Altern "moralisch schlecht": Innovatoren wollen eigenen Staat für Langlebigkeit

Zuzalu, eine Pop-up-Stadt in Montenegro, soll zum Hafen für Biohacker werden, die an lebensverlängernden Maßnahmen für die Menschheit arbeiten.

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(Bild: Erstellt mit Midjourney durch MIT Technology Review)

Lesezeit: 15 Min.
Von
  • Jessica Hamzelou
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An einem Freitagmorgen Anfang Mai. Die Wellen schlagen gegen die Felsen in einer kleinen Bucht an der Adriaküste. Der Himmel ist sehr grau und es donnert unaufhörlich. Seit Ankunft in Montenegro ist das Wetter schlecht. Es war sogar zu stürmisch für den Piloten, das Flugzeug zu landen, weshalb es nach Kroatien umgeleitet wurde.

Der Termin, zu dem MIT Technology Review eingeladen wurde, ist ein besonderer. Es ist ein Treffen von Menschen, die gerne besonders lange leben würden. Sie interessieren sich dazu für verschiedene biotechnologische Ansätze. Einer dieser Biohacker, mit dem die Reporterin an den Veranstaltungsort fährt, erzählt, dass die Hälfte seines Gepäcks aus "Nahrungsergänzungsmitteln und weiteren Pülverchen" besteht. Viele Teilnehmer tragen Aufkleber, auf denen "Longevity", Langlebigkeit, steht. Alle sind sehr freundlich und eine Aufbruchstimmung ist spürbar. Fast jeder, mit dem man spricht, ist zuversichtlich, dass die Menschheit einen Weg finden wird, das Altern zu verlangsamen oder gar umzukehren. Und einige der Teilnehmer haben sogar einen kühnen Plan, um diesen Fortschritt zu beschleunigen.

Seit Tausenden von Jahren sind wir Menschen auf der Suche nach dem Jungbrunnen. Aber die Fortschritte waren bislang, gelinde gesagt, langsam. Obwohl viele Unternehmen an Möglichkeiten arbeiten, den Alterungsprozess zu verlangsamen oder umzukehren, ist es unglaublich schwierig und teuer, dafür überhaupt Studien durchzuführen. So lässt sich nur schwer sagen, ob eine Behandlung ihr Ziel erreicht. Und, oh Graus: Gruppen wie die Weltgesundheitsorganisation WHO betrachten das Altern nicht einmal als Krankheit.

Nun aber arbeitet eine Gemeinschaft von Menschen an einem alternativen Konzept, das vielleicht sogar die Gründung eines unabhängigen Staates erreichen könnte. Altern sei "moralisch schlecht", argumentieren sie, es sei ein Problem, das gelöst werden muss. Sie betrachten die bestehenden Vorschriften und Gesetze als Hindernisse für den Fortschritt und fordern einen anderen Ansatz. Weniger Bürokratie ermögliche mehr Innovation, sagen sie. Die Menschen sollten ermutigt werden, Selbstversuche mit noch unbewiesenen Behandlungen durchzuführen, wenn sie dies wünschen. Und Unternehmen sollten nicht durch nationale Verordnungen, die die Entwicklung und Prüfung von Medikamenten einschränken, behindert werden.

Rund 780 solcher Menschen kamen in einer "Pop-up-Stadt" in Montenegro zusammen, um herauszufinden, wie sie einen solchen neuen Staat schaffen könnten – einen Ort, an dem gleichgesinnte Innovatoren in einem völlig neuen Rechtsrahmen zusammenarbeiten können, der ihnen freie Hand für Selbstversuche mit neuen Medikamenten gegen das Altern lässt. Einige der Teilnehmer waren nur Besucher, die auf der Durchreise sind. Aber die Engagierten unter ihnen waren zwei Monate hier.

Das Treffen, das in einem Luxusresort in Tivat, Montenegro, stattfindet, dauerte bis Ende Mai. Die Macher haben es Zuzalu getauft. Jede Woche des Events hat ein anderes Thema, das von synthetischer Biologie bis hin zu Künstlicher Intelligenz reicht. Übergreifender Schwerpunkt sind Langlebigkeit, Kryptowährungen und die Idee der Schaffung eines neuartigen Rechtssystems.

"Zuzalu ist nicht nur eine Konferenz", sagt Laurence Ion, einer der Hauptorganisatoren, vor dem Publikum der Veranstaltung. "Es ist ein Experiment des Zusammenlebens und der Forschung, wie man aus einem Ort im Internet eine physische Präsenz macht." Das Konzept stammt aus der Feder von Vitalik Buterin, dem Erfinder der Kryptowährung Ethereum – obwohl die Organisatoren betonen, dass es sich um eine gemeinschaftliche Anstrengung handelt. Das Wort Zuzalu hat keine Bedeutung, sagt Mitorganisatorin Janine Leger, die bei Gitcoin, einer Blockchain-Plattform, arbeitet. Der Name wurde – wer hätte das gedacht – mithilfe der generativen Sprach-KI ChatGPT erstellt, wobei das nicht nach dem ersten Prompt klappte. Auch das Logo der Veranstaltung wurde von einem KI-Bildgenerator erstellt. Auch das mit menschlichem Input. Buterin habe Stunden damit verbracht, erzählt Leger.

Bei einer Tasse Tee erzählten sie und ihr Mitstreiter Ion, dass sie so wenig Hierarchie wie möglich haben wollten. Die Mitglieder des Kernteams, das hinter der Veranstaltung steht, erhielten jeweils zehn Einladungen. Die Eingeladenen bekamen dann wiederum ihre eigenen Einladungen. Leger und Ion wollten aber nicht verraten, wer denn auf der Liste stand. Andere Teilnehmer kolportieren die Namen von Berühmtheiten, Politikern und Milliardären, von denen es hieß, sie seien gekommen.