WSIS: UN-Konferenz verabschiedet Deklaration zur Informationsfreiheit

176 Staaten haben am Freitag in Genf nach langem Tauziehen eine Deklaration zur Informationgesellschaft verabschiedet. Binnen der kommenden 12 Jahre sollen alle Menschen Zugang zu elektronischen Medien erhalten.

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Von
  • Monika Ermert

Am Ende ging es plötzlich schnell: nach langen Verhandlungstagen und -nächten war die eigentliche Verabschiedung der Genfer Deklaration auf dem Weltgipfel der Informationsgesellschaft (WSIS) nur noch eine Formsache. ITU-Generalsekretär Yoshio Utsumi sagte: "Es kommt einem merkwürdig vor, dass etwas, an dem man fünf Jahre gearbeitet hat, so schnell zu Ende ist." Mit der Deklaration liege jetzt eine "Verfassung der Informationsgesellschaft" vor, sagte der Schweizer Präsident Pascal Couchepin.

Am Rande der Veranstaltung kam es noch zu einer kleinen Auseinandersetzung mit den rund 50 WeSeize-Aktivisten. Deren Demonstration wurde aufgelöst, wer sich nicht ausweisen wollte, wurde kurzzeitig festgenommen. Die Organisatoren waren so zufrieden über Deklaration und Aktionsplan, dass sie von der Existenz der Demo gar nichts wissen wollten.

Der Aktionsplan hält zehn Ziele für den Zeitraum bis 2015 fest: Der Anschluss an Informations- und Kommunikationstechnologien für Unis, Schulen, Forschungseinrichtungen, Bibliotheken und Krankenhäuser und Regierungen soll realisiert werden, überall soll es zumindest einen gemeinschaftlichen Netzzugang geben. Die Lehrpläne sollen an die Erfordernisse der Informationsgesellschaft angepasst werden, Voraussetzungen für muttersprachliche Inhalte im Netz geschaffen werden. Außerdem soll bis 2015 jeder Zugang zu Fernsehen und Radio haben, und immerhin jeder zweite Internet-Anschluss. Allerdings sollen jeweils nationale Besonderheiten berücksichtigt werden.

Man stehe jetzt vor einem Haufen Arbeit, sagte Couchepin. Bis zum Gipfel Nummer zwei in Tunis 2005 gilt es zu konkretisieren, wie die wohlgemeinten Ziele realisiert werden sollen. Auch am letzten Tag kamen noch einmal die Dinge auf den Tisch, über die man zuvor so mühsam um Kompromisse gerungen hatte. Im Streit um die Finanzen kam das letzte Wort von Senegals Präsident Abdoulaye Wade, dem Befürworter des digitalen Solidaritätsfond.

Gemeinsam mit Genf und Lyon, wo in dieser Woche das Treffen der Weltgipfel der Städte stattgefunden hat, kündigte er die Gründung des freiwilligen Fonds an. Der Senegal selbst trägt 500.000 US Dollar (410.000 Euro) bei, Genf 500.000 Schweizer Franken (325.000 Euro) und Lyon 300.000 Euro. Die drei Partner hoffen auf weitere Sponsoren unter Städten, Gemeinden und aus der Privatwirtschaft. Wade erklärte kurzerhand den 12. Dezember zum "Tag der digitalen Solidarität". Im Rahmen des zu Ende gegangenen Gipfels wurden auch ein ganzer Sack von Partnerprojekten angekündigt, darunter ein Gesundheits- und Technologienetz der ITU und Cisco und ein großes Forschungsprogramm der EU zum Thema Trust, Antispam und Cybersecurity.

Mit Blick auf das Streitthema Internet-Verwaltung sagte Couchepin, die Informationsgesellschaft sei ohne Zutun des Staates entstanden und in erster Linie Ergebnis privater Initiativen. Die Verwaltung des Netzes zeige so auch deutlich, wie wichtig die Kooperation zwischen Unternehmen, Regierungen und internationalen Organisationen sei. Unternehmensvertreter hatten in ihrem Schluss-Statement gestern noch einmal betont, der Begriff "governance" sei irreführend, es gehe um eine Koordinationsaufgabe. ICANN-Chef Paul Twomey sagte während der WSIS zu, dass zusätzlich zu dem neuen Brüsseler Büro bis Mitte 2004 ICANN-Büros auch in weiteren Regionen eröffnet würden. Er habe, so Twomey gegenüber heise online, bereits mehrere Angebote von Regierungen für Standorte.

Noch keine Details verrieten die WSIS-Organisatoren dazu, wie die von UN-Generalsekretär Kofi Annan zu bestimmenden Arbeitsgruppen zu den beiden Streitthemen aussehen sollen. ITU-Chef Utsumi wies aber auf die wichtige Bedeutung seiner Organisation hin. Er versprach auch, in Phase zwei für einen effektiveren Verhandlungsprozess zu sorgen. Statt ursprünglich geplanter drei waren stattliche sechs Plenarvorbereitungstreffen nötig.

Die zivilgesellschaftlichen Gruppen zogen eine eher gemischte Bilanz von Phase eins. Die Erklärung der Regierungen geht ihnen in vielen Punkten nicht weit genug, daher haben sie ihre eigenen Erklärung vorgelegt. Völlig untergegangen sind in der Regierungserklärung etwa Grundsätze zu Arbeitsbedingungen oder dem Recht am Arbeitsplatz in der Informationsgesellschaft, beklagte Verdi-WSIS-Delegierte Annette Mühlberg. Beim Thema Datenschutz und private Rechte befinde man sich insgesamt in einem Rückzugsgefecht, sagte Diana Bronson, Sprecherin der Menschenrechtsgruppe der Zivilgesellschaft: "Wir verteidigen den Status Quo."

Überaus kritisch setzten sich die Zivilgesellschaftler auch noch einmal mit dem Ort für Phase zwei des Gipfels auseinander. Drei Bedingungen soll die tunesische Regierung noch vor dem ersten Anschlusstreffen im März erfüllen, fordern die zivilgesellschaftlichen Gruppen: die Freilassung von Journalisten im Gefängnis, den Bericht einer unabhängigen Inspektorengruppe zur Menschenrechtssituation in Tunesien und die Ablösung von General Abib Ammar als Präsident der zweiten Gipfelphase. Ammar soll als ehemaliger Kommandeur der Nationalgarde und als Innenminister nach Angaben der World Organization Against Torture an brutalen Repressionsmaßnahmen beteiligt gewesen sein. Das EU-Parlament hat ebenfalls eine Erklärung gegen seine Ernennung verabschiedet. Allerdings wollen weder EU-Vertreter noch die Schweiz an der Entscheidung der UN rütteln. Der tunesische Außenminister sprach von einer regelrechten Kampagne gegen sein Land.

Doch bei den Mitgliedern der Zivilgesellschaft ist man sehr skeptisch. Selbst in der an sich Zivilgesellschafts-freundlichen Schweiz fühlte man sich nur in Maßen gut behandelt. Von den katastrophalen Bedingungen bezüglich des Netzzugangs, etwa einem Wireless-Zugang für fast 200 Franken (129 Euro), fehlenden Kopierern und schlechten Slots bei den Pressekonferenzen abgesehen, wurde auch das Chipkarten-gestützte Zugangssystem misstrauisch beäugt. Bei allen Eingängen und auch beim Wechsel zwischen verschiedenen Bereichen wurde jeweils der Datensatz ausgelesen. "Was mit den Daten geschieht, hat niemand gesagt," sagte Markus Beckedahl vom Netzwerk Neue Medien. Als vielleicht größten Erfolg für die Sache empfinden die Mitglieder augenscheinlich das entstandene Netzwerk der vielgesichtigen zivilgesellschaftlichen Gruppen. Darauf aufbauend wollen sie an der Informationsgesellschaft weiterwerken.

Zum Weltgipfel für die Informationsgesellschaft siehe auch:

(Monika Ermert) / (uma)