Gipfel zur Informationsgesellschaft ohne Kanzler
Ein Regierungssprecher betonte, das Nichterscheinen des Bundeskanzlers beim Weltgipfel sei keinesfalls als "Absage an die Informationsgesellschaft" zu verstehen.
Die Innenpolitik, der Vermittlungsausschuss zur Agenda 2010 und der bevorstehende EU-Gipfel gaben den Ausschlag: Bundeskanzler Gerhard Schröder nimmt nicht am Weltgipfel der Informationsgesellschaft (WSIS ) im Dezember in Genf teil. Ein Regierungssprecher betonte gegenüber heise online, das sei keinesfalls als "Absage an die Informationsgesellschaft" zu verstehen. Der Termindruck mache die Teilnahme des Kanzlers schlicht unmöglich.
Noch ist unklar, wer die deutsche Delegation nun nach Genf führen wird. Der Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement, dessen Ministerium die Federführung für die WSIS-Debatte hat? Eher unwahrscheinlich, heißt es aus seinem Ministerium. Aller Voraussicht nach wird also einer der Staatssekretäre entsandt. Auch Clements Beitrag zu einer Konferenz der Alcatel Stiftung zum Thema WSIS heute und morgen in Berlin fällt, so ein Sprecher, leider aus, "da aus Termingründen niemand aus dem Leitungsbereich den Termin wahrnehmen konnte."
Enttäuscht zeigten sich Vertreter der deutschen zivilgesellschaftlichen Organisationen, also der Nichtregierungsorganisationen und der Gruppen, die sich jenseits von Wirtschaftsverbänden und klassischen politischen Organisationen engagieren. "Dieses kurzfristige Umdisponieren zeigt deutlich, dass der Bundesregierung die weitreichende Bedeutung der auf dem WSIS diskutierten Themen nicht klar ist", heißt es in einem ersten Kommentar des WSIS-Koordinierungskreises. Sie fürchten, dass damit das Verhandlungsmandat zur Lösung von Konflikten fehlt, die es vor Ort in Genf noch auszutragen gilt.
Möglicherweise rechne man auch einfach nicht mehr mit einem Gelingen des Gipfels und wolle sich drücken. Inwieweit insgesamt Bewegung in die Liste der angemeldeten Staatsoberhäupter in Genf gekommen ist, bleibt unklar. Die ITU/WSIS-Pressestelle konnte dazu keine Auskunft geben. Gerüchte, China werde dem Gipfel demonstrativ fernbleiben, dementierte die chinesische UN-Vertretung in Genf gegenüber heise online.
Aus Sicht der zivilgesellschaftlichen Gruppen ist auch noch unklar, was aus ihrer Idee wird, im kommenden Jahr zu einer Konferenz über die umstrittenen Finanzierungsmodelle zur Überwindung der Digitalen Kluft nach Deutschland einzuladen. Diese Idee steht in einem Positionspapier, das die zivilgesellschaftlichen Mitglieder der offiziellen deutschen WSIS-Delegation dem Kanzler mit auf den Weg geben wollten. Die Zivilgesellschaftsvertreter werden -- das steht immerhin fest -- auf jeden Fall in Genf sein.
Zum Weltgipfel für die Informationsgesellschaft siehe auch:
- Commitment statt Kohle
- Alternative Gipfelerklärung zur Infogesellschaft geplant
- Bundesregierung wegen Weltgipfel der Informationsgesellschaft unter Beschuss
- WSIS: "Regierungen, hört uns zu oder lasst uns alleine..."
- Kollaps beim Endspurt -- Der Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS) auf der Intensivstation
- Stillstand bei Verhandlungen
- Ringen um die Netzverwaltung
- Kritik an Vorbereitungskonferenz zum WSIS
- Endspurt auf dem Weg zum Weltgipfel der Informationsgesellschaft
- IT -- für alle und nachhaltig? in c't Ausgabe 15/2003 auf S. 51
- "Magna Charta" der Wissensgesellschaft steht zur Diskussion
- Ein steiniger Weg zum Weltgipfel der Informationsgesellschaft
- Die "Civil Society" und die Weltinformationsgesellschaft
- Von den Visionen zur Realität -- Zivilgesellschaft auf der Treppenleiter zum Weltgipfel der Informationsgesellschaft
- Ideen für eine Weltinformationsgesellschaft
- Wer soll über Internet-Zukunft entscheiden?
- Magna Charta der Wissensgesellschaft
(Monika Ermert) / (jk)