Den Pixelschiebern auf der Spur

Die Möglichkeiten der digitalen Bildmanipulation scheinen grenzenlos. Doch fast jeder Fälscher hinterlässt verräterische Spuren am Tatort Bild.

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Dieser Text ist der Print-Ausgabe 11/2009 von Technologie Review entnommen. Das Heft kann, genauso wie die aktuelle Ausgabe, hier online portokostenfrei bestellt werden.

Die Möglichkeiten der digitalen Bildmanipulation scheinen grenzenlos. Doch fast jeder Fälscher hinterlässt verräterische Spuren am Tatort Bild.

Mittlerweile können auch billige Digitalkameras leidlich gute Fotos produzieren. Geht doch mal eins daneben, kann es mit entsprechender Software meist noch gerettet werden. Doch immer leistungsfähigere Programme haben auch die Möglichkeiten der Bildmanipulation immens erweitert. Drei Experten geben Auskunft darüber, wie weit man Fotos heute noch trauen kann.

Carsten Rother arbeitet seit 2004 am Microsoft-Forschungszentrum im britischen Cambridge in der Arbeitsgruppe "Computer Vision". Die von ihm und seinen Kollegen entwickelten Algorithmen sorgen beispielsweise in der Software "Autocollage" dafür, dass Hunderte von digitalen Schnappschüssen automatisch zu Collagen zusammengefügt werden.

Thomas Gloe und Matthias Kirchner sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl Datenschutz und Datensicherheit der TU Dresden. Sie forschen zu Aspekten der "Multimedia-Forensik".


Technology Review: Sagen Bilder im Zeitalter von Photoshop und Co. noch die Wahrheit?

Thomas Gloe: Prinzipiell würde ich sagen, ja. Es kommt allerdings auf die Quelle an. Eine journalistisch gute Zeitung ist sicher bestrebt, authentische Bilder zu verwenden. Andererseits ist bei Werbefotografien anzunehmen, dass Inhalte durch Manipulationen visuell aufgewertet wurden.

Matthias Kirchner: Wie bei den verjüngten Gesichtern von Merkel und Steinmeier auf Wahlplakaten?

Gloe: Zum Beispiel. Das Problem der Unverfälschtheit besteht aber generell bei allen Medien, zum Beispiel bei Texten. Im Idealfall sollte man mehrere unabhängige Informationsquellen zu Rate ziehen und dann deren Glaubwürdigkeit selbst bewerten.

Carsten Rother: Außerdem manipuliert schon die Kamera das Bild. Wie ich die Szene sehe und wie die Kamera sie sieht, sind zwei völlig verschiedene Dinge. Wenn ich einen Polarisationsfilter auf das Objektiv schraube, werden die Farben automatisch viel knalliger als ohne Filter. Das heißt, schon das Bild aus der Kamera ist eine Interpretation der Wirklichkeit. Und daran stören sich die Betrachter in der Regel auch nicht.

TR: Was ist heutzutage an Bildmanipulation möglich? Und was geht garantiert nicht?

Gloe: Was nicht geht? Da fällt mir jetzt spontan nichts ein.

Rother: Da müssen Sie zwei Dinge unterscheiden: Das eine ist: Wie viel muss ich selbst machen? Von Hand kann ich im Prinzip jedes einzelne Pixel anmalen, das dauert aber lange und erfordert Können. Oder läuft so was fast vollautomatisch, zum Beispiel mit dem neuen Tool "Background Removal", das in Office 2010 erscheinen wird. Damit kann ich Objekte, etwa Elemente einer Grafik, vollautomatisch vom Hintergrund lösen und sie dann beispielsweise in einer Präsentation weiter verwenden. Das funktioniert aber nicht immer hundertprozentig.

Das andere ist der Unterschied zwischen Fotos und Videos. Videos sind viel schwieriger zu manipulieren, weil Sie viel mehr Daten bearbeiten müssen. Es reicht nicht, wenn die manipulierte Szene auf einem Bild gut aussieht – sie muss auf allen Bildern gut aussehen, und die Bilder müssen zueinander passen.

TR: Wie sieht das konkret bei Fotos aus?

Rother: Fotos zu bearbeiten ist sehr viel einfacher. Doch auch hier sind noch Fragen offen: Haare richtig aus einem Bild herauszulösen, sodass sie für den Betrachter natürlich aussehen, ist beispielsweise eine sehr schwierige Aufgabe. Andere Effekte wie Schatten werfen wiederum sind rein technisch gesehen recht einfach. Aber auch da gibt es interessante Erfahrungen: Wir haben zum Beispiel ein Objekt ausgeschnitten – eine Pflanze etwa –, in ein anderes Bild eingefügt und einen Schattenwurf dazu produziert. Dabei haben wir gelernt: Je komplexer das Objekt ist, umso einfacher ist es, den Schatten zu fälschen. Bei einem komplexen Objekt lässt sich kaum nachvollziehen, wie der Schatten geworfen wird. Bei einfachen Dingen wie Autos jedoch haben die Betrachter eine ziemlich konkrete Vorstellung, wie der Schatten aussehen müsste. Die Fälschung ist daher schwieriger.

TR: Dabei denkt man, es wäre umgekehrt.

