Brüssel schnürt Telecom-Paket

Nach der Einigung im monatelangen Streit über eine Regelung zur „abgestuften Erwiderung“ auf Copyright-Verletzungen im Internet kann das Richtlinienpaket der EU zur Novellierung des Regulierungsrahmens für Telekommunikationsnetze in Kraft treten. Neben einem Artikel zum Grundrechtsschutz bringt es neue Vorgaben zum Verbraucher- und Datenschutz, zur Netzneutralität und zur Frequenzvergabe.

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Nach Ansicht des EU-Datenschutz- beauftragten Peter Hustinx bringt das EU-Telecom- Paket viele Verbesserungen bei der Sicherung der Privatsphäre.

(Bild: European Communities, 2009)

Eine schwere Geburt war es für das EU-Telecom-Paket, und so richtig strahlend präsentierten sich die Eltern nicht. Erst nach tage- und nächtelangen Hinterzimmergesprächen zwischen Vertretern des EU-Rates und des Parlamentes verständigten sich beide Seiten Anfang November auf die letzte noch offene Frage: den Grundrechtsschutz bei Maßnahmen zu Sperren des Internetzugangs bei Urheberrechtsverletzern. Eigentlich haben Urheberrechtsfragen mit den Regulierungsaspekten für den Telekommunikationsmarkt, die nun hauptsächlich in einer Rahmen- und einer Zugangsrichtlinie gebündelt sind, wenig zu tun. Trotzdem war in Brüssel ein hitziger Kampf um einen EU-Ansatz für das Kappen von Internetanschlüssen ausgebrochen, der gemäß dem „Three Strikes“-Modell („drei Urheberrechtsverletzungen, und du bist raus …“) funktionieren sollte. Der ausgehandelte halbgare Kompromiss sieht vor, dass die Mitgliedsstaaten Nutzern vor dem Ausschluss vom Netz bei wiederholten Copyright-Verstößen und entsprechenden Verwarnungen ein „faires und unparteiisches Verfahren“ garantieren sollen.

Die im Vermittlungsausschuss auch mit Stimmen von Oppositionsparteien wie den Grünen oder den Piraten gebilligte Formulierung bleibt hinter den Forderungen der Abgeordneten aus der 1. und 2. Lesung des Telecom-Pakets zurück. Beide Male hatten sich die Parlamentarier dafür ausgesprochen, dass Eingriffe in die Grundrechte der Nutzer wie das Verhängen von Internetsperren nur nach einer Gerichtsentscheidung angeordnet werden dürften.

Die Vertreter der Mitgliedsstaaten lehnten diese Klausel entschlossen ab. In Frankreich, das hier eine führende Rolle spielte, entscheidet seit Kurzem die Aufsichtsbehörde Hadopi (Haute autorité pour la diffusion des œuvres et la protection des droits sur internet) und ein Gericht im Schnellverfahren über die „digitale Guillotine“. Aber auch der Juristische Dienst des EU-Parlaments hatte Bedenken erhoben, dass der ursprüngliche Änderungsantrag 138 des Parlaments mit dem derzeitigen Gemeinschaftsrecht nur schwer vereinbar sei. Gemäß der gefundenen Lösung bleibt eine gesetzliche Regelung von „Three Strikes“-Verfahren den EU-Ländern vorbehalten. Dabei sollen sie das Recht auf eine „effektive und zeitnahe gerichtliche Überprüfung“ einer entsprechenden Anordnung zusichern. Sie müssen rechtsstaatliche Prinzipien wie die Unschuldsvermutung und das Recht auf Privatsphäre respektieren. Über diese eigentlich selbstverständlichen Punkte hinaus baut das Paket keine Hürden für Zugangssperren auf.

