Auf dem Weg zur Internet-Republik?

Die schwarz-gelbe Regierung widmet den Informations- und Kommunikationstechniken im Koalitionsvertrag erstmals ein eigenes Kapitel und verspricht „neue Entfaltungsmöglichkeiten für jeden Einzelnen ebenso wie neue Chancen für die demokratische Weiterentwicklung unseres Gemeinwesens sowie für die wirtschaftliche Betätigung“.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 3 Kommentare lesen
Lesezeit: 9 Min.
Inhaltsverzeichnis

Die neue Bundesjustizministerin hält an ihrer Klage gegen die Vorratsdatenspeicherung vor dem Bundesverfassungsgericht fest.

Die FDP war zur Wahl angetreten, um die „Internetrepublik“ zu verwirklichen. Das Schlagwort findet sich im gemeinsamen Fahrplan mit der Union für die nächsten vier Jahre zwar nicht, aber insgesamt spiegelt die Vereinbarung eine größere Offenheit gegenüber neuen Techniken und Medien wider als die Regierungsvereinbarungen der Vorgängerregierungen. Das Internet sieht das Papier als das „freiheitlichste und effizienteste Informations- und Kommunikationsforum der Welt“.

Deutschland soll laut dem Koalitionsvertrag der neuen schwarz-gelben Bundesregierung „wieder eine optimistische“ sowie „technik- und innovationsfreundliche Gesellschaft“ werden. CDU, CSU und FDP haben sich als übergreifende Ziele in ihr 124 Seiten langes Stammbuch geschrieben, eine „Bildungsrepublik“ in einem „Gründerland“ zu schaffen. Forschung, Innovationen und neue Technologien betrachten die Regierungspartner als Quellen von wirtschaftlichem Erfolg, Wachstum und Beschäftigung. Zugleich hülfen sie, großen Herausforderungen wie den Anforderungen des Klima- und Umweltschutzes, dem Kampf gegen Armut und der Beseitigung von Krankheiten zu begegnen. Deshalb gehe es darum, dass im „Land der Ideen“ neue Technologien „nicht nur entwickelt, sondern auch angewandt werden“.

Vieles bleibt in den sechs Kapiteln auf der Ebene von Allgemeinplätzen ohne verbindliche Umsetzungsvorgaben. Doch erstmals begreift eine Koalitionsvereinbarung hierzulande das Internet, neue Medien, IT und Telekommunikation nicht mehr nur als unbekannte Variablen – unter negativen Vorzeichen. Die digitale Welt bietet dem Papier nach vielmehr „neue Entfaltungsmöglichkeiten für jeden Einzelnen ebenso wie neue Chancen für die demokratische Weiterentwicklung unseres Gemeinwesens sowie für die wirtschaftliche Betätigung“. Allen Menschen den Zugang zum Netz und seinen Anwendungen zu erleichtern, will sich Schwarz-Gelb zum „zentralen Anliegen“ machen, „sowohl im Hinblick auf die Verfügbarkeit als auch auf Barrierefreiheit und Medienkompetenz“.

Eine flächendeckende Breitbandversorgung bezeichnen Union und Liberale so als Teil der „Daseinsvorsorge“. Um die Lücken gerade in ländlichen Räumen zu schließen, wollen die Regierungspartner aber vor allem bei Konzepten der Großen Koalition bleiben. So soll rasch der Umsetzungsstand der Breitbandstrategie geprüft werden. Im „Lichte des bisher Erreichten“ will die Koalition „alle Möglichkeiten unter Einbeziehung investitionsfreundlicher Regulierungsinstrumente ausschöpfen“. Einer gesetzlichen Verankerung des Prinzips des offenen Internet erteilt der Vertragstext zunächst eine Absage mit dem Hinweis: „Wir vertrauen darauf, dass der bestehende Wettbewerb die neutrale Datenübermittlung im Internet und anderen neuen Medien sicherstellt“. Man werde aber die Entwicklung „sorgfältig beobachten und nötigenfalls mit dem Ziel der Wahrung der Netzneutralität gegensteuern“.

