Mit russischen Methoden gegen russischen Einfluss?

Polens Regierung will russischen Einfluss bekämpfen. Aber offenbar nicht uneigennützig im Sinne der Demokratie. Symbolbild: Network.nt / CC-BY-2.5

Nato-Partnerland will Einfluss des Kreml bis 2022 untersuchen und nimmt heutige Opposition ins Visier. Kritik kommt von unerwarteter Seite.

Das polnische Gesetz zur "Kommission für die Untersuchung von russischem Einfluss in den Jahren 2007 bis 2022" macht der nationalkonservativen Führung in Warschau nun Ärger. Im In- und Ausland. Selbst aus den USA kommt Kritik.

Das Gesetz könnte "dazu benutzt werden, Kandidaturen von Oppositionspolitikern zu blockieren, ohne dass es dafür eine formale Prozedur bräuchte", warnte das Außenministerium der Vereinigten Staaten am Dienstag.

Und darum geht es wohl auch in dem von Medien als "Lex Tusk" umschriebenen Gesetz, welches Polens Staatspräsident Andrzej Duda am Montag trotz Protesten unterschrieben hat. Nach der Opposition kann mit der nun zu schaffenden Sonderkommission die Kandidatur von Donald Tusk vereitelt werden.

Der ehemalige Premier, Europapolitiker und aktuelle Chef der konservativ-liberalen "Bürgerplattform" (PO) gilt als Bedrohung der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS). Diese will im Herbst die Parlamentswahlen zum dritten Mal in Folge gewinnen.

Die Sonderkommission, die nun via Entscheidung im Sejm zusammengestellt wird, kann Personen des politischen Lebens auf mutmaßlich russlandfreundliche Handlungen untersuchen – und danach für zehn Jahre von politischen Ämtern ausschließen. Die Betroffenen haben kein Recht auf Klage.

Vorwurf: Russland-Politik à la Merkel

Kritiker sehen in dieser Sonderkommission selbst russische Methoden am Werk. Tusk, der von 2007 bis 2014 an der Weichsel regiert hat, wird von der Regierung unter Mateusz Morawiecki unter anderem vorgeworfen, für Polen ungünstige Gasgeschäfte mit Russland verantwortet zu haben. Auch unterstellt die PiS der Vorgängerregierung, eine Russland-Politik wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) betrieben zu haben.

Als Ideengeber des Konstrukts gilt Jaroslaw Kaczynski, Gründer und Chef der PiS. Der 71-jährige hat auch Andrzej Duda als Präsidentschaftskandidaten ausgewählt. Jener unterschrieb zumeist loyal, was sein Förderer sich so alles erdachte hatte. Zwar hat der Staatspräsident angekündigt, das Gesetz vom Verfassungsgericht prüfen zu lassen, doch dieses gilt schon lange als gleichgeschaltet.

Als klar verfassungsfeindlich wertet es die Juristin Sylwia Gregorzyk-Abramvon der Vereinigung "Freie Gerichte". Denn bei der Untersuchung arbeiten Gerichte, Staatsanwaltschaft und Geheimdienste zusammen. Auch können Befragte, etwa Ärzte, die zu einem Politiker Auskunft geben müssen, von ihrem Berufsgeheimnis befreit werden.

Donald Tusk reagierte bislang nur mit einer Ankündigung via Twitter, dass der Präsident eine von ihm organisierte Demonstration am kommenden Sonntag hören werde. Im Vorfeld hatte er weit weniger locker erklärt, dass die PiS die Schaffung der Kommission noch bereuen werden.

Die Demontage der Demokratie, die Kontrolle der Justiz sowie Druck auf die Medien wird durch die PiS seit 2015 betrieben. Aufgrund des starken polnischen Engagements für die Ukraine wurde in letzter Zeit von Washington und Brüssel wenig darauf reagiert. Doch mit "Lex Tusk" scheint die PiS den Bogen überspannt zu haben. Auch der US-Botschafter in Warschau, Mark Brzezinski, der Sohn des Jimmy-Carter-Beraters Zbigniew Brzezinski, hält das Konstrukt für verfassungsfeindlich, was bei manchen Politikern der sonst so us-affinen PiS für Empörung sorgte. Didier Reynders, EU-Kommissar für Justiz, will das polnische Gesetz prüfen lassen, schickte aber bereits voraus, dass er Vorbehalte hat.

Es ist unmöglich, mit einem System einverstanden zu sein, welches bei einem Behördenbeschluss keine wirkliche Gerechtigkeit zulässt, keinen Zugang zu einem unabhängigen Gericht ermöglicht.


Didier Reynders, EU-Kommissar für Justiz

Polens Führung ist einer der aktivsten Advokaten der Ukraine, liefert verhältnismäßig viele Waffen und setzt sich für Sanktionen gegen Russland ein.

Dabei können der PiS durchaus auch Handlungen vorgeworfen werden, die als prorussisch verstanden werden könnten. Viele Politiker der PO argumentieren so, wie auch Piotr Pytel, der ehemalige Chef der militärischen Spionageabwehr.

Er stellt recht gewagte Behauptungen auf – dass etwa die Regierung Morawiecki durch den Kreml erpresst werde, mehