Das Problem mit den Nanorisiken

Die Reaktionen auf eine "Studie" des Umweltbundesamtes offenbaren, wie sich die mediale Debatte über die Nanotechnik derzeit verselbständigt – und an der Komplexität des Gegenstands scheitert.

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Von
  • Niels Boeing

Seit längerem zeigt die Hype-Kurve der Nanotechnik nach unten. Die Anwendungen der ersten Generation, vor allem Beschichtungen, sind nicht allzu spektakulär, während die Visionen von Nanorobotern in der Blutbahn eben das geblieben sind – Visionen. Spätestens seit gestern ist die Technik im molekularen Maßstab wieder im Gespräch. Die Süddeutsche Zeitung hatte in einem Artikel vor "Winzlingen mit großem Gefahrenpotential" gewarnt, die überall seien, und sich dabei auf eine neue "Studie" des Umweltbundesamtes (UBA) berufen. Zahlreiche Medien sprangen auf das Thema auf. Zuvor hatten bereits Untersuchungen aus Japan und China Wellen geschlagen. Japanische Forscher hatten von Hirnschäden berichtet, die Mäuse-Embryonen durch Titandioxid-Nanoteilchen davongetragen hatten. Und in China waren offenbar zwei Fabrikarbeiterinnen an einer erhöhten Konzentration von Nanoteilchen gestorben.

Dass die Nanotechnik Risiken birgt, ist nun nicht neu. Doch wie sie derzeit von den Medien wieder aufgegriffen werden, ist problematisch. Da werden Nanoteilchen kurzerhand mit Nanotechnik gleichgesetzt und mehr oder weniger umfassend zum neuen Asbest erklärt. "Wir sind weit davon entfernt, mit Nanotechnik Panik zu machen", sagt Wolfgang Dubbert, Koordinator des Themas beim UBA und einer der Autoren des von der Süddeutschen zitierten Papiers. Tatsächlich handelt es sich nicht um eine Studie, sondern um ein aktualisiertes Hintergrundpapier von 2006, das auch ausführlich auf die Umweltentlastungspotenziale verschiedener Nanotechnologien eingeht (siehe dazu auch "Grün, grüner, nano?"). Von Nanoteilchen in Lebensmitteln ist darin hingegen nicht die Rede. Dafür sei das UBA gar nicht zuständig, erklärt Dubbert, der über die Darstellung des Papiers nicht glücklich ist: "Wir werden hier in ein Licht gerückt, in dem wir uns gar nicht sehen."

So ernst man die bisherigen Befunde der Nanotoxikologie nehmen muss, ergeben sie doch ein komplizierteres Bild als das vom neuen Asbest. Harald Krug, Toxikologe und Sprecher des Projekts kürzlich abgeschlossenen Projekts „Nanocare “, warnt etwa hinsichtlich des Unfalls in China vor allzu schnellen Schlüssen. In dem Material, das dort verdampft, auf Kunststoff aufgetragen und von Arbeiterinnen in winzigen Tröpfchen eingeatmet worden war, seien auch hochtoxische Peroxide enthalten gewesen. „Die Konzentration des Materials hätte jeden Arbeiter umgehauen, völlig unabhängig davon, ob es sich um 30 Nanometer große Nanopartikel oder 1000 Nanometer große Mikropartikel handelt“, sagt Krug.

Auch die japanische Mäuse-Studie ist bei näherer Betrachtung noch kein Beweis dafür, dass Nanopartikel per se Teufelszeug sind. Natürlich schrillen bei aufmerksamen Zeitgenossen die Alarmglocken, wenn Titandioxid im Spiel ist, weil es in Nanoform seit langem in handelsüblichen Sonnencremes genutzt wird. Die Titandioxid-Dosen, die die Forscher den Muttertieren verabreichten, waren allerdings immens – und sie wurden ihnen injiziert.

Für die Risikobewertung eines Stoffes genügt es aber nicht, Nanopartikel irgendwie auf biologische Systeme loszulassen. Untersucht werden muss zunächst die so genannte Exposition, also der Weg, auf dem ein Stoff in den Körper gelangt. Für den Hautkontakt haben etliche Studien gezeigt, dass Nano-Titandioxid in gesunder Haut die oberste Hautschicht, das Stratum Corneum, nicht durchdringt.

Mehr noch: Der größte Teil der heute industriell eingesetzten Nanoteilchen liegt in gebundener Form vor. Das bedeutet, dass sie in regelmäßigen Mustern in Trägerstoffen fest verankert sind. In den bekannten wasserabweisenden oder kratzfesten Beschichtungen, aber auch in Kunststoffen, die mit Kohlenstoffnanoröhren verstärkt sind – etwa für Tennisschläger – ist dies der Fall. Aus denen können die Nanoteilchen allenfalls durch Abrieb oder nach der Entsorgung des Produktes entweichen.

Von der Exposition hängen wiederum die konkreten möglichen Auswirkungen ab. „Ganz wichtig ist, dass man Nanoteilchen nicht ‚nackt’, sondern immer in einer bestimmten Umgebung betrachtet, beispielsweise im Zellmedium oder in der Lungenflüssigkeit“, betonte der Bremer Verfahrenstechniker Lutz Mädler kürzlich im TR-Interview. Es ist also nicht dasselbe, ob Nanoteilchen verschluckt oder eingeatmet werden. Mädler hat vor kurzem mit acht weiteren Forschern eine gründliche Bestandsaufnahme zu möglichen Bio-Nano-Wechselwirkungen veröffentlicht. Ja: Nanoteilchen können die Chemie in der Zelle und auf ihrer Membran stören. Dies hängt aber von vielen Faktoren wie Teilchenform, elektrischen Oberflächenladungen oder zusätzlichen Molekülgruppen ab. Eine Faustregel, wann und wie ein Stoff in Nanoform toxisch ist, lässt sich daraus noch nicht ableiten.

