Es gibt gute Gründe für ein PFAS-Verbot

Die EU-Kommission plant, mit den PFAS rund 10.000 Fluorchemikalien zu verbieten. Für das Verbot einer so großen Stoffgruppe gibt es bisher kein Vorbild.

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(Bild: vladm/Shutterstock.com)

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In der griechischen Mythologie war die Wasserschlange Hydra ein vielköpfiges Ungeheuer. Verlor sie einen Kopf, wuchsen schnell zwei neue nach. Ihr Atem vergiftete Felder, Gewässer und jene, die ihr zu nah kamen. Sie galt, bis es Herakles gelang, sie doch zu töten, als unsterblich. Nun haben Umweltforschende und Mediziner eine Art Neuzeit-Hydra ausgemacht: PFAS, die Stoffgruppe der per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen.

Die künstlichen Substanzen haben sich praktisch überall in der Umwelt verteilt, manche sind giftig – und auch wenn der Stoffgruppe keine neuen Köpfe wachsen, so kommen doch immer neue Varianten hinzu. Sobald eine Fluorchemikalie wegen erwiesener Gesundheitsrisiken reguliert wird, gehen die Hersteller mit diversen neuen, oft chemisch ähnlichen Varianten an den Start, die nicht unbedingt weniger gefährlich sein müssen. Mittlerweile sind mehr als 10.000 verschiedene PFAS bekannt.

Ein Kommentar von Andrea Hoferichter

Andrea Hoferichter ist Redakteurin bei MIT Technology Review. Sie ist Chemikerin und schreibt Artikel aus dem Bereich Umwelt, Medizin und Biotechnologie.

Die Substanzen stecken in den unterschiedlichsten Produkten: beschichteten Pfannen, Sofastoffen, Schuhsprays, Dichtbändern oder Löschschäumen – bis hin zu Lithium-Ionen-Batterien, Autoklimaanlagen und medizinischen Implantaten. Als besonders problematisch gelten PFAS, die bei der Produktion oder Entsorgung frei werden können. Zwar fordert die EU-Chemikalienverordnung REACH durchaus Unbedenklichkeitsdaten für bisher ungeprüfte PFAS ein, doch nur bei größeren Produktions- oder Importmengen. Schädliche Nebenwirkungen kommen oft erst ans Licht, wenn die Substanzen längst im Umlauf sind. Die EU-Kommission will nun die Reißleine ziehen und die gesamte Stoffgruppe verbieten. Einen ersten Vorschlag präsentierte sie Anfang Februar.

Vor einem allgemeinen PFAS-Verbot warnen derweil zwei deutsche Medinzintechnikverbände. Sie haben ein Schreiben an das Bundesgesundheitsministerium gerichtet und mahnen die "verheerenden Auswirkungen" des geplanten Verbots an. Sie argumentieren unter anderem, dass PFAS in der Medizintechnik sogenannte "Hochleistungswerkstoffe" seien, die medizintechnische Fortschritte überhaupt erst möglich gemacht hätten.

Und trotzdem: Für das Gruppenverbot gibt es gute Gründe. Zwar muss nicht jede PFAS-Variante giftig sein. Doch von manchen weiß man, dass sie gesundheitliche Folgen haben und das Immunsystem schwächen, den Fettstoffwechsel stören, die Fruchtbarkeit und die Entwicklung von Kindern beeinträchtigen können. Auch Leber- und Nierenschäden sowie Hodenkrebs stehen mit den Substanzen in Verbindung. Jede einzelne von unabhängiger Stelle auf Gesundheitsrisiken zu prüfen, würde Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte dauern und Zigtausende Tierversuche erfordern.

Hinzu kommt: Wie die Hydra in der Mythologie sind auch PFAS praktisch unsterblich. Weder Sonnenlicht noch Mikroben können ihnen etwas anhaben. Gelangen sie in die Umwelt, bleiben sie für mindestens Jahrzehnte. Nicht umsonst werden sie auch Ewigkeitschemikalien genannt. Rückholmöglichkeiten sind äußerst schwierig.

Längst haben sich die Chemikalien auf der ganzen Welt verteilt, bis in die Antarktis und ins tibetanische Hochland. In Böden, Gewässern und im Regen stecken sie vielerorts in Dosen, die Unbedenklichkeitsschwellen zum Teil deutlich überschreiten. Die Stoffe werden zudem immer häufiger in Produkten gefunden, für deren Herstellung sie gar nicht verwendet werden, etwa in Orangensaft, Klopapier und Tampons. In Fischen und Eisbären detektierten Forschende schon vor Jahren PFAS – und auch im Blut der meisten Menschen. Kinder und Jugendliche sind besonders betroffen. Jeder fünfte junge Mensch in Deutschland ist laut Umweltbundesamt allein mit der mittlerweile verbotenen PFAS-Variante PFOA so stark belastet, dass Gesundheitsschäden nicht auszuschließen sind.

Angesichts solcher Befunde wirkt das Werbevideo eines PFAS-Herstellers zynisch: Ein junger Mann im Wunschschwiegersohn-Look in einem cleanen, katalogreifen Apartment. Das Frühstücksspiegelei gleitet aus der beschichteten Pfanne, das blaue Businesshemd bügelt sich praktisch von alleine und er fährt, selbstverständlich, einen Elektro-SUV mit Lithium-Ionen-Batterie. PFAS seien unverzichtbar, argumentiert der Produzent und Industrieverbände schlagen in die gleiche Kerbe: Das PFAS-Verbot bedrohe Wohlstand, Arbeitsplätze, Innovationskraft und das Erreichen der Klimaschutzziele, heißt es immer wieder.

Zumindest Letzteres stimmt so aber nicht. Brennstoffzellen und Elektrolysezellen für die Produktion von "grünem" Wasserstoff funktionieren durchaus ohne PFAS-haltige Membranen, auch wenn ein Umstieg vielleicht noch ein bisschen Zeit braucht. Ein kanadisches Start-up jedenfalls präsentierte schon Alternativen und zeigt zugleich, dass sich Innovationskraft durchaus auch ohne Fluorchemikalien entfalten kann.

Ähnliches gilt für Natrium-Ionen-Festkörperbatterien, an denen zurzeit mit Hochdruck geforscht wird und die nicht nur ohne Fluorchemikalien auskommen, sondern auch ohne die ökologisch und ethisch problematischen Metalle Lithium und Kobalt. Wärmepumpen ohne fluorierte Gase sind bereits im Handel und Alltagsprodukte wie PFAS-haltige Pfannen, Wetterjacken, Hautcremes oder Kettenfett ließen sich ohnehin sofort ersetzen. Alternativprodukte gibt es längst.

Ein PFAS-Verbot ist nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen geboten. Der Nordische Rat nennt europaweite Gesundheitskosten zwischen 52 und 84 Milliarden Euro pro Jahr. Das Management von großflächig verseuchten Böden, Grund- und Trinkwasser, etwa durch Fabrikemissionen oder den Einsatz entsprechender Löschschäume, ist da noch nicht mit einberechnet. Und auch nicht, dass die PFAS-Mengen in der Umwelt weiter steigen. Jüngst machte etwa die Niederlande das US-Unternehmen 3M für durch PFAS-verseuchtes Trinkwasser im Fluss Schelde haftbar. 3M soll aus seinem Chemiewerk in Belgien Chemieabfälle in die Schelde eingeleitet haben, die teilweise weiter bis in die Niederlande fließen.

Wichtig ist natürlich, dass die Chemikalienflut nicht nur in Europa gestoppt wird. Die Verschmutzung wirkt global. Welche Regulierungen im Kampf gegen die Neuzeit-Hydra PFAS letztlich greifen und auch, wie das EU-Verbot aussehen wird, bleibt abzuwarten. Im ersten Vorschlag sieht die EU-Kommission ein zügiges Verbot für viele Alltagsprodukte vor und längere Übergangsfristen von bis zu 13,5 Jahren etwa für die Halbleiterindustrie und medizinische Implantate. Industrieverbände wollen weiter gegenhalten. Frühestens 2025 rechnen Fachleute mit einem endgültigen Ergebnis.

(anh)