Neue Schneisen durch den Email-Dschungel

Ist die elektronische Post noch zu retten? Experten auf der Konferenz Defrag 2009 meinen: ja – mit Erkenntnissen aus dem Web 2.0.

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Von
  • Erica Naone

Ist die elektronische Post noch zu retten? Experten auf der Konferenz Defrag 2009 meinen: ja – mit Erkenntnissen aus dem Web 2.0.

Emails sind schon eine rechte Plage des Arbeitslebens. Obwohl es an Theorien nicht mangelt, wie das Problem zu lösen sei, wuchert die Inbox des Mailprogramms tagtäglich aufs Neue zu, gerne auch mit Nebensächlichkeiten. So mancher hat längst davor kapituliert – wie etwa der Creative-Commons-Initiator Lawrence Lessig. Auf der Konferenz Defrag 2009 in Denver warteten Software-Experten nun mit einem weiteren Vorschlag auf: Strategien zur Informationsbewältigung aus dem Web 2.0 sollen die einstige erste Killer Application des Internets retten.

„Emails sind wie eine gigantische To-Do-Liste, die einen versklavt“ formulierte Lili Cheng, Leiterin der neuen Future Social Experiences Labs (FUSE) von Microsoft, das Gefühl, das Millionen von Büroarbeitern teilen. Deshalb sollte das Organisieren einlaufender Emails endlich wirklich automatisiert werden.

Vor allem größere Unternehmen, so Cheng, hätten genug andere Daten aus Instant Messaging oder Desktop-Suchen, aber auch aus sozialen Netzwerken wie LinkedIn oder Twitter, die sie dafür nutzen könnten. Mittels Data-Mining ließen sich damit die Mails im Posteingang nach Projekten oder Gruppen von Mailkontakten vorsortieren, ist Cheng überzeugt.

Umgekehrt sollten dann auch zweitrangige Emails als solche dargestellt werden. Chengs Gruppe fand heraus, dass im Durchschnitt 70 Prozent aller ankommenden Emails Informationen enthalten, die der Empfänger eigentlich nicht zu lesen braucht. Es würde genügen, sie irgendwo abzulegen – für alle Fälle. Die Microsoftler um Cheng haben deshalb eine Mail-Software entwickelt, das diese 70 Prozent gleich wegsortiert und am Ende des Tages dem Nutzer eine Zusammenfassung ihres Inhalts präsentiert.

Einige Dienste versuchen bereits, Emails gründlicher auszuwerten. Google durchforstet die Nachrichten in Konten seines GMail-Dienstes bereits nach Daten und Zeiten und schlägt dann vor, diese gleich in den Kalender zu verschieben. Das Outlook-Zusatzprogramm Xobni stellt dem Nutzer Statistiken und Web-Profildaten seiner Emailkontakte zur Verfügung.

Doch auch Xobni-Mitgründer Matt Brezina räumte in Denver ein, dass das noch nicht reiche, um den Kontext einer Email zu berücksichtigen: „Wir haben bisher nur die ersten Schritte gemacht.“ Brezina verspricht sich viel davon, Emails mit Ortsdaten zu verknüpfen. So könnte ein Mailprogramm etwa soziale Netzwerke auswerten, um einem Nutzer zu zeigen, wo sich der Absender einer aktuellen Nachricht gerade aufhält. Damit könnte man zum Beispiel leichter Besprechungen von Mitarbeitern verschiedener Firmen planen – eine Aufgabe, die Postfächer regelmäßig anschwillen lässt.

Mehr noch: Würden Unternehmen sämtliche Mailkonten ihrer Mitarbeiter einem konsequenten Data-Mining unterziehen, könnten die sich manche Fragen per Mail – etwa nach einer Telefonnumer – sparen. Brezina schwebt vor, Kontakte, Anhänge und andere relevante Daten aus Emails in einen Informationspool zu packen, auf den jeder zugreifen kann.

Allerdings würden Nutzer es durchaus schätzen, dass sie selbst bestimmen können, welche Informationen die Kontakte ihres Mailprogramms zu sehen bekommen, entgegnete Alexander Moore, Mitgründer von Baydin. Die Firma vertreibt ein Outlook-Zusatzprogramm, das Informationen auf dem eigenen Rechner und gemeinsam genutzten Firmenlaufwerken sucht, die zum Inhalt einer Nachricht passen könnten. Mehr Informationen zu teilen, sei zwar wichtig, stimmt Moore Brezina zu. Aber dann sollte man lieber von Netzwerken wie Facebook lernen, in denen Nutzer selbst entscheiden, wen sie welche Daten sehen lassen.

Moore schlägt einen „Like“-Button vor. Mit dem könnte jemand dem Absender einer Email vorschlagen, den Inhalt – zum Beispiel eine nützliche Bedienungsanleitung – für das ganze Firmennetzwerk freizugeben. Eine daraus entstehende Datenbank könnte auch vermitteln, wer in der Firma zuletzt etwa den Wartungsdienst wegen eines defekten Kopierers angemailt hat.

Lili Cheng warnte aber davor, dass man sich mit derartigen Lösungen heikle Datenschutzprobleme einhandele. Data-Mining in den Postfächern der eigenen Angestellten könnte vielleicht akzeptabel sein, solange es sich um firmeninterne Nachrichten handelt. Aber was ist mit Mails, die von Mitarbeitern anderer Unternehmen hereinkommen?

Ein weiteres Problem sieht Cheng in der Gestaltung von Mailprogrammen. „Emails zu lesen, verlangt eine Menge Aufmerksamkeit. Die richtige Information auf den Bildschirm zu bringen, ist ein schwieriges Design-Problem“, so Cheng. Bei Mailprogrammen sei eine ziemlich gute Darstellung noch nicht gut genug. „Eine Email-Software zu nutzen, die nicht 100-prozentig funktioniert, ist ein einziges Ärgernis.“

Letzlich gehe es darum, die Produktivität und die Zusammenarbeit in einer Firma zu verbessern. Ob das gelingt, hält Cheng aber für nur schwer messbar: „Wie stellen wir fest, ob dieser Kram tatsächlich hilft oder das kommunikative Grundrauschen bei der Arbeit nicht weiter erhöht und alles noch schlimmer macht?“ (nbo)