Rettung vor dem Verfall

Entsorgen wollte man sie doch noch nicht: Schallplattensammlung, Hörspiele oder Mixed-Tapes auf Musikkassette und in VHS verewigte Familien-Highlights fristen oft noch im Kellergeschoss ihr klägliches Dasein. Jetzt wird es Zeit, sie zu digitalisieren und so vor dem Verfall zu bewahren.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 11 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Sven Hansen
Inhaltsverzeichnis

Analoge Medien digitalisieren? Warum das denn – mag sich manch ein Zeitgenosse fragen. Schließlich ist die Welt der Bits und Bytes auch nicht gerade für ihre Beständigkeit bekannt. Viele Menschen „sichern“ die Fotos aus ihrer Digicam zu Recht nicht nur auf USB-Sticks, sondern bestellen Abzüge beim Fotodienst. Wenn es um Papierfotos, Schriftstücke oder Dias geht, ist diese Haltung durchaus berechtigt: Auf sie wird man auch in 50 Jahren noch zugreifen können.

Ganz anders stellt sich die Situation bei analogen Musik- und Videoinhalten dar. Besonders bei den auf Magnetband festgehaltenen Erinnerungen besteht dringender Handlungsbedarf: Das Bandmaterial wird langsam marode und die auf der Magnetschicht gespeicherten Informationen „sickern“ sukzessive von Spulenwindung zu Spulenwindung durch die Kassetten. Hinzu kommt, dass die zum Abspielen nötige Hardware immer seltener wird.

Schallplatten sind zwar deutlich weniger anfällig für schleichenden Datenverlust und der zum Abspielen benötigte Schallplattenspieler ist längst nicht so komplex wie eine Bandmaschine; ganz ohne dieses rar gewordene Stück Audiotechnik kann man mit seiner Vinyl-Sammlung allerdings herzlich wenig anfangen. Generell gilt: Ohne die passende Hardware geht gar nichts.

Die Hersteller haben den Bedarf erkannt: Durch Supermärkte und Fachgeschäfte rollt momentan eine Retrowelle in Form analoger Abspielgeräte, welche die Medieninhalte digitalisieren können und per USB oder Kartenleser für den Computereinsatz bereitstellen.

Noch gibt es neben den neuen Digitalisiermaschinen mit USB-Anschluss eine breite Basis originaler Abspielgeräte, die – wenn sie auch nicht mehr im eigenen Keller geparkt sind – zumindest noch gebraucht günstig zu haben sind. Wer Original-Hardware einsetzt, kann einige Vorteile für sich verbuchen: Tonabnehmersysteme von Plattenspielern erlebten ihre Blüte in den 80er Jahren, heutige Schallplattenspieler können da qualitativ oft nicht mithalten. Gleiches gilt für Bandlaufwerke: Auch diese Technik hat ihre Blütezeit hinter sich und ist im Handel meist nur in minderer Qualität erhältlich.

Die Schallplatte gibt sich als Königin unter den analogen Medien. Alte HiFi-Hasen trauern ihr noch immer nach. Die CD trat ihr digitales Erbe zwar erfolgreich an – gerade am Anfang der CD-Ära allerdings mit klanglichen Einbußen. Vinyl-Freaks sind davon überzeugt, dass selbst digitalisierte Schallplatten mit 24 Bit/96 kHz abgetastet besser klingen als die vordigitalisierte Musik von Online-Diensten oder CD (siehe auch c't 15/09, S. 156). Rein rechnerisch sollte die übliche Abtastrate von 44 kHz bei 16 Bit genügen. Allein wegen der über die Jahre ständig abgesunkenen Dynamik der im Handel erhältlichen Audio-CDs kann es sich daher durchaus lohnen, Schallplatten zu digitalisieren. Um den Aufnahmen mehr „Dampf“ zu verpassen, wurden viele Titel über die Jahre mit immer stärkerer Loudness-Maximierung abgemischt, was von den ursprünglichen Dynamikverhältnissen wenig übrig ließ (Loudness War). Welche Hard- und Software Sie zum Digitalisieren Ihrer Vinyls brauchen und wie Sie die Aufzeichnungen digital aufpolieren, erfahren Sie im Artikel ab Seite 116.

Bei den Musikkassetten stellt sich die Situation vollkommen anders dar. HiFi-Genuss wird hier keiner erwarten – für die „Goldohren“ war die Musikkassette nie das Medium der Wahl. Dafür war die „berauschende“ MC eindeutig das Medium zum Anfertigen eigener Aufnahmen. Die hier schlummernden Schätze besitzen daher oft eher emotionalen Erinnerungswert – klangliche Schwächen kann man bei den ersten Hörspielversuchen oder Musik-Samplern mit ungelenk beschnittener Radiomoderation noch verkraften.

Etwas besser ist man dran, wenn man einst seinen Stereo-Videorecorder als Musikrecorder zweckentfremdet hat. Videorecorder boten konkurrenzlos lange Aufnahmedauer bei einer der Musikkassette deutlich überlegenen Audioqualität. Bessere Geräte gab es sogar mit manueller Aussteuerung und einer Deaktivierungsmöglichkeit für die Videospur, die – bedingt durch das Aufzeichnungsverfahren mit rotierenden Magnetköpfen – zu einer Verfälschung der Stereoaufnahme führte.

Mit ein wenig Aufwand lässt sich jedoch selbst den in die Jahre gekommenen Kompaktkassetten durchaus Hörenswertes entlocken. Der Artikel ab Seite 112 gibt Tipps zur Digitalisierung und Weiterbearbeitung von MCs mit spezieller Hardware oder einfachen Bordmitteln am PC.

Bei der Videosammlung auf VHS gilt es zu unterscheiden: Kassetten mit einstigen Blockbustern oder Raubkopien aus den 80ern sollte man gleich der geordneten Entsorgung zuführen und beim nächsten Besuch im Elektromarkt die entsprechende DVD in den Einkaufswagen legen. Es sind eher Familienfilme oder Sternstunden des Fernsehens wie die erste Tutti-Frutti-Sendung von 1990, die sich als restaurationswürdig erweisen. Die Bildqualität ist dabei häufig von untergeordneter Bedeutung. Einige typische Bildschwächen der analogen VHS-Videos lassen sich mit heutiger Rechen-Power jedoch ohne Weiteres ausbügeln. Alles Wichtige rund um die Rettung von VHS-Kassetten finden Sie im Artikel ab Seite 106.

Die Restauration analoger Datenträger ist ein lohnenswertes, aber zeitintensives Unterfangen. Heutzutage fliegen die Megabytes nur so von Festplatte zu Festplatte. Bei analoger Technik war Highspeed-Dubbing mit zweifacher Geschwindigkeit das höchste der Gefühle. Die Brücke zwischen analoger und digitaler Welt überquert man bestenfalls in Echtzeit und muss sich zusätzlich noch um Nachbearbeitung und Sicherung des Materials kümmern.

Belohnt wird man mit digitalen Erinnerungsstücken, bei denen es sich ausnahmsweise mal nicht um digitale Massenware, sondern um handgeklöppelte Bits und Bytes handelt. Die alten Datenträger haben dann ihre Schuldigkeit getan – und können wertvollen Regal- und Kellerraum freigeben.

Artikel zum Thema "Musik und Videos retten" finden Sie in der c't 1/2010:
Analoge Medien vor dem Verfall bewahren S. 104
VHS-Videos digitalisieren und restaurieren
S. 106
Musikkassetten digitalisieren und bearbeiten
S. 112
Schallplatten überspielen und remastern
S. 116

(sha)