Weiter haben die Partner verabredet, die digitale Verwaltung und E-Government zu fördern und gegebenenfalls rechtliche Regelungen anzupassen. Die Informationstechnik des Bundes soll sich dabei „an offenen Standards orientieren und Open-Source-Lösungen stärker einsetzen“. Verabschiedet werden soll eine gesetzliche Verankerung der verschlüsselten „De-Mail“. In dem entsprechenden Bürgerportal-Gesetzesentwurf von Schwarz-Rot hatten die Liberalen aber noch gravierende Mängel entdeckt.

Auch eine Reform des Telemediengesetzes ist verabredet. Dabei sollen die Regelungen zur Verantwortlichkeit von Providern „fortentwickelt“ werden, heißt es noch schwammig. Es gelte, „einen fairen Ausgleich der berechtigten Interessen der Diensteanbieter, der Rechteinhaber und der Verbraucher zu gewährleisten“. Beim Verbraucherschutz ist ein „verpflichtendes Bestätigungsfeld für alle Vertragsabschlüsse“ im Netz in Planung. Mit einem vorgeschriebenen Preisangabefenster könne „Internetabzocke“ minimiert werden, heißt es zur Begründung.

Ein besonderes Anliegen ist Schwarz-Gelb die „entschlossene Weiterentwicklung“ des Urheberrechts, da dieses „in der modernen Medien- und Informationsgesellschaft eine Schlüsselfunktion“ einnehme. Daher sollen „ein hohes Schutzniveau und eine wirksame Durchsetzbarkeit“ erreicht werden. Auf ein Modell der „abgestuften Erwiderung“ auf Urheberrechtsverstöße im Internet nach dem „Three Strikes“-Ansatz wollen Union und FDP aber verzichten. Stattdessen haben sie verabredet, „zügig“ die Arbeit an einem „Dritten Korb“ zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft aufzunehmen. Zusätzlich soll mit einem Leistungsschutzrecht für Verlage ein umkämpftes Konzept „zur Verbesserung des Schutzes von Presseerzeugnissen im Internet“ angestrebt werden.

Ob ein solches neues Recht an immateriellen Gütern für die Presse überhaupt hilfreich sei, werde man aber erst diskutieren müssen, meint das Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“. Die Vereinigung von Forschern und Wissenschaftseinrichtungen erinnerte daran, dass laut einem Beschluss des Bundestags von 2007 in einem „Dritten Korb“ in erster Linie die Belange von Bildung und Wissenschaft zu berücksichtigen seien. Die Vereinigung setzt darauf, dass „nach langen Jahren der Zuteilung von Privilegien an die Verwertungswirtschaft“ nun wieder die Urheber und Kreativen selber sowie die Nutzer von Wissen und Information im Vordergrund stehen.

Einem „modernen Datenschutz“ kommt laut der Vereinbarung in der Informationsgesellschaft eine „besondere Bedeutung“ zu. Schwarz-Gelb strebt daher an, die „Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Datensicherheit und -sparsamkeit, der Zweckbindung und der Transparenz“ im öffentlichen und privaten Bereich stärker zur Geltung zu bringen. Dazu soll das Bundesdatenschutzgesetz „lesbarer und verständlicher“ gemacht sowie „zukunftsfest und technikneutral“ ausgestaltet werden. Die frischgebackene Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat als größtes Projekt in ihrem wieder erlangten Amt eine umfassende Reform des Datenschutzrechts angegeben. Federführend ist freilich ihr Kollege im Innenressort, Thomas de Maizière (CDU). Dieser will zunächst an Einzelbaustellen wie der Sicherung der Privatsphäre von Arbeitnehmern und in sozialen Netzwerken werkeln.

Zu den Vereinbarungen zu Datenschutz, Websperren und innerer Sicherheit nahmen die neue Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und die FDP-Innenpolitikexpertin Gisela Piltz gegenüber c't Stellung:

c't: Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hat kritisiert, dass bei der Vorrratsdatenspeicherung der „Status quo“ erhalten bleibe. Wo gehen die Formulierungen im Koalitionsvertrag konkret über die bereits ergangene Anordnung des Bundesverfassungsgerichts zum eingeschränkten Zugriff auf die Vorratsdaten hinaus?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Die Vorratsdatenspeicherung wird nicht auf das beschränkt, was nach der Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts ohnehin schon geltende Rechtslage ist. Der Zugriff wird auf die Vorratsdaten für den Bereich der Strafverfolgung ausgesetzt, soweit es sich um Bundesbehörden handelt. Ein Zugriff darf nur noch zur Abwehr schwerer Gefahren für Leib, Leben und Freiheit einer Person erfolgen. Das bedeutet zum Beispiel, dass künftig nicht mehr bei Subventionsbetrug, Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, Arzneimittelgesetz oder Steuerhinterziehung auf die Daten zugegriffen werden kann. Das ist bislang nach der Eilentscheidung möglich.

