Alternative Gipfelerklärung zur Infogesellschaft geplant

Vertreter der Zivilgesellschaft glauben nicht mehr daran, Forderungen wie etwa nach einer Begrenzung des Copyright-Regimes beim Weltgipfel der Informationsgesellschaft unterzubringen.

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Deutsche Vertreter der Zivilgesellschaft beim World Summit for the Information Society (WSIS) befürworten eine alternative Charta für den Weltgipfel in Genf. In der Schweiz sollen Mitte Dezember etwa 50 Staats- und Regierungschefs zusammenkommen, um globale Prinzipien für eine "Informationsgesellschaft für alle" festzuschreiben. Auch Kanzler Gerhard Schröder hat sein Kommen avisiert. Doch viele der Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die erstmals offiziell in das Gipfelgeschehen eingebunden sind, sehen in der ersten Fassung der WSIS-Erklärung ein Stück symbolischer Politik: Gut fürs Image und die Show vor Weihnachten, aber sonst belanglos. Die NGOs wollen da nicht mitmachen und verweisen auf die dringenden Probleme bei der Schaffung einer Informations- oder Wissensgesellschaft -- so diese tatsächlich die bereits bestehenden "digitalen Klüfte" schließen und allgemeine Kommunikationsrechte der Netzbürger garantieren soll.

"Wir befinden uns in einem Stellungskrieg", brachte Jeanette Hofmann "Geländegewinne und Geländeverluste" der NGOs gestern auf einer Tagung der Heinrich-Böll-Stiftung zum WSIS in Berlin auf den Punkt. Die Vertreterin der Zivilgesellschaft in der deutschen Regierungsdelegation zum Gipfel bedauerte, dass sie "in Sachen Inhalte nur Verluste zu melden habe." Es sei naiv gewesen zu erwarten, "dass sich die Regierungen unseren Forderungen ganz öffnen", erklärte die Politikwissenschaftlerin. In Brüssel sei "ganz Hollywood angetreten", um etwa für eine Wahrung der bereits verschärften amerikanisch-europäischen Urheberrechtsgesetzgebung und deren Ausdehnung auf die Welt Dampf zu machen. Dagegen könnten die Lobby-Amateure der Zivilgesellschaft wenig ausrichten.

Gepunktet hätten die NGOs dagegen auf der "Verfahrensebene", gewann Hofmann den langwierigen Verhandlungsprozessen im Vorfeld des Gipfels auch etwas Gutes ab. "Es gibt jetzt wenigstens ein eigenes Büro für die Zivilgesellschaft in Genf." Auch die Zusammenarbeit mit der Bundesregierung laufe deutlich besser als etwa bei den Debatten um die Netzverwaltung ICANN. Insgesamt sei es bereits gelungen, so Hofmann, eine "alternative Öffentlichkeit" zu schaffen. Da auch Berlin nicht Flagge zeige und bisher nur Modellprojekte wie die Initiative "E-Schools" der Public-Private-Partnership Initiative D21 hochhalte, unterstütze sie "eine alternative Deklaration" mit einer Vision, die auch heikle Themen wie den Nord-Süd-Konflikt und die ihm zugrunde liegenden Handelsstrukturen aufgreife.

Karl-Georg Schon vom Auswärtigen Amt versuchte dagegen den Verhandlungsprozess und den geringen Einsatz der Bundesregierung zu verteidigen. Obwohl das jüngste Vorbereitungstreffen für den WSIS zu keinem unterschriftsreifen Ergebnis geführt hat und Skeptiker bereits eine Blockade wie beim Handelsgipfel im mexikanischen Cancun fürchten, ist sich der Regierungsvertreter sicher, "dass wir ein ganz vernünftiges Papier zustande bringen werden." Dass die deutsche Regierung mit ihren Positionen noch hinterm Berg halte, habe rein "verhandlungstechnische" Gründe, bluffte Schon. Man wolle vorab nicht alle Karten auf den Tisch legen.

Der erste inoffizielle Entwurf für eine WSIS-Deklaration aus der Feder von Verhandlungsführer Adama Samassékou gibt aber wenig Hoffnung auf einen handfesten Gipfelprozess: Er strotzt nur so von Allgemeinplätzen im Konjunktiv wie der Feststellung, dass "niemand von den Vorteilen der Informationsgesellschaft ausgeschlossen werden sollte". Das "Non-Paper", wie Samassékou sein Konstrukt bezeichnet, sei nicht viel mehr wert als ein Stück Altpapier, kritisieren Vertreter der Zivilgesellschaft. Verena Metze-Mangold, deutsche Vizepräsidentin bei der den WSIS mittragenden UNESCO, vertrat gar die Ansicht, dass nur ihre Organisation mit echten Papieren nach Genf reise. So habe man sich etwa nach acht Jahren auf eine Erklärung für den Cyberspace und eine Charter on the Preservation of Digital Heritage geeinigt.

Den NGOs empfahl Metze-Mangold, einen parallelen Prozess zu wagen. Er könne auf dem Fortsetzungsgipfel im November 2005 in Tunis Eingang in die offiziellen Verlautbarungen finden. Auch Annette Mühlberg von der Gewerkschaft ver.di favorisiert die Zweigleisigkeit. Nur so könne verhindert werden, dass Computerinfrastrukturen in die Hände von Monopolen gelegt würden. Zudem ließe sich sonst nicht das "gigantische Defizit" füllen, das die momentane Erklärung bei Fragen der Überwachung, der Meinungsfreiheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz habe. (Stefan Krempl) / (se)