Rother: Von wegen. Für eine möglichst perfekte Änderung müsste man eigentlich sämtliche Oberflächen im Bild analysieren, unabhängig von der Beleuchtung – wir nennen das "intrinsische Bilder". Und ich muss die 3-D-Geometrie analysieren. Danach kann man ein "relighting" durchführen: Man simuliert, wie es aussehen würde, wenn man Objekte einfügt, entfernt oder die Lichtquelle verschiebt. Dazu ist jedoch noch immer viel Handarbeit erforderlich.

TR: Das klingt sehr aufwendig...

Rother: Ist es auch. Aber für viele Anwendungen, etwa in der Architektur, muss man nur Menschen, Bäume oder Autos in eine computergenerierte Szene einfügen. Dem Architekten ist es völlig egal, welche Person eingefügt wird. Der will einfach nur Leute in seinem Bild. Wir analysieren deshalb zunächst das Zielbild: Scheint die Sonne? Sieht man Wolken? Diese Indikatoren gleichen wir mit einer dafür aufgebauten Datenbank ab und nehmen Objekte, die zum Zielbild passen. In 50 Prozent der Fälle bekommen wir ein perfektes Ergebnis. Jeder kann selber mit der Online-Demo dieses Projektes – Photo Clip Art – spielen.

TR: Können Sie objektiv messen, was die Leute sehen, wenn sie ein Bild für unrealistisch halten?

Rother: Stellen Sie sich ein Haar vor. Selbst wenn Sie auf das Haar scharf stellen, bildet die Kamera die Ränder nicht scharf ab. Das Objekt geht abgestuft in den Hintergrund über. In der Computergrafik weisen wir deshalb jedem Bildpunkt eine gewisse Transparenz zu, einen Wert für die Sichtbarkeit. Der Wert eins bedeutet, das Haar ist sichtbar, null heißt, das Haar ist transparent. So kann man Objekte sinnvoll überblenden.

Doch das kriegen selbst modernste Algorithmen manchmal nicht hin. Wenn Sie aufgrund eines Fehlers nebeneinander liegende Pixel haben, bei denen die Werte von innen nach außen 1, dann 0,5 und dann wieder 1 betragen, was physikalisch nicht möglich ist, dann sieht man das. Und das mögen die Betrachter gar nicht, wie wir in einer Anwenderstudie verifiziert haben.

TR: Wie kommt man Bildfälschern auf die Spur, wenn es solche offensichtlichen Spuren nicht gibt?

Gloe: Aufgrund einer statistischen Analyse der Bilddaten. Das heißt, man sucht nach Spuren, die durch die Bildverarbeitung hinzugefügt wurden. Oder man sucht nach Charakteristiken, die fehlen, obwohl sie eigentlich vorhanden sein müssten.

TR: Wie Fingerabdrücke?

Gloe: So ähnlich. Charakteristiken entstehen durch die verschiedenen Bauelemente des Aufnahmegerätes, also Linsen, Sensor, Farbfilter und interne Verarbeitungsroutinen. Der Sensor rauscht – das kann man nie hundertprozentig vermeiden. Die Linse erzeugt optische Verzerrungen – eine gerade Linie erscheint also leicht gebogen, was man normalerweise nicht wahrnimmt.

Kirchner: Zum einen schaut man, ob diese Gerätecharakteristiken konsistent sind. Zum anderen prüft man Licht und Schatten im Bild. Bei Bild-Kombinationen, die aus mehreren Bildern zusammenmontiert wurden, kann es passieren, dass der Schattenwurf in einem Bildteil ganz anders ist als im anderen Teil. Ein weiteres Indiz ist doppelte Kompression: Bilder aus der Kamera sind ja meist schon komprimiert. Wenn die nach der Bearbeitung mit anderen Qualitätseinstellungen gespeichert und noch mal komprimiert werden, führt das auch zu statistisch nachweisbaren Spuren im Bild.

TR: Wäre es denn möglich, eine Kamera zu bauen, die manipulationssicher ist?

Kirchner: Etwas in dieser Richtung gibt es von Canon und Nikon schon – ein sogenanntes "Verification Kit" berechnet zu jedem Bild einen sogenannten Hash-Wert, einen eindeutigen Zahlenwert, der diesem Bild zugeordnet ist. Wenn der Wert nicht mehr stimmt oder nicht vorhanden ist, dann ist das Bild nicht authentisch. Das ist aber nur unter bestimmten Umständen praktikabel. Denn man muss sehr restriktiv sein.

TR: Weil auch eine harmlose Belichtungskorrektur den Hash- Wert verändert?

Kirchner: Genau. Man müsste dann sämtliche Bearbeitungsschritte dokumentieren und mit dem Bild verknüpfen. Die Frage ist dabei natürlich wieder: Wo fängt man an? Denn es gibt ja schon eine Nachbearbeitung des Bildes in der Kamera.

TR: Das heißt, Ihre Arbeit, Fälschern auf die Spur zu kommen, ist ein Kampf gegen Windmühlen?

Kirchner: So würde ich das nicht ausdrücken. Ich denke, man muss unterscheiden zwischen Schönheitskorrekturen und Manipulationen, die den Inhalt verändern. Diesen Unterschied herauszufinden, das ist die Kunst. (bsc)