Strom aus dem All

Rückenwind für einen alten Traum: Spätestens in zwanzig Jahren sollen Solarkraftwerke riesige Mengen Energie aus dem All zur Erde beamen.

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Von
  • Keno Verseck

Dieser Text ist der aktuellen Print-Ausgabe 10/2009 von Technologie Review entnommen. Das Heft kann, genauso wie ältere Ausgaben, hier online portokostenfrei bestellt werden.

Rückenwind für einen alten Traum: Spätestens in zwanzig Jahren sollen Solarkraftwerke riesige Mengen Energie aus dem All zur Erde beamen.

Es ist nicht die beste Zeit, um seine Vision zu verwirklichen, das muss John Mankins zugeben. Die Wirtschaftskrise, der niedrige Ölpreis, Sparmaßnahmen bei Raumfahrtagenturen – doch spätestens in zwanzig Jahren, davon ist Mankins überzeugt, wird das erste kommerzielle weltraumgestützte Solarkraftwerk Strom aus dem All zur Erde schicken. Nein – "no kidding" –, das sei keine Schnapsidee, versichert Mankins, sondern realistisch. Der Mann ist kein Spinner: Mankins hat Physik studiert, ein Vierteljahrhundert bei der Nasa gearbeitet und deren Programm für weltraumgestützte Solarenergie (Space Based Solar Power, SBSP) koordiniert. Seit 2005 ist er privater Technologieberater. "Wir müssen uns zwangsläufig nach neuen Energiequellen umsehen", sagt er. "Dabei kommen wir um Solarstrom aus dem All nicht herum."

Anders als auf der Erde steht die Solarenergie im Weltraum permanent und unabhängig vom störenden atmosphärischen Einfluss zur Verfügung. Deshalb arbeiten Wissenschaftler und Ingenieure schon seit Jahrzehnten an Konzepten, um dieses Potenzial nutzbar zu machen. Doch herausgekommen ist dabei bislang vor allem viel bedrucktes Papier. Bisher wollte niemand eine Pilotanlage finanzieren. Im Gegenteil: Die Nasa beispielsweise stellte ihr SBSP-Programm nach der Jahrtausendwende aus Kostengründen ein.

Dabei ist die Idee ganz simpel: In Photovoltaik-Kraftwerken in geostationären Erdumlaufbahnen wird Strom erzeugt und anschließend in energiereiche Mikrowellen umgewandelt. Die werden zur Erde gesandt und dort von speziellen Empfangsantennen in Strom zurückverwandelt. So weit die Theorie. Ihre praktische Umsetzung bedürfe zwar "keiner Magie und keiner physikalischen Grundlagenforschung", wie Mankins anmerkt. Doch sie ist – noch jedenfalls – teuer und kompliziert. Zum einen sind die Transportkosten für Material in eine Erdumlaufbahn sehr hoch. Zum anderen gibt es bisher keine verfügbare Technologie, um den Strom zur Erde zu schicken.

Immerhin: Anfang September 2008 gelang Mankins auf den Hawaii-Inseln die erste Langstreckenübertragung von Strom mittels Mikrowellen. Vom Haleakala-Vulkan der Insel Maui aus sandte er einen mit Solarstrom erzeugten Mikrowellenstrahl der Frequenz 2,45 Gigahertz (wie sie auch für Übertragungen aus dem All benutzt werden würde) zu einem Empfänger auf dem 148 Kilometer entfernt gelegenen Vulkan Mauna Loa der Insel Hawaii. Der dort zurückgewandelte Strom reichte zwar nicht einmal aus, um auch nur die kleinste Energiesparlampe zum Leuchten zu bringen. Doch das lag, so Mankins, "nicht an der Physik, sondern am geringen Budget des Experiments"– der Fernsehsender Discovery Channel hatte die Versuchsanordnung gesponsert. Prinzipiell sei der Test, so Mankins, ein voller Erfolg gewesen.

An dem Experiment war auch ein alter Kollege von Mankins beteiligt: Nobuyuki Kaya, Professor für Ingenieurwissenschaften an der Kobe-Universität in Japan. Kaya hatte bereits 2006 mit einer Höhenforschungsrakete in 210 Kilometer Höhe die automatische Entfaltung eines 130 Quadratmeter großen antennenartigen Metallnetzes sowie die Mikrowellen-Kommunikation mit einer Bodenstation erprobt. Jetzt planen die beiden ein neues Experiment: Im kommenden Frühjahr wollen sie auf Hawaii erneut die Energieübertragung via Mikrowellen testen – diesmal mit weitaus größeren Sende- und Empfangsanlagen und mit einer dynamischen Zielvorrichtung, die den Mikrowellensender genau auf den Empfänger ausrichtet. Die sogenannte retrodirektive phasengesteuerte Gruppenantenne (retrodirective phased array) sorgt dafür, dass der Sendestrahl immer genau in der Mitte des Empfängers fokussiert wird.

Unterdessen gibt es nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Unternehmer, die davon überzeugt sind, dass sich mit Weltraum-Strom Geld verdienen lässt: Einer von ihnen ist Gary Spirnak, ein kalifornischer Ingenieur, der früher bei der US-Luftwaffe und Boeing arbeitete und seit 2001 die Firma Solaren leitet. Im April dieses Jahres gelang Spirnak ein PR-Coup, der ihn und Solaren in die Schlagzeilen der Energie- und Raumfahrtbranche brachte: Die Pacific Gas and Electric Company (PG&E), einer der größten kalifornischen Energieversorger, schloss mit Solaren einen Vertrag über Stromlieferungen aus dem All ab. Solaren soll ab Sommer 2016 200 Megawatt Elektrizität an PG&E liefern.

Zwar muss Solaren erst noch Investoren finden, die "einige Milliarden Dollar" in das Projekt investieren, doch Spirnak ist sicher, dass seine Firma den Termin halten kann. Über Einzelheiten der Solaren-Technologie mag er allerdings nichts verraten. Nur so viel: Das Sonnenlicht soll mit faltbaren, superleichten Spiegeln, vermutlich aus Mylar oder Polyethylen-Material, auf die Solarmodule gelenkt werden, um die Ausbeute um ein Vielfaches erhöhen.

Ähnlich vage sieht es bei Space Energy aus. Gegründet zu Jahresanfang, sucht auch die schweizerisch-kalifornische Firma nach Investoren. In zwei Jahren, sagt der Strategie- und Planungsmanager Amaresh Kollipara, wolle man einen Fünf-Kilowatt-Testsatelliten in eine niedrige Erdumlaufbahn bringen. Einen Plan für kommerzielle Vorhaben gebe es aber noch nicht. Während zivile Investoren solchen Firmen anscheinend noch nicht vertrauen, träumt das US-Militär davon, seine Soldaten in schwierigem Gelände mit Energie zu versorgen, die ganz umstandslos aus dem All herabgebeamt wird. In einer Studie aus dem Jahr 2007 wies das Pentagon auf das "enorme Potenzial" weltraumgestützter Solarenergie hin und empfahl ausdrücklich, die Entwicklungen dieser Technologie zu unterstützen. Sind Solaren und Space Energy also möglicherweise Tarnfirmen des US-Militärs? Derartige Gerüchte, die im Internet kursieren, dementiert Spirnak. Amaresh Kollipara von Space Energy hingegen gibt zu, dass seine Firma mit Pentagon-Vertretern im Gespräch sei. Zu den Inhalten dieser Gespräche will er nichts sagen: "Wir haben kein formelles Arrangement, und uns wurde nichts angeboten", erklärt er lapidar. "Das Verteidigungsministerium interessiert sich einfach für uns." (bsc)