Das Einmaleins für Kopenhagen

Zahlen, Zahlen, Zahlen: die neuesten Klimadaten sowie die wichtigsten Fakten und Pläne zu Treibhausgas-Emissionen für die kommende Klimakonferenz in einer Übersicht.

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  • Niels Boeing

Zahlen, Zahlen, Zahlen: die neuesten Klimadaten sowie die wichtigsten Fakten und Pläne zu Treibhausgas-Emissionen für die kommende Klimakonferenz in einer Übersicht.

Am 6. Dezember beginnt der elftägige Verhandlungsmarathon COP15 in der dänischen Hauptstadt. Die Chancen, dass die beteiligten Staaten sich auf ein Abkommen einigen können, das 2012 das Kioto-Protokoll ersetzt, sind eher bescheiden. Dabei bestreitet eigentlich niemand, dass jetzt die Weichen für die Klimapolitik der nächsten Jahrzehnte gestellt werden müssen. Eine Gruppe von 26 Wissenschaftlern hat kürzlich mit dem Report "The Copenhagen Diagnosis" ein Update zum letzten IPCC-Klimabericht von 2007 geliefert, das neue Forschungsergebnisse der vergangenen drei Jahre aufarbeitet.

Das Update zum IPCC-Bericht 2007

Danach hat sich der Ausstoß des Treibhausgases CO2 aus fossilen Brennstoffen vor allem durch die zunehmende Industrialisierung der so genannten Schwellenländer beschleunigt: Betrug der jährliche Zuwachs in den 1990ern noch rund 1 Prozent, ist er seit dem Jahr 2000 auf 3,4 Prozent angestiegen. Die weltweiten jährlichen CO2-Emissionen lagen 2007 und 2008 über den pessimistischeren Abschätzungen des Weltklimarats IPCC.

Der CO2-Gehalt in der Erdatmosphäre betrug 2008 385 ppm (Teilchen pro Million Luftteilchen) und steigt derzeit jährlich um 1,9 ppm. Nach Untersuchungen an Eisbohrkernen ist dies der höchste CO2-Gehalt seit 800.000 Jahren. Beunruhigend ist ebenfalls, dass der atmosphärische Gehalt an Methan, dem zweitwichtigsten Treibhausgas, seit 2007 wieder steigt, nachdem er in den vergangenen Jahren kaum zugenommen hatte. Diesen Anstieg wollen die Wissenschaftler aber noch nicht auf eine verstärkte Methan-Freisetzung aus tauenden Permafrostböden der Tundra zurückführen.

Ozeane und Vegetation an Land – CO2-Senken genannt – nehmen immer noch mehr als die Hälfte des atmosphärischen CO2 auf. Allerdings mit abnehmender Tendenz: Nach aktuellen Auswertungen ist diese Absorption in den vergangenen 50 Jahren "wahrscheinlich", so die Autoren, von 60 auf 55 Prozent gesunken.

Wurde die durchschnittliche globale Erwärmung pro Jahrzehnt im letzten IPPC-Bericht noch mit 0,177 Grad Celsius (bei einer Ungenauigkeit von +- 0,052), haben Klimaforscher diesen Wert nach Auswertung der Klimadaten von 2007 und 2008 auf 0,187 Grad angehoben. Obwohl 2008 etwas kühler war als 2007, gehören die Jahre seit 2000 allesamt zu den zehn wärmsten seit Beginn der neuzeitlichen Temperaturaufzeichnungen.

Während der IPCC-Bericht noch unschlüssig blieb, ob sich auch höher gelegene Atmosphärenschichten erwärmen, schreiben die Autoren, dass neue Berechnungen eine solche Erwärmung nun belegen können. Zugleich hat die Sonnenaktivität, die einige für die globale Erwärmung verantwortlich machen, in den vergangenen 50 Jahren leicht abgenommen (der elfjährige Sonnenzyklus ist dabei schon berücksichtigt).

Auch hinsichtlich der Eisschmelze an Polen (Grönland, Westantarktis) und Gletschern nehmen die Forscher nun etwas schlechtere Werte an. Trugen die in den 1990ern jährlich 0,8 Millimeter zu einem Anstieg des Meeresspiegels bei, waren es in diesem Jahrzehnt 1,2 Millimeter. Die Eismenge, die Grönland und die Antarktis jährlich verlieren, hat sich unter Berücksichtigung neuer Satellitenmessungen von 2002 bis Februar 2009 verdoppelt. Allerdings sind diese Befunde nur vorläufig: Wenn Satelliten die Höhe der Eisschilde messen (Altimetrie), geht daraus nicht hervor, wie stark sich die Landmassen anheben, weil das Gewicht der schrumpfenden Eismassen nachlässt. Im Rekordsommer 2007 war außerdem zum ersten Mal die Hälfte der Oberfläche des grönlandischen Eisschildes angetaut – 1979 waren es noch weniger als ein Drittel gewesen.

Studien nach dem letzten IPCC-Bericht haben inzwischen auch die Erwärmung der Ozeane nach oben korrigiert: Danach haben sich die Meeresschichten bis zu einer Tiefe von 700 Metern um 50 Prozent mehr aufgeheizt, als zuvor geschätzt worden war. Die Meereserwärmung trägt 40 Prozent zum Anstieg des Meeresspiegels bei, die weltweite Eisschmelze 60 Prozent. Weil beide stärker sind als bisher angenommen, nehmen die Autoren ein neues Worst-Case-Szenario an: In diesem Fall könnte der Meeresspiegel bis 2100 um 2 Meter steigen. Das ist doppelt so viel wie im Worst-Case-Szenario des letzten IPCC-Berichts.

Das Emissionspoker

Ob diese Zahlen die Klimaunterhändler beeindrucken, steht auf einem anderen Blatt. Fakt ist, dass das Kioto-Protokoll alles in allem nicht zu einer Reduzierung der menschlichen Treibhausgas-Emissionen geführt hat.

Tabelle 1: Treibhausgas-Reduzierung seit Kioto – Anspruch und Wirklichkeit

Treibhausgas-Emissionen 1990, umgerechnet in Mio. Tonnen CO2
Im Kioto-Protokoll festgelegte Änderung bis 2012
Treibhausgas-Emissionen 2007, umgerechnet in Mio. Tonnen CO2 Tatsächliche Änderung bis 2007
Anteil an globalen Treibhausgas-Emissionen 2007
Anteil an der Weltbevölkerung 2007
Deutschland 1215 -21 % 956 -21,3 % 2,5 % 1,25 %
EU 4233 -8 % 4052 -4,3 % 10,4 % 7,5 %
Russland
3319 0 % 2193 -33,9 % 5,6 % 2,1 %
Japan 1270 -6 % 1374 +8,2 % 3,5 % 1,9 %
USA 6084 -7 %* 7107 +16,8 % 18,2 % 4,5 %
China 3593 - 8107 +126 % 20,7 % 20 %
Indien 1103 - 1963 +78 % 5 % 17 %
Welt ca. 30000 - ca. 39000 +27,5 % 100 % 100 %

*Die USA haben das Kioto-Protokoll nicht ratifiziert
Die Treibhausgase des Kioto-Protokolls: CO2, Methan (CH4), Stickoxid (N2O), Fluorcarbone und Schwefelhexafluorid (SF6) sind hierbei in CO2-Äquivalente umgerechnet, um ihren Gesamtausstoß in einer einzigen Zahl darstellen zu können. Die Emissionsmengen schließen Landnutzungsänderungen (z.B. Abholzung oder Wiederaufforstung) nicht ein.

Vor Kopenhagen angekündigte Verringerung, bezogen auf 1990
Treibhausgas-Emissionen 2007, umgerechnet in Mio. Tonnen CO2
Beabsichtigte Treibhausgas-Emissionen im Jahr 2020, umgerechnet in Mio. Tonnen CO2 umgerechnet
Deutschland -40% 956 729
EU -20 % / -30 %* 4052 3386 / 2963
Russland -20 % 2193 liegt bereits heute darunter
Japan -25 % 1374 953
USA -3,4 %* 7107 5878
China -40 % pro BIP-Einheit 8107 ?
Indien - 1963 ?

Die so genannten Annex-I-Staaten – also die westlichen Industrieländer und die Länder des früheren Ostblocks – haben zusammen genommen ihre Emissionen von 1990 bis 2007 nur um knapp vier Prozent verringert. Während die ehemaligen sozialistischen Länder aufgrund ihrer heftigen Deindustrialisierung nach 1990 heute deutlich weniger Treibhausgase ausstoßen, wird dieser Effekt von anderen Ländern so gut wie zunichte gemacht. Die USA, Australien, Neuseeland, Kanada, Irland, Spanien oder Portugal emittieren heute deutlich mehr als damals.

Zugleich sind die Treibhausgas-Emissionen in den restlichen Ländern, die im Kioto-Protokoll noch keine Reduktionsziele angeben mussten, drastisch gestiegen: von 1994 (dem ersten Jahr mit verlässlichen Daten) bis 2007 um 77 Prozent. Der Löwenanteil entfällt hierbei auf China, Indien, Brasilien, Mexiko, Indonesien, Iran und Südkorea.

Emissionsdaten für alle Länder der Erde bis 2005 finden sich in der CAIT-Datenbank des World Resources Institute. Neuere Zahlen zu den Annex-I-Ländern lieferen zum Beispiel das UNFCCC sowie diverse weitere Länderstudien. Die Werte weichen zum Teil aber erheblich voneinander ab.

Im Vorfeld der Kopenhagener Konferenz haben nur einige der politischen Schwergewichte beim Emissionspoker konkrete Reduktionsziele bis 2020 genannt:

Tabelle 2: Derzeitige Reduktionsziele bis 2020
Viele Klimaforscher halten diese Ziele aber nicht nur für zu lasch, will man die berühmt-berüchtigte Leitplanke einer Erwärmung von 2 Grad im 21. Jahrhundert einhalten, die als noch verkraftbar gilt (sie ist kein wissenschaftlicher Grenzwert, sondern ein politischer). Sie fordern auch einen global gerechten Verteilungsschlüssel, in dem jedem Erdenbürger das gleiche CO2-Budget zusteht, weil die Erdatmosphäre ein Gemeingut ist.

Gesamte Treibhausgas-Emissionen 2007, umgerechnet in Mio. Tonnen CO2
Emissionsbudget gemäß Bevölkerungsanteil bis 2050, in Mio. Tonnen CO2 umgerechnet
Bei 2007er-Emissionen Budget ausgeschöpft bis
Geschätzter Anteil an der Weltbevölkerung 2010
USA 7107 35.000 2015 4,6 %
Russland 2193 15.000 2017 2 %
Deutschland 956 9000 2020 1,2 %
Japan 1374 14.000 2021 1,8 %
EU 4052 54.000 2024 7,2 %
China 8107 148.000 2028 20 %
Indien 1963 133.000 2078 18 %
Burkina Faso 0,62 1800 4913 0,24 %
Welt 39.000 750.000 2030 100 %

Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen (WBGU) hat nach diesem Budgetansatz berechnet, wieviel Treibhausgase jedes Land noch bis 2050 ausstoßen darf, unter zwei Bedingungen: 1. Der gesamte Treibhausgas-Ausstoß bis 2050 wird auf 750 Millionen Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente festgelegt, weil dann eine 67-prozentige Chance besteht, die 2-Grad-Erwärmung nicht zu überschreiten (die in älteren Berichten explizit mit einer Stabilisierung des CO2-Gehalts bei 450 ppm verknüpft wurde; gegenwärtiger Gehalt: 385 ppm). 2. Jedes Land bekommt davon ein Kontingent zugeteilt, das seinem Anteil an der Weltbevölkerung im Jahr 2010 entspricht. Das bedeutet dann:

Tabelle 3: Künftige Treibhausgas-Reduzierung nach Budget-Ansatz des WBGU (nbo)