Österreich: Sicherheitspolizeigesetz vor Menschenrechtsgerichtshof [Update]

Umstrittene Passagen des österreichischen Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) sollen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auf ihre Vereinbarkeit mit der Europäischen Menschenrechtskonvention überprüft werden. Einen entsprechenden Antrag hat die Wiener Gemeinderätin Marie Ringler jetzt gestellt.

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Umstrittene Passagen des österreichischen Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) sollen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) auf ihre Vereinbarkeit mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) überprüft werden. Zu diesem Zweck hat die Wiener Gemeinderätin Marie Ringler (Grüne) den EGMR angerufen, nachdem ihre Individualbeschwerde vom österreichischen Verfassungsgerichtshof (VfGH) aus formalen Gründen zurückgewiesen worden war.

Das im Dezember 2007 neu gefasste SPG verpflichtet Mobilfunker, auf Polizeibefehl Standortdaten und die internationale Mobilfunkteilnehmerkennung (IMSI) eines Handys preiszugeben. Gleichermaßen müssen Provider Name und Anschrift von Nutzern bestimmter IP-Adressen herausgeben. Eine richterliche Kontrolle der Wünsche der Polizei gibt es nicht mehr; eine Information der Betroffenen ist ebenso wenig vorgesehen, wie die Löschung der erhobenen Daten.

Gegen diese überraschend und ohne Vorberatung im Nationalrat durch die Regierungskoalition aus SPÖ und ÖVP beschlossenen Änderungen hatten Netzbetreiber, Oppositionspolitiker, Juristen und andere Personen Individualbeschwerden beim VfGH erhoben. Dieser lehnte jedoch die Bearbeitung ab. Die Beschwerdeführer sollten zuerst Rechtsmittel gegen konkrete Auskunftsersuchen der Polizei erheben. Da Betroffene über ihre Überwachung aber nicht informiert werden, könnten sie im Fall des Falles auch keine Rechtsmittel ergreifen, meint Ringler. Sie wirft daher der Republik Österreich vor, das in Art 13 EMRK verbriefte Recht auf wirksame Beschwerdemöglichkeiten nicht zu gewähren.

Im Verfahren Ringler gegen Österreich soll der EGMR aber auch das SPG selbst inhaltlich prüfen: Die umstrittenen Bestimmungen in Paragraph 53 SPG seien nicht ausreichend präzise formuliert. Dadurch fehle der Schutz vor willkürlicher behördlicher Inanspruchnahme der Befugnisse, womit das Recht auf Achtung des Privatlebens (Art 8 EMR) verletzt werde. Zudem wird bemängelt, dass entgegen der Rechtsprechung des EGMR weder angemessene Garantien und Vorkehrungen noch eine wirksame Kontrolle vorgesehen seien.

Update: Gegen das SPG ist beim EGMR eine zweite Beschwerde anhängig. Sie wurde von einer Reihe von Juristen, Ärzten und Unternehmern eingebracht, darunter auch der ehemalige liberale Nationalratsabgeordnete Alexander Zach. In dem von Mitarbeitern des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte mitverfassten Antrag werden im Wesentlichen ähnliche Argumente wie von Ringler bemüht.

Institutsleiter Hannes Tretter verwies gegenüber heise online auf ein jüngst ergangenes EGMR-Urteil gegen Bulgarien, wonach ein Überwachungsgesetz in die Rechtssphäre jeden Bürgers eingreife, auch wenn er gegenwärtig nicht konkret überwacht werde. Daher hätte der VfGH die Individualanträge nicht zurückweisen dürfen. Beim EGMR sind derzeit knapp 120.000 Fälle anhängig. Tretter rechnet mit einer Verfahrensdauer vor dem EGMR von fünf Jahren oder mehr.

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Daniel AJ Sokolov ist freier Journalist und berichtet für heise online über alle Themen aus Telekommunikation, IT und dem gesellschaftlichen Umfeld in Österreich. Sokolov ist parallel dazu auch Mitglied der österreichischen Grünen und Vorsitzender der Bezirksvertretung Wien-Josefstadt). (pmz)