Wunschzettel für die zehner Jahre

Fünf brennende Wünsche für eine technische Entwicklung, die eine nachhaltige und selbstbestimmte Produktion ermöglicht.

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Von
  • Niels Boeing

Fünf brennende Wünsche für eine technische Entwicklung, die eine nachhaltige und selbstbestimmte Produktion ermöglicht.

Jahrzehnte sind natürlich eine etwas willkürliche Einteilung des Laufs der Zeit. Andere Kulturen hätten ihn vielleicht in Siebenjahres- oder noch anderen Schritten vermessen. Dennoch kann ich mich dem Beginn des neuen Jahrzehnts nicht entziehen (gut, einige werden darauf bestehen, dass die zehner Jahre erst mit dem 1.1.2011 beginnen). Also habe ich mich auf das Gedankenspiel eingelassen, ich hätte fünf Wünsche für die weitere technische Entwicklung frei.

Hier sind sie:

1. Eine hocheffiziente Anordnung für die photolythische Herstellung von Wasserstoff nur mit Hilfe von Sonnenlicht.
Wasserstoff ist eigentlich der saubere Brennstoff für die Zukunft. Bislang muss man in seine Herstellung aber so viel Energie stecken, dass die Energiebilanz nicht besonders günstig ausfällt. Einen viel versprechenden Ansatz hat Martin Demuth vom Max-Planck-Institut für Bioanorganische Chemie entwickelt: Titandisilizid oxidiert unter Lichteinstrahlung Wasser, wobei Protonen (also Wasserstoffionen) und Sauerstoffionen entstehen, die katalytisch zu Wasserstoff und Sauerstoff werden. Könnte man dieses Verfahren ausreichend effizient machen und skalieren, wäre ein Weg gefunden, Wasserstoff für Brennstoffzellen ohne zusätzlichen Energieeinsatz zu produzieren. Materialien, die als Festkörperspeicher für das leichte Gas dienen können, gibt es bereits. Dann könnte die Wasserstoffwirtschaft vielleicht doch noch in Gang kommen.

2. Eine Anlage für die einfache Do-It-Yourself-Produktion von flexiblen Solarzellen.
Solarzellen werden eine der wichtigsten Energiequellen der Zukunft sein. Allerdings zeichnet sich auch hier ab, dass im Laufe der Jahre einige internationale Konzerne den Markt unter sich aufteilen werden. So läuft das nun mal im Kapitalismus. Spannend würde es, wenn Verfahren entwickelt würden, mit denen sich Dünnschichtsolarzellen selbst herstellen lassen – und den Verbrauchern die Möglichkeit geben, nicht nur selbst Energie, sondern auch gleich die Energiequelle zu produzieren. Warum soll sich die Heimwerker-Kultur auf klassische Elektronik und Holzverarbeitung konzentrieren?

3. Die Realisierung "vertikaler Farmen".
Es gibt bereits verschiedene Konzepte, um in Türmen mitten in der Stadt Lebensmittel anzubauen. Realisiert wurde meines Wissens bislang noch keins. Die Idee mag auf den ersten Blick spinnert klingen. Doch wenn man sich überlegt, dass der Anteil der Stadtbevölkerung weltweit zunehmen wird (derzeit: 50 Prozent, 2030: voraussichtlich 60 Prozent), während immer mehr Agrarflächen degradiert werden, wird sie interessant. Hinzu kommt, dass hochverdichtete Städte eine landwirtschaftliche Fläche beanspruchen, die in etwa dem Stadtraum entspricht. Gleichzeitig müssten für Klimaschutz und Biodiversität die Naturschutzflächen eigentlich ausgeweitet werden. Warum also nicht besser anfangen, Grundnahrungsmittel direkt in der Stadt zu produzieren?

4. Ein Personal Fabricator, der nicht nur Kopien seiner selbst herstellen kann, sondern auch Abfälle in die dazu nötigen Rohstoffe zerlegt.
Der Personal Fabricator, der dem MIT-Physiker Neil Gershenfeld vorschwebt, ist weder ein ausgeklügelter 3D-Drucker noch eine "Harry-Potter-Maschine". Sein Konzept ist eine Mini-Werkstatt aus Hightech-Geräten, in der die Leute auf hohem technischen Niveau Produzenten – und damit selbstbestimmt produktiv – werden können. Gershenfelds Ziel ist, dass dieses Maschinenensemble irgendwann seine Bestandteile reproduzieren kann. Aber wo kommen die Rohstoffe dafür her? Richtig rund wird die Idee erst, wenn der Gershenfeldsche Personal Fabricator auch Abfälle in seine Bestandteile zerlegen kann, um daraus die Rohstoffe zu gewinnen. So erweitert, würden Produktion und Recycling endlich Hand in Hand gehen.

5. Die Gründung eines Creative-Commons-Gegenstücks zu Patenten.
Die Creative-Commons-Lizenzen für kulturelle Erzeugnisse sind für mich eine der größten rechtlichen Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte. Anstatt mittels Copyright bzw. Urheberrecht per se die Kreativität der Menschen zu knebeln, kann jeder Urheber selbst bestimmen, in welchem Umfang er seine Erzeugnisse ohne Gebühren für die Allgemeinheit nutzbar macht – und damit kulturellen Fortschritt fördert, wie der Stanford-Jurist Lawrence Lessig für mich sehr schlüssig in verschiedenen Büchern dargelegt hat. Kulturelle Erzeugnisse sind aber nur das halbe Leben. Entwicklung, erst recht in den Ländern des globalen Südens, bedeutet auch, Technik für den Fortschritt fruchtbar zu machen. Solange dies vom Geldbeutel abhängt, weil man Lizenzgebühren zahlen muss, wird es immer eine Trennung von Produzenten und Konsumenten geben. Die müssen wir überwinden, wenn wir nicht irgendwann nur noch Gesellschaften von wenigen hochbezahlten Spezialisten mit großartigen Maschinen, schlechtbezahlten Verrichtern einfacher Dienstleistungen und einem Heer aus Arbeitslosen haben wollen.

Welche Wünsche für die technische Entwicklung im kommenden Jahrzehnt haben Sie? (nbo)