Bürgerrechtler reagierten enttäuscht auf den Kompromiss. Der Text beziehe sich mit keinem Wort auf die vielfach geforderten verstärkten „freiwilligen Kooperationen“ zwischen Rechteinhabern und Providern im Kampf gegen Urheberrechtsverstöße, monierte die „European Digital Rights“-Initiative (EDRi). Jérémie Zimmermann, Mitgründer der Bürgerrechtsorganisation La Quadrature du Net, sieht den Weg offen für eine breite Verankerung von Modellen der „abgestuften Erwiderung“ in Europa, freigemacht durch das im Geheimen von führenden Industrienationen momentan verhandelte internationale Anti-Piraterie-Abkommen ACTA (Anti Counterfeiting Trade Agreement). Der ausgehandelte Text zum Telecom-Paket enthalte kein eindeutiges Grundrecht auf Zugang zum Netz. Die EU-Kommission spricht dehnbar davon, dass diesem zumindest „Grundrechtsstatus“ zukomme.

Zu schwammig bleiben Kritikern aus zivilgesellschaftlichen Organisationen auch die Vorgaben zur Netzneutralität. Demnach haben Netzbetreiber Kunden über eingesetzte Verfahren zum „Verkehrsmanagement“ allein zu informieren. Vor zu starken Begrenzungen einzelner Anwendungen – etwa Filesharing oder Internet-Telefonie – soll vor allem der Markt die Verbraucher bewahren. Zusätzlich können die nationalen Regulierer Mindestanforderungen an die zu erbringende Dienstequalität bei Zugangsleistungen aufstellen. In der 1. Lesung hatten die Abgeordneten zunächst das Prinzip des offenen Internet stärker verankern wollen.

Weiterer Kernbestandteil des neuen Rechtsrahmens ist die Reform der Richtlinie über den Datenschutz in der elektronischen Kommunikation. Diensteanbieter werden damit erstmals zur Information über Datenpannen verpflichtet. Dabei ist ein zweistufiges Verfahren vorgesehen. Könnten Verletzungen der Datensicherheit Nutzer persönlich betreffen, indem etwa Identitätsdiebstahl, Betrug oder Imageschäden zu befürchten sind, müssen die Betroffenen direkt über entsprechende Vorfälle aufgeklärt werden. In weniger schweren Fällen haben die Provider sich zunächst an die nationalen Regulierer oder andere „kompetente“ Verwaltungsinstanzen zu wenden.

Die „E-Privacy-Direktive“ enthält auch Auflagen zur Speicherung von oder zum Zugriff auf Daten, die bereits im Endgerät eines Teilnehmers oder Nutzers gespeichert sind. Manipulationen etwa durch Cookies sind nur gestattet, wenn der betreffende Teilnehmer oder Nutzer „auf der Grundlage von klaren und umfassenden Informationen“ seine Einwilligung gegeben hat. Ausgenommen bleiben Verfahren, deren „alleiniger Zweck die Durchführung der Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz ist“, damit ein ausdrücklich gewünschter Dienst zur Verfügung gestellt werden kann.

Eine Erläuterung zu dieser kryptischen Formulierung bringt Erwägungsgrund 66 der Direktive. Demnach sollen die Methoden der Information und die Einräumung des Rechts, diese abzulehnen, „so benutzerfreundlich wie möglich gestaltet werden“. Wenn es technisch durchführbar und wirksam ist, heißt es darin weiter, kann die Einwilligung des Nutzers „über die Handhabung der entsprechenden Einstellungen eines Browsers oder einer anderen Anwendung ausgedrückt werden“. Im Klartext: Die vom User eingestellten Präferenzen zur Akzeptanz von Cookies werden als Zustimmung zur Datenerhebung gewertet. Nur bei Cookies zur Speicherung von Nutzerdaten mit dem Multimediaprogramm Flash sowie bei tiefer in die Rechnerinfrastruktur eingreifender Spyware ist eine gesonderte Einwilligung einzuholen.

Die Nutzung der "digitalen Dividende", die mit der Abschaltung analoger Rundfunkkanäle frei wird, werde helfen, Lücken in der Breitbandversorgung schneller zu schließen, meint EU-Medienkommissarin Viviane Reding.