„Wir haben zum Beispiel herausgefunden, dass die Umgebung bestimmt, wie schnell sich Nanopartikel auflösen“, sagte Mädler. Zudem beeinflussten Proteine, wie diese sich verhalten. Im Projekt Nanocare stellten die beteiligten Toxikologen fest , dass in den proteinhaltigen Körperflüssigkeiten Anballungen von Nanopartikeln kleiner werden und sich eine Proteinschicht um einzelne Teilchen legt. Die kann dann aber Auswirkungen auf Zellen wie oxidativen Stress verhindern.

Ein weiteres Ergebnis von Nanocare: Die Abwehrmechanismen der Lunge können auch Nanopartikel, solange sie nicht in riesigen Dosen eingeatmet werden, verarbeiten und unschädlich machen. Das ist wichtig, weil Verbraucher kaum in eine Wolke aus neuen Nanopartikeln geraten, die sich aus einer beschichteten Hausfassade gelöst hat. Im Gegensatz zu Feinstaub aus Automotoren, die nichts mit Nanotechnik zu tun haben.

Zwar sollte man den Nanocare-Abschlussbericht nicht als Entwarnung missverstehen. Aber er zeigt doch, dass Nanomaterialien nicht unweigerlich zu einem GAU wie der Giftgas-Katastrophe von Bhopal 1984 führen müssen, wie einige kritische Zeitgenossen schon seit längerem argwöhnen. Von den 18 im Projekt untersuchten Nanostoffen erwies sich keiner als akut toxisch. Nachweisbare Wirkungen traten überhaupt nur bei sehr hohen Konzentrationen auf.

Für die künftige Forschung sind noch zwei weitere Nanocare-Erkenntnisse wichtig: Computermodelle können helfen, die mögliche Ausbreitung von Nanopartikeln in der Umgebungsluft von Arbeitsplätzen vorherzusagen – und geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Und: Die Befunde aus Tierversuchen stimmten ziemlich gut mit Zellkulturversuchen überein. Wenn die aber bereits wichtige Aussagen über biologische Wirkungen erlauben, muss die Zahl der Tierversuche nicht ausgeweitet werden, um die zahlreichen Nanomaterialien zu testen.

Dass die wie neue Stoffe behandelt und eigens untersucht werden sollten, hatten die britischen Forschungsorganisationen Royal Society und Royal Academy of Engineering bereits 2004 in ihrem wegweisenden Report gefordert. Die Weichen sind dafür noch nicht gestellt. Das 2007 in Kraft getretene EU-Chemikalienrecht REACH behandelt Nanoformen bekannter Stoffe bislang nicht als Neustoffe. Allerdings befasst sich derzeit eine EU-Arbeitsgruppe damit, REACH nachzubessern und die Registrierungspflicht auch auf Nanomaterialien auszuweiten. Zudem beschloss das EU-Parlament Anfang Juli, dass Nanobestandteile in Kosmetika und Lebensmitteln ab 2012 gekennzeichnet werden müssen. Das ist zwar reichlich spät. Aber es zeigt zumindest, dass all die Nano-Dialoge und Projekte zur Risikoabschätzung der letzten Jahre allmählich Wirkung zeigen.

Die gesetzliche Regulierung zu erweitern und die Nanotoxikologie zu fördern, wird jedoch nicht ausreichen. Der Darmstädter Wissenschaftsphilosoph Alfred Nordmann hält die derzeitige Debatte über Nanoteilchen für eine „problematische Verkürzung“, der die gesellschaftlichen Folgen der Nanotechnik aus dem Blick geraten. Dass dies so gekommen ist, hat zwei Gründe. Umweltorganisationen griffen das Thema Nanorisiken erst spät auf, als sich Berichte über toxische Auswirkungen mancher Nanomaterialien häuften. Von da an behandelten viele es aber weitgehend analog zu Problemen mit Chemikalien oder grüner Gentechnik.

Erleichtert wurde diese Verengung der Perspektive durch die unglückliche Rede von der „Nanotechnologie“ (im Singular) durch die wissenschaftliche Gemeinde selbst. Der Begriff legte nahe, dass es sich um eine ähnlich klar eingrenzbare Technologie handele wie eben die Grüne Gentechnik. Betrachtet man die historische Entwicklung, stellt sich die Nanotechnik jedoch als eine Entwicklungsstufe der Technik dar, in der diverse Disziplinen Erkenntnisse aus Quantenphysik, Molekularbiologie und Chemie zu neuen Anwendungen kombinieren. Gemeinsam ist ihnen nur, dass sie im „Nanokosmos“, unterhalb einer Größenschwelle von 100 Nanometern, wirksam werden.

Diese neuen Anwendungen können äußerst sinnvoll sein, etwa in der Medizin oder der Energietechnik. Gleichzeitig könnten sie aber bestehende Probleme verschärfen: Dass zum Beispiel die Nanomedizin von Anfang an zu einer hocheffizienten, kostengünstigen Volksmedizin wird, ist angesichts der investierten Forschungsgelder und des Patentwettlaufs kaum zu erwarten. Eher dürfte sie den Trend zur Zweiklassenmedizin noch befördern – und dagegen hilft keine Regulierung von Nanomaterialien.

Dasselbe gilt für Fortschritte in der Nanoelektronik: Sie könnten den weiteren Ausbau einer allgegenwärtigen Überwachungsinfrastruktur entscheidend unterstützen. Eine Debatte – und eine mediale Berichterstattung –, die sich auf mögliche gesundheitliche und ökologische Folgen von Nanomaterialien konzentriert, blendet dehalb wichtige Zukunftsfragen zur Nanotechnik aus. (nbo)