Leider ist die Speicherung der Daten europarechtlich vorgegeben. Erst der Karlsruher Richterspruch wird Klarheit darüber schaffen, ob diese Vorgaben mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Ich bezweifle das und halte an meiner Klage fest.

c't: IT-Verbände und der Arbeitskreis Zensur fordern nach der geplanten Aussetzung der Web-Sperren eine komplette Rücknahme des entsprechenden Zugangserschwerungsgesetzes. Wie sehen Sie die Chancen dafür im nächsten Jahr?

Leutheusser-Schnarrenberger: Künftig gilt, dass wir den Grundsatz Löschen statt Sperren anstatt Löschen vor Sperren vereinbart haben. Dazu setzen wir jetzt auf wirkungsvolle Maßnahmen. Die Zusammenarbeit zwischen BKA und dem internationalen Providernetzwerk INHOPE ist der Schlüssel für das effektive Löschen kinderpornografischer Inhalte. Danach sollen Seiten mit kinderpornografischem Material auf ausländischen Seiten – nur hier besteht das Problem – unter Einschaltung der jeweiligen nationalen Sicherheitsbehörden vom Netz genommen werden. Das erhöht den Druck auf alle Beteiligten. Ich bin zuversichtlich: Nach einem Jahr werden alle sehen, dass wir einen neuen, besseren Weg beschreiten.

c't: Die FDP-Spitze hat die umfassende Modernisierung des Datenschutzrechts als eines der wichtigsten Projekte der aktuellen Legislaturperiode bezeichnet. Welchen konkreten Reformbedarf sehen Sie hier vor allem?

Gisela Piltz, Innenpolitik-Expertin der FDP-Fraktion im Bundestag: "Der beste Datenschutz ist immer noch dann gewährleistet, wenn Daten gar nicht erhoben werden."

Gisela Piltz: Das Datenschutzrecht der Zukunft muss weitestgehend unabhängig von technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen sein. Denn Aufgabe des Datenschutzes kann es nicht sein, neue datenschutzkritische Infrastrukturen per se zu verteufeln. Guter Datenschutz identifiziert datenschutzrechtliche Schwachstellen und zeigt Wege auf, wie neue Entwicklungen datenschutzkonform ausgestaltet werden können. Wir brauchen deswegen ein möglichst abstrahiertes Datenschutzrecht, das sich verstärkt zu den Grundprinzipien des Datenschutzes bekennt. Neben Begriffen wie Anonymisierung, Pseudonymisierung und der Verhältnismäßigkeit der Datenverarbeitung gilt dies vor allem für Grundsätze wie Datensicherheit und Datensparsamkeit. Denn der beste Datenschutz ist immer noch dann gewährleistet, wenn Daten gar nicht erhoben werden.

c't: Bringt die geplante „Stiftung Datenschutz“ eine Neuauflage des ad acta gelegten Gesetzesentwurfs zur Ausgestaltung eines bundesweiten Datenschutz-Audits oder gibt es andere Vorbilder? Wie soll die Vergabe eines entsprechenden Gütesiegels konkret geregelt werden?

Piltz: Der Gesetzentwurf für ein Datenschutz-Auditgesetz erwies sich schnell als bürokratisches Monstrum und wurde folgerichtig schnell wieder aufgegeben. Die Stiftung Datenschutz wird als Stiftung des öffentlichen Rechts technologische und gesellschaftliche Entwicklungen beobachten und Lösungsmöglichkeiten für eine datenschutzkonforme Begleitung derselben erarbeiten. Wesentlicher Zweck der Stiftung wird neben der Förderung der datenschutzrechtlichen Kompetenz in der Bevölkerung die Entwicklung eines Auditierungssystems für Produkte und Dienstleistungen sein. Sowohl den Unternehmen als auch den Bürgern soll eine verlässliche Richtschnur an die Hand gegeben werden, mit welchen Verfahren und bei welchen Unternehmen ihre personenbezogenen Daten datenschutzrechtlich unbedenklich erhoben und verarbeitet werden. (jk)