(Bild: European Communities, 2009)

Künftig werden auch öffentlich zugängliche private Telekommunikationsnetze von der Richtlinie erfasst. Eingeschlossen werden so etwa Universitätsnetze oder soziale Netzwerke wie StudiVZ oder Facebook. Laut dem EU-Datenschutzbeauftragten Peter Hustinx bringt die Novelle insgesamt „viele Verbesserungen“ zur Sicherung der Privatsphäre aller Europäer mit sich, die sich in der Online-Welt betätigen. Die Richtlinie stärke auch die Durchsetzungsrechte der nationalen Datenschutzbehörden deutlich. Diese Rechte schlössen grenzüberschreitende Kooperationen mit ein. Hustinx appellierte an die Politik, die zunächst nur für die Telekommunikationsbranche geltenden Informationspflichten auf alle Wirtschaftsbereiche auszudehnen und die Benachrichtigungsverfahren detailliert festzulegen. Neu bei den Verbraucherrechten ist, dass Werber vor dem automatisierten Versenden ihrer Reklamebotschaften per E-Mail, Fax, SMS oder MMS sowie für maschinelle Marketinganrufe die Zustimmung der Kunden einholen müssen.

Das Paket umfasst zudem Vorgaben zur Aufteilung des Funkspektrums und für die Verwendung der „digitalen Dividende“, die mit der Abschaltung analoger Rundfunkkanäle frei wird, für drahtlose Breitbandverbindungen zum Schließen der viel beschworenen „weißen Flecken“ im ländlichen Raum. Der öffentliche und der Meinungsvielfalt dienende Charakter des Spektrums wird entgegen dem Ansinnen der Kommission beibehalten, der freie Handel mit Funkfrequenzen bleibt eingeschränkt. Dazu kommen Förderanreize für den Aufbau künftiger Netzwerkgenerationen, wobei der Rat sich mit seiner Linie zur Stärkung der Rolle der früheren Staatsmonopolisten größtenteils durchgesetzt hat. So wird eine „Risikoteilung“ etwa zwischen der Deutschen Telekom oder der spanischen Telefónica und kleineren Anbietern zugelassen. Andere Diensteanbieter dürfen aber nicht von der Nutzung neuer Netze ausgeschlossen werden.

Mit dem Richtlinienbündel hat sich Brüssel zudem das ehrgeizige Ziel gesetzt, innerhalb von fünf Jahren 75 Prozent der Bevölkerung mit Datenübertragungsraten jenseits von 50 MBit/s anzubinden. Es sollen neue Multimedia-Anwendungen wie medizinische Ferndiagnosen gefördert und durch virtuelle Arbeitstreffen soll die Umwelt geschont werden. Dass sich tragbare Geschäftsmodelle für die Erschließung des Raums jenseits von Ballungsgebieten finden lassen, erscheint der Kommission unrealistisch. Man müsse daher über die Möglichkeit staatlicher Beihilfen jenseits der bereits verabschiedeten Leitlinien nachdenken. Vor allem seien Hilfestellungen für Kooperationen etwa zwischen Telecom-Unternehmen und lokalen Gas-, Strom- oder Wasserversorgern zur gemeinsamen Nutzung von Infrastrukturen zu unterstützen. Dazu müssten Wettbewerber aber trotzdem Zugang haben.

Nicht zuletzt wird eine übergeordnete Regulierungsinstitution eingerichtet. Dabei konnte sich die Kommission nicht mit ihrem Plan für eine „Superbehörde“ mit einem Veto-Recht Brüssels durchsetzen. Der letztlich beschlossenen Körperschaft namens „Body of European Regulators for Electronic Communications“ (BEREC) hat der EU-Gesetzgeber lediglich ins Stammbuch geschrieben, den Wettbewerb im Telekommunikationsmarkt im Blick zu behalten und gegebenenfalls innerhalb von drei Monaten in einem detailliert aufgeschlüsselten Verfahren mit möglichen öffentlichen Anhörungen Sanktionen für regelwidriges Verhalten zu verhängen. Im Kern haben weiter die nationalen Regulierungsbehörden das Sagen. Alle neuen Bestimmungen müssen nach der formalen Annahme durch Rat und Parlament von den Mitgliedsstaaten innerhalb von 18 Monaten in nationales Recht umgesetzt werden. (jk)