Geschäftsmodell Internet: Mehr Mut zum Experiment

Auf einer Podiumsdiskussion des eco-Verbands in Berlin tauschten sich Branchenvertreter offen über Risiken und Chancen der Inhalteverwertung im Internet aus.

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Wenn der Verband der deutschen Internetwirtschaft (eco) zu einer Podiumsdiskussion über "Geschäftsmodelle für digitale Inhalte" lädt, könnte das auch eine der vielen Jammerveranstaltungen werden, die mit Appellen an die Politik überkommene Geschäftsmodelle zu retten versuchen. Stattdessen erlebten die etwa 50 Gäste des eco in der Britischen Botschaft in Berlin am Donnerstagabend viel Realismus und die Bereitschaft, sich auf veränderte Verhältnisse einzulassen.

Thesen und Fakten für die Diskussion lieferte Hergen Wöbken vom Institut für Strategieentwicklung IFSE, der die wichtigsten Ergebnisse einer jüngst durchgeführten Studie zusammenfasste. Das Internet sei nicht einfach ein weiterer Veröffentlichungskanal, sondern müsse als vierte kommunikative Revolution der Menschheit verstanden werden (nach Sprache, Schrift und Buchdruck). Wöbken plädierte dafür, die sogenannten Raubkopien als gegeben zu akzeptieren. Statt über Kopierschutz und rechtliche Verfolgung sollten Unternehmen lieber über "Freemium"-Modelle (Basisnutzung gratis, kostenpflichtige Premiumdienste) nachdenken und einfache Bezahlformen anbieten. Generell müssten Unternehmer mehr ausprobieren – auch die großen Web-Unternehmen hätten mit ganz anderen Ideen angefangen.

Rechtlich betrachtet seien Raubkopien vielleicht Diebstahl, ergänzte Rudolf Strohmeier, Kabinettschef von EU-Kommissarin Viviane Reding, doch politisch sei das Quatsch. Wenn sich die Kultur ändere, müsse man die rechtlichen Rahmenbedingungen hinterfragen – und hier sei die EU mit ihrer digitalen Agenda deutlich weiter als die einzelnen Mitgliedsstaaten. Dennoch habe auch die Kommission viel Zeit verloren. Vergleiche man etwa Googles Buch-Digitalisierungsprojekt mit den kümmerlichen Anfängen des EU-Projekts Europeana, müsse man sich schon fragen, ob Europa "zu blöd ist, um sich zu organisieren". Dabei gehe es hier nicht um einen Kulturkampf, sondern um bloße Marktmacht.

Über den rechtlichen Dschungel hatte auch Peter von Ondarza von der Lizenzagentur CLA viel zu erzählen, der für Video-on-Demand-Dienste Filmlizenzen beschafft. Während jeder einen DVD-Verleih aufziehen könne, würden VoD-Anbieter mit hohen Kosten und langen Verhandlungen belastet. Diese schwierigen Bedingungen hätten illegalen Anbietern unschätzbare Entwicklungshilfe geleistet.

Die vielleicht schwierigste Position auf dem Podium hatte Silke Springensguth, die bei DuMont die Online-Medien koordiniert: Für Nachrichten habe schließlich noch nie jemand im Internet bezahlt, was das gesamte Kerngeschäft ihres Unternehmens in Frage stelle. Rettung versprach sie sich von Personalisierung, neuen Plattformen wie den eBooks, der starken Position auf dem regionalen Markt und generell einer stärkeren Service-Orientierung der Verlage.

Johnny Haeusler von Spreeblick monierte, die Verlage dächten beim Internet zu sehr an Probleme statt an Chancen und hätten sich ihr Geschäftsmodell von Startups wegnehmen lassen, etwa bei den Kleinanzeigen. Immerhin seien Dinge ins Rollen gekommen, etwa beim Verkauf von Musik durch iTunes – nur hat es dafür über zehn Jahre gebraucht. So haben sich Firmen wie Google und Apple eine große Machtfülle verschafft.

Wie sich das in der Praxis auswirkt, konnte Springensguth mit einem anschaulichen Beispiel belegen: Für eine Boulevardzeitung hatte DuMont eine iPhone-Anwendung mit Bildern der "Seite-1-Mädchen" entwickelt, die Apple zurückgewiesen habe – "eine merkwürdige Erfahrung", dass der technische Dienstleister dem Content-Anbieter Vorschriften mache. (vbr)