der Krise ist die Messe stark geschrumpft. Außer Intel war diesmal kein Chip-Hersteller anwesend. Der Sanierungsfall JVC/Victor hat sich auf einen Neun-Quadratmeter-Stand für ein paar Audio-Anlagen beschränkt. Pioneer strich die Teilnahme ganz. Damit fällt die Ceatec inzwischen hinter die IFA in Berlin zurück. Nichtsdestotrotz bleibe ich dabei, dass sie noch immer einen Blick in die Kristallkugel erlaubt. (bsc)