Nachbereitung der Koalitionsbeschlüsse: Verteidigung und Kritik

Vertreter der Bundesregierung verteidigen die hart errungenen Beschlüsse. Reichlich Kritik vor allem am Verkehrssektor gibt es aus verschiedenen Richtungen.

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Diesellok der Baureihe 203

Die Mehreinnahmen aus der angehobenen Lkw-Maut sollen größtenteils in die Sanierung der Bahn fließen. Der Bedarf ist dort riesig.

(Bild: Deutsche Bahn AG / Georg Wagner)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Martin Franz
  • mit Material der dpa
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Sie haben lange öffentlichkeitswirksam hinter verschlossenen Türen miteinander gerungen, nun sind Vertreter der Koalitionäre intensiv damit beschäftigt, die gefundenen Kompromisse zu verteidigen. Das ist eine Herausforderung, denn Kritik gibt es von vielen Seiten. Vor allem SPD und Grüne treten dem Eindruck entgegen, man sei der FDP zu weit entgegengekommen. Die drei Parteien vereinbarten eine erleichterte und beschleunigte Planung nicht nur für den Ausbau von regenerativer Stromerzeugung, Stromnetzen und Bahnverkehr voranzutreiben, sondern, wie von der FDP gewünscht, auch für die Beseitigung einiger Autobahn-Engpässe.

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hatte einen Auftritt bei der Talkrunde von Markus Lanz am 29. März. Dort wehrte er sich vehement gegen den Eindruck, man habe vor allem dem Drängen der FDP nachgegeben. Kühnert betonte die schwierige Rolle der SPD in der Koalition. Die koaliere mit zwei Parteien, in der die eine gern alles bauen wolle, was jemals das Licht der Welt in einem Bundesverkehrswegeplan erblickt habe, und die anderen wollten nie wieder einen Meter Straße bauen. Da sei es für die SPD schwierig, ein Alleinstellungsmerkmal zu haben. "Sollen wir jetzt fordern, dass alle Autobahnen rot angestrichen sind und auf Knopfdruck die Internationale spielen, damit erkennbar ist, dass das ein SPD-Projekt ist?", fragte er lakonisch. Man wolle eine funktionierende Mobilität und habe dabei weder in die noch in die andere Richtung eine Extremposition.

Zuvor hatte sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im heute-Journal des ZDF zu den Beschlüssen geäußert. Er hält es für möglich, dass die beschlossene Planungsbeschleunigung dadurch ausgebremst wird, dass der langwierige Diskussionsprozess der Ampel-Koalition noch einmal auf Länderebene fortgesetzt wird. Ein überragendes öffentliches Interesse an einer beschleunigten Infrastruktur-Planung soll im Einvernehmen mit dem jeweiligen Bundesland festgeschrieben werden.

Selbstverständlich finde sehr viel der Umsetzung auf Länder- oder kommunaler Ebene statt, meinte Habeck. Das gelte für den von den Grünen ursprünglich abgelehnten Autobahnausbau ebenso wie für den Natur- und Umweltschutz, der ebenfalls Ländersache sei. Aus seiner Sicht komme es deshalb darauf an, dass die drei Parteien auf die unteren Ebenen entsprechend einwirken. Er hoffe, dass "der Respekt vor dem, was wir eigentlich bewältigen müssen, auch dazu beiträgt, dass wir unsere Ebenen so beraten oder motivieren, dass wir sagen: Ok, jetzt nach vorne, wir haben uns geeinigt, jetzt können wir auch an anderer Stelle hoffen und erwarten und darauf hinarbeiten, dass Einigungen ins Werk gesetzt werden."

Seine Partei hatte gegen SPD und FDP nur einen kleinen Teil ihrer Positionen durchsetzen können. Habeck glaubt nach eigenen Worten aber nicht, dass die Kritiker des Kompromisses etwa bei den Umweltverbänden die Schuld dafür bei seiner Partei sehen. "Die sind jedenfalls nicht sauer auf die Grünen", war er sich sicher. "Ist es nicht vielmehr so, dass man vielleicht sogar fast stolz darauf sein kann, dass wir die Kraft haben, eine Regierung wieder mit zum Arbeiten zu bringen? Also, ich weiß gar nicht, wo der Vorwurf sein soll."

Die Grüne Jugend benannte die aus ihrer Sicht Schuldigen: "Kanzler Olaf Scholz und FDP-Finanzminister Christian Lindner haben sich gegen den Klimaschutz verbrüdert", sagte ihr Bundessprecher Timon Dzienus dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Im Berliner Tagesspiegel (Ausgabe vom 30. März 2023) erklärte er: "Die Ampel ist mit dem Anspruch angetreten, dass sie die letzte Regierung ist, die noch Einfluss auf die Klimakrise nehmen kann. Dem scheint diese Koalition gerade nicht gerecht zu werden."

Der Speditionsverband BGL kritisiert dagegen den wichtigsten von den Grünen durchgesetzten Punkt: die Erhöhung der LKW-Maut zugunsten von Investitionen in die Bahn. Verbandschef Dirk Engelhardt befürchtet Insolvenzen, wie er dem RND sagte. Seine Branche habe bestenfalls drei Prozent Umsatzrendite. Im Fernverkehr verdoppele sich der Mautkostenanteil nun aber von circa 10 auf 20 Prozent. Einige mittelständische Auftraggeber, etwa kleine Kies- oder Betonwerke, würden die damit steigenden Transportkosten nicht bewältigen können und dann womöglich Transportunternehmen mit in die Insolvenz ziehen.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schloss sich dieser Kritik an, wenngleich aus einem anderen Grund. Er sorge sich um die kleinen Geldbeutel, denn die gestiegenen Transportkosten würden zu höheren Preisen für Verbraucher führen. Die Anhebung der Lkw-Maut sei eine Steuererhöhung. Die Ampel, meint Söder, heize die Inflation weiter an. In diese Richtung argumentierten auch AfD und Linke.

Andere Umweltverbände kritisierten die Beschlüsse insgesamt scharf. Kerstin Haarmann, Bundesvorsitzende des ökologischen Verkehrsclubs VCD, kommentierte: "Statt die Herausforderungen des Klimawandels anzugehen und vor allem das Sorgenkind Verkehr endlich auf Kurs zu setzen, will die Koalition die verbindlichen Sektorziele streichen. Künftig werden alle anderen Sektoren in Haftung genommen und müssen zusätzlich Emissionen verringern, damit auf den Straßen weiterhin die Verbrenner ohne Tempolimit rasen dürfen." Claudia Kemfert, Ökonomin und Energie-Expertin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), nannte Scholz einen "Klimakatastrophen-Kanzler". Dem Verkehrssektor gebe man mit den aktuellen Beschlüssen "einen Freifahrtschein".

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(mfz)