Geistige Schallmauer

Jüngst beschwerte sich ein Leserbriefschreiber bitterlich über unseren einseitigen, subjektiven Journalismus. Igitt, die sprechen sich ja FÜR grüne Gentechnik aus. Und die LÄSTERN über Elektro-Autos...

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Jüngst beschwerte sich ein Leserbriefschreiber bitterlich über unseren einseitigen, subjektiven Journalismus. Igitt, die sprechen sich ja FÜR grüne Gentechnik aus. Und die LÄSTERN über Elektro-Autos...

Neulich habe ich ein Seminar zu "crossmedialer Publikation" besucht. Spannende Sache. Wir sollten, legte der Dozent uns nahe, auf den unterschiedlichen medialen Kanälen die verschiedenartigen Stärken dieser Medien nutzen. Print, das gute, alte, tote Holz beispielsweise, ist langsam, statisch und nicht interaktiv. Dafür nahezu überall verfügbar und haptisch sowie optisch nahezu unschlagbar - also ideal als Lesefutter, für Menschen, die sich zurückziehen und mal ihre Ruhe haben wollen. Was liegt da näher, als Print für reflexive Zwecke zu nutzen - analytische Stücke mit weiter Perspektive, die den kurzatmigen Nachrichten-Kram einordnen und werten.

Soweit die Theorie. Jüngst beschwerte sich ein Leserbriefschreiber bitterlich über unseren einseitigen, subjektiven Journalismus. Die Ironie der Geschichte: Als schlagende Beispiele für unsere unkritische Haltung führte der Mann zwei Artikel an, die in der Heftrubrik "Analyse und Meinung" abgedruckt waren: Eine Glosse über Elektro-Autos und einen Kommentar zu bigotten Haltung der EU in der Frage der grünen Gentechnik.

Der Fairness halber muss ich sagen: Es gibt eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass dem Schreiber durchaus klar war, dass es sich bei den kritisierten Texte um Meinungsstücke handelt. Nur, die Meinung hat ihm nicht gefallen. Igitt, die sprechen sich ja FÜR grüne Gentechnik aus. Und die LÄSTERN über Elektro-Autos. Das kann nicht sein, dachte sich unser braver Leserbriefschreiber. Und weil ihm nicht gefallen hat, was er gelesen hat, hat er uns kräftig den Kopf gewaschen. Viel zu unkritisch waren ihm die Texte - mit viel zu wenig Distanz zur Wirtschaft. Und das aus unserem Hause.

Warum reite ich darauf herum? Weil mir diese geistige Haltung in letzter Zeit immer wieder begegnet. Ich nenne sie: geistige Schallmauer. Wichtig ist nicht die argumentative, analytische Auseinandersetzung mit einem Thema. Wichtig ist das Ergebnis, das dabei herauskommen muss. Wenn ich über grüne Gentechnik schreibe, dann muss doch bitteschön zwingend herauskommen, dass diese Technologie eindeutig zu verdammen ist. Frei nach dem Motto: Ich habe meine Meinung, stören Sie mich bitte nicht mit Fakten. Um die Fronten hier klar zu ziehen: Ich halte das für ignoranten Blödsinn. ( Damit an dieser Stelle kein Missverständnis aufkommt: Ich will hier nicht die Gentechnik promoten. Es geht um die Methode, nicht um das Beispiel).

Ja, ich gebe zu, ich bin ein altmodischer Technik-Optimist. Ich glaube nicht, dass die so genannten Kräfte des Marktes gewissermaßen automatisch dafür sorgen, dass das beste technische Konzept sich durchsetzt (dafür gibt es einfach zu viele Gegenbeispiele).Vor allem aber bin ich noch immer fest von der Kraft rationaler Diskussionen überzeugt: Alle beteiligten präsentieren die Fakten, die sie für relevant halten, und entwickeln daraus die entsprechenden logischen Folgerungen. Am Schluss sollte sich daraus tatsächlich die beste - im Sinne von: der Wahrheit am nächsten kommende - Argumentation durchsetzen. Und es kann passieren, dass ich in einer solchen Diskussion gezwungen bin, Positionen anzuerkennen, die mir nicht gefallen. Das Elektro-Autos vielleicht gar nicht so toll sind, wie alle sagen zum Beispiel. Dann muss ich wieder zurück auf Start gehen, und versuchen, den Fehler zu finden: Wo könnte ich mich getäuscht haben? Oder besser noch: Welches Argument der Gegenseite beruht auf falschen Annahmen?

Ich weiß, auch diese Methode ist problembehaftet. Die Auswahl von Beispielen ist oft lückenhaft und einseitig, die menschliche Aufmerksamkeit (und damit auch die Empfänglichkeit für Argumente) lässt sich relativ leicht manipulieren, und nicht immer kommt man mit logischen Schlüssen wirklich weiter. Aber ich kenne keine bessere Methode. Hat jemand Vorschläge? Vielleicht kann ich ja noch was dazu lernen. (wst)