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Was war. Was wird.

Es sind manchmal ausgerechnet die alten Säcke, die einem - nicht nur musikalisch - tröstlich stimmen, staunt Hal Faber. Und wendet sich mit Grausen von Berliner und sonstigen Realitäten ab.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es stürmt und pfeift mal wieder kräftig: Die norddeutsche Tiefebene zeigt ihren Bewohnern das berühmte gesunde Reizklima, in dem völlig überflüssige Berge keine Chance haben und enden wie der Bungsberg, in einer Höhe niederer Relevanz. Stämmig schreiten die Bewohner der Ebene und ignorieren das bisschen Lüfterl. Sie sind andere Gefahren gewohnt. Ein guter Brieffreund – so nannte man das früher – erinnerte mich an die Rolle, die die norddeutsche Tiefebene im Kalten Krieg gespielt hatte, mit verbuddelten Kernsprengkuckuckseiern. Den atomaren Wahnsinn sind wir los und zur Dekontamination gibt es ein täglich trostbringendes Sammelsurium in der Glaserei über die Zukunft von gestern. Und den tröstlich stimmenden Soundtrack dazu liefert ein alter Sack aus Frankreich, der auch noch mal entdeckt, wie schön er swingen kann.

*** Wie in der letzten Wochenschau angekündigt, ist die weihnachtliche White IT in Deutschland angekommen, angeleitet vom Niedersachsen Uwe Schünemann. Ganzheitlich wird da von einer "knallharten Faktenbasis" aus gekämpft, zunächst gegen eine starke "Täter-Lobby" für Kinderpornos im Netz. Kommen danach die Zensurbomben gegen unliebsame Inhalte? Unterstützt wird diese Variante des White Trash von Microsoft Silverlight und dem kriminalwissenschaftlichen Institut in Hannover. Das ist nicht mit dem kriminologischen Forschungsinstitut des kernigen Herrn Christian Pfeiffer zu verwechseln. Dieser niedersächsische Forscher hatte mit seinen Kollegen einen Fragebogen zum Thema "Gewalt gegen Polizisten" entwickelt und die besondere Frechheit besessen, nach Gewalterfahrungen in der Kindheit und Jugend von Polizisten zu fragen. Dafür wurde sein Fragebogen vom netten Herrn de Maizière einkassiert, der ebenfalls in der letzten Wochenschau auftrat. So eine Kindheitsfrage suggeriere, dass deutsche Polizisten von kleinauf Gewalt gewöhnt sind, befand der Minister und verteilte eine gelbe Karte an Herrn Pfeiffer. Er ist ein geräuscharmer Schäuble, unser neuer, demokratisch gewählter Innenminister.

*** Thomas de Maizière ist gut aufgehoben inmitten einer wirklich höllisch dynamischen Regierung, die gerade eine neue Arbeitsministerin hat und eine neue Familienministerin, weil unser schönes neues Deutschland am Hindukusch einen ordentlichen Flashmob produzieren will. Nur muss dies doch bittschön dezenter kommuniziert werden als es das hessische Wahrheits-Endlager Franz Josef Jung gemacht hat. Die "verdammte Pflicht" kommt nicht zu kurz, sie ist ein deutsches Heiligtum, nicht nur am Hindukusch, wie es die ohne persönliche Schuld gebliebene Mehrheit der Soldaten der Wehrmacht und Waffen-SS vorgemacht haben.

*** Regelmäßig werden von den liebenswerten Forums-Teilnehmern auf heise online nach solchen Vorfällen die Vorteile der direkten Demokratie in unserem Nachbarland Schweiz angeführt. Zur gefälligen Kenntnisnahme der Realitäten: Die Schweizer haben sich in einer Volksabstimmung für die Einführung von biometrischen Pässen entschieden. Die Ja-Sager hatten nur 5680 Stimmen mehr und wünschten sich zudem eine zentrale biometrische Datenbank, die nach den Schengen-Regeln (die Schweiz ist hier Mitglied) gar nicht benötigt wird. In dieser Woche zeigte der Nationalrat, dass die heikle Frage neu durchdacht werden muss. Allerdings hat der Ständerat das letzte Wort. Möglichweise sagen die Schweizer ja wenigstens Nein zum Minarett-Verbot, das heute zur Volksabstimmung steht – es gibt aber wohl genug überfremdungsangstgeschüttelte Schweizer, dass das noch nicht so ganz sicher ist. Wie ist das also: Glückliche Schweiz? Das mag allenfalls für Roman Polanski gelten, der mit einer elektronischen Fußfessel an sein Chalet gefesselt ist, die über keinen GSM-Sender und GPS-Empfänger verfügt. Der Tanz der Vampire an der Jungfrauenquelle findet unterdes im Kino statt – und auf Facebook, StudiVZ und Co: Wer heute blutig gebissen werden will, muss erst einmal seine Träume und Wünsche in Daten verwandeln. Dann kommen die Bots zum Schlürfen.

*** Datensauger der besonderen Art haben in der CDU Rheinland Pfalz ihre Heimat. Zum hehren Zwecke der brutalstmöglichen Aufklärung hat Herr Billen seine bei der Polizei arbeitende Tochter angestiftet, in der Polizei-Datenbank POLIS mal unverbindlich nach den Vorstrafen von Personen zu ermitteln. Diese hatte sich die Ergebnisse ausgedruckt und irrtümlicherweise mit nach Hause genommen. Dort hatte Vater Billen versehentlich auf ihrem Schreibtisch gekramt und die Papiere abgegriffen. Diese überaus glaubwürdige Geschichte setzte sich mit Herrn Dincher fort, der ebenfalls eine Polizistin zur privaten Computerfahndung heranzog, mit dem Versprechen, ihr eine Versetzung zu besorgen, wenn die Sache bekannt wird. Sie wurde natürlich bekannt, weil Datenbankabfragen protokolliert werden. Wer glaubt, dass solche Protokolle im Zeitalter der Vorratsdatenspeicherung nicht ausgewertet werden, glaubt wahrscheinlich auch, dass Online-Untersuchungen eine sichere Sache sind. Wie gut, dass die CDU Rheinland-Pfalz für ihre Ermittlungen wenigstens auf eigene Recherche-Software zurückgreifen kann. Ein Vorschlag zum Slogan der anstehenden Landtagswahl: Mit den Rechten blickt man besser durch. Und, wo wir schon dabei sind, sollte auch die neue Werbung für den Mainzer Karneval erwähnt werden: Mit dem Rechten Deutschen Fernsehen sieht man Schwarz besser.

*** Die Maut-Verträge sind da. Nicht alle, aber doch so viel Material, dass ein großes Geheimnis Pneu a Pneu gelüftet werden kann: Das gesamte PPP-System ist eine Private Politic Partnership, die schnellstmöglich Einnahmen für beide Seiten generieren sollte, komplett mit einer Simulation von Kontrolle über hübsche Brücken, die unsere Autobahnen verzieren. Dass von diesen 300 Brücken immer nur wenige aktiv sind, wurde bislang als Datenschutz verkauft. Tatsächlich zeigt sich nun, dass die Betreiber vor dem enormen Datenaufkommen der Brücken kapitulieren mussten. Der nächste Politiker, der nach der Fahndung in den Maut-Abrechnungsdaten ruft, darf ausgelacht werden. Die von Politikern bereits geäußerte Idee, dieses nicht skalierende Gebührenteilungs-System zum Einzug der heiß debattierten PKW-Maut zu benutzen, hat allerdings ihren Charme. Der Schlupf in der Kontrolle ist groß genug, dass die meisten PKW ohne OBUs friedlich weiterrollen können, gesteuert von fröhlichen Mautraubkopierern.

*** Weil die Maut-Verträge vom mautpflichtigen Nikolaus-Gespann über Wikileaks abgeworfen wurden, regt sich Unmut über den aktuellen Zustand des Journalismus. Früher alles besser? Früher wären die Scans oder die Geheimpapiere bei der Redaktion geblieben, die den Skandal ausschlachtete, heute können alle in den Dateien suchen. Auch wenn das nur wieder Journalisten sind: Der Fortschritt ist eindeutig. Auch die Tatsache, dass die Leaks nur aus den Jahren 2002 und 2003 stammen, ist kein Problem. Wie formuliert es Bob Woodward in der (nicht online zu lesenden) Wochenendbeilage der Süddeutschen Zeitung?

Das Problem mit dem Aktuellsten ist, dass es oft unwahr ist. Und es hat keine Bedeutung. Die Frage ist nicht: Wie verläuft die schrittweise Entwicklung? Die Frage ist: Was ist die Hintergrundgeschichte. Was ist versteckt? Was wissen wir nicht?

*** Immer ist etwas versteckt. Immer versteckt und verstellt sich jemand. Deshalb kann man auch aus ganz alten Sachen lernen, wie das Beispiel des "Guerilla Journalisten" Studs Terkel zeigt, dessen FBI-Akte freigegeben wurde: Wer den einfachen Mann von der Straße ins Rundfunkstudio holt, muss einfach ein unterwandernder Kommunist sein.

Was wird.

Er ist zwar über eine Woche entfernt, doch schon überstrahlt er alles. Zum 4. IT-Gipfel Deutschlands rattern die Pressemitteilungen herein. Dieser Gipfel soll von der Kanzlerin und einem Energie-Technokraten geschultert werden. Der Bitkom hat mittlerweile auf Dauerfeuer umgestellt, denn es gilt viel zu retten, nicht nur den PPP-Schwachsinn der LKW-Maut: Die Gesundheitskarte ist krank und eigentlich nur noch ein Gerippe, die CeBIT ist ausgelaugt und ist per Reißleine nur noch durch eine Monarchie zu retten. Doch warum muss es eigentlich die spanische sein? Wo bleibt bloß Ernst-August von Hannover, der auf dem Messegelände zur formidablen Weltausstellung tatkräftig seine echt hannöversche Reißleine zog? Nicht nur Monaco vermisst den Mann mit blauem Blute. Angeblich fährt er eine Art Ski in Österreich, auf dieser sinnlos hochgestapelten Erde, die dort Berge genannt werden, die aber verglichen mit einem echten deutschen IT-Gipfel allesamt nur kümmerliche Häufchen sind.

Achja, die Weltausstellung. So in Erinnerungen schwelgend hole ich den Prachtband "Eingebungen zwischen Paradies und Apokalypse" von IBM hervor – die entsprechende Website ist längst hinüber: Die Erinnerungen an die von IBM aufgestellten Terminals im "Korridor der Wünsche" sind heutzutage in der Cloud verschwunden und nicht mehr anschlussfähig. "Ich wünsche mir Unsterblichkeit und einen Laptop", schrieb ein Besucher am Terminal. Was schreibe ich da? Terminal? Im Jahr 2000 hießen die Dinger "Kristalle der Visionen". Ob IBM den anstehenden Geburtstag von Notes ebenso vergessen wird wie seine kristallinen Visionen? Am 5.12.1989 begann der Software-Gigant Lotus mit der Distribution von Notes auf Floppy Disks, zunächst in einer OS/2-Version.

*** Notes ärgerte Bill Gates, sodass er sich gegen die Veröffentlichung der Windows APIs aussprach: help Office, beat Notes lautete die Parole bei Microsoft. Wo Notes und Domino heute stehen, ist bekannt, doch für die Zukunft dieser Software braucht man schon ganz besondere Visionskristalle. So sieht es aus, mit der Zukunft von gestern. Immerhin sollte Notes einmal das werden, was sich heute Social Business Networks nennt. Oder sollte man lieber von Social Media Experience sprechen? Jedenfalls hat Chad Kroski von der Telekom mit Clara eine wirkliche Nachfolgerin, genauso geistlos wie manche MS-Software:

Alles was im Internet ist, wird für immer da sein, so scheint es. Wenn aber das Digitale an seiner materiellen Substanz schaden nimmt, dann bemerkt man, wie fragil diese Vorstellung des ewigen Internets ist. Lassen wir diese Wortklaubereien. Fragilität my Ass. Wenn ich einen Kaffee über meinen Laptop schütte, dann ist es eher natürliche Auslese, wenn ich deswegen von der Uni fliege, (Ok, nicht übertreiben) das Semester wiederholen muss. Oder nein noch besser ich prostituiere mich ... (jk)