Auf dem Weg nach Vulcan

Mit Project Vulcan legt IBM einen großen Zukunftsentwurf für die Sparte Lotus Software vor. Dieses Jahr sollen die Entwicklungswerkzeuge erscheinen, nächstes Jahr die ersten Softwareprodukte.

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Inhaltsverzeichnis

Lotus hat ein Problem. Trotz hoher Wachstumsraten bei neueren Produkten wie etwa Lotus Connections und einem Rekordstand bei den Wartungsverträgen zu älterer Software wie Lotus Notes fällt die Sparte innerhalb der kraftstrotzenden IBM hinter dem Rest der Software Group zurück.

Zum vierten Mal in Folge sanken die Quartalsumsätze gegenüber dem Vorjahr. Das lässt sich mit der Wirtschaftskrise begründen, jedoch nur schwerlich gegenüber dem gleichzeitigen deutlichen Wachstum anderer Software-Marken der IBM. Lotus begegnet diesem Trend mit einer Marketing-Kampagne, wie es sie in den letzten zehn Jahren nicht mehr gegeben hat. Unter dem Slogan „Lotus knows“, in Deutschland „Lotus weiß“, bewirbt IBM die Software für die Zusammenarbeit in Unternehmen.

Mit dem Project Vulcan will Lotus Anwendern die Möglichkeit bieten, in einer Kollaborationslösung viele Informationsquellen auf unterschiedlichsten Wegen und Plattformen zu vereinen.

Abseits vom Marketing zeichnet Lotus vor allem eine Zukunftsvision mit dem Namen Project Vulcan, angekündigt vom neuen General Manager Alistair Rennie, der bereits die Funktionsbereiche Marketing, Consulting und Entwicklung leitete. Auf der Lotusphere demonstrierte Rennie, wie sich Lotus die Kollaboration der Zukunft vorstellt.

Unter einer Oberfläche, die in Design und Funktionsweise wie Facebook anmutet, sollen zukünftige Versionen der derzeit angebotenen Applikationen gekoppelt zusammenarbeiten. Die Produkte treten dabei in den Hintergrund. Wird in einem Team etwa ein Dokument in einen Quickr Workspace eingefügt, dann erscheint in der Benachrichtigungsmail nicht etwa ein Link, sondern direkt das Dokument in seinem Workspace. Mails, Instant Messages, Statusmeldungen oder Diskussionsbeiträge lassen sich direkt im River of News beantworten. Lotus will darüber hinaus über bereits vorhandene Analyse-Programme für den Nutzer relevante Informationen aus zahlreichen Quellen zusammenfassen. IBM wird Vulcan mit Prozesswissen aus vier Sparten hinterfüttern, um einen echten Mehrwert gewährleisten zu können. Wie bei vielen anderen Softwareherstellern sind das die Bereiche Banken, Gesundheitswesen, öffentliche Verwaltung und Versicherungen.

Vulcan ist keine gänzlich neue Software, sondern eine Evolution. Mit IBM Workplace hatte Lotus schlechte Erfahrungen gemacht, zwang sie doch den Kunden eine bewusste Entscheidung für eine bestimmte Technik oder Anwendung auf. Project Vulcan geht einen anderen Weg. Neben Notes soll die neue Oberfläche auch im Web-Browser und auf mobilen Geräten nutzbar sein. Sie soll auf HTML 5 basieren und die vorhandene Software über REST APIs nutzen. Diese Schnittstellen sind bereits in Entwicklung und sollen ab Mitte des Jahres auf der neu geschaffenen Plattform LotusLive Labs sukzessive angeboten werden. Mit ersten Vulcan-Versionen des Lotus Portfolios ist nicht vor 2011 zu rechnen. Die größte Herausforderung dürfte sein, das recht unterschiedliche Portfolio technisch zu vereinen. So hat etwas LotusLive iNotes mit Lotus iNotes nur den Namen gemein, aber keinerlei technische Infrastruktur.

Die Cloud-Dienste von LotusLive baut IBM im Laufe des Jahres aus. Neben dem Lab gibt es eine neue Version von LotusLive Notes, bei der IBM die Mindestanzahl der zu mietenden Postkörbe von 1000 auf 50 reduziert und die Quota für jeden User auf 5 GByte erhöht. LotusLive Connections soll um Communities erweitert werden. Darüber hinaus kann jeder LotusLive-Nutzer in LotusLive neue Komponenten als Betaversionen testen.

Im vergangenen Jahr hatte Research in Motion, der kanadische Blackberry-Hersteller, neue Versionen der Handy-Software für Connections und Quickr angekündigt. Es dauerte ein Jahr, bis sie damit fertig wurden. Die neuen Clients sind ab sofort über den IBM-Vertrieb und die Partner erhältlich. Sie komplettieren die bereits bestehende Anbindung an Adressen, Kontakte und E-Mails auf Domino-Servern und Instant Messaging, Meetings und Telefonie auf Sametime.

iPhones lassen sich seit Domino 8.5.1 mit der kostenlosen Servererweiterung Lotus Traveler anbinden. Nun liefert Apple die erste iPhone-Anwendung von IBM über den App Store aus: Lotus Notes Traveler Companion hilft dem Anwender, verschlüsselte Mails zu lesen. Der Companion muss dazu über den Traveler-Server Zugriff auf die Notes-ID des Anwenders haben, entweder im Mailfile oder dem ID Vault. Nur so kann er an den privaten Schlüssel kommen, der zum Entschlüsseln der Mail erforderlich ist.

Traveler soll in Zukunft neben Windows Mobile, Symbian S60 und iPhone auch Android-Smartphones unterstützen. IBM entwickelt eine eigene Client-Software auf der Basis von Android 2.0, die zunächst Mails, Kontakte und Termine mit dem Mobilgerät abgleichen, später aber auch eine zentrale Verwaltung und Absicherung der Smartphones gewährleisten soll. IBM plant eigene Anwendungsprogramme, da die im Gerät vorhandenen Programme den Anforderungen etwa an einen Geschäftskalender mit Meeting-Planung nicht gerecht werden.

Vor einem Jahr kündigte IBM an, OpenNTF.org mit Geld und gutem Rat zu unterstützen. Nach anfänglichen Querelen fasst die neue Plattform Tritt und bietet eine Vielzahl von quelloffenen Lösungen und Komponenten vor allem für Lotus Notes an. Auf der Lotusphere wurden nun zwei deutsche Beiträge ausgezeichnet: René Winkelmeyer aus Finnentrop für seinen File Navigator als besten Individualbeitrag und Pavone aus Paderborn für Task Management als bester Beitrag eines Business Partners.

Mit Vulcan wagt Lotus einen Erfolg versprechenden Sprung in die eigene Zukunft. Gelingt es IBM, die verschiedenen Produkte im eigenen Rechenzentrum und in der Cloud unter einen gemeinsamen Hut zu bringen, könnte sich Project Vulcan als Wendepunkt erweisen. Der Trend zur Desktop-Virtualisierung ruft nach einem schlanken, flexiblen Client. Genau den könnte Vulcan liefern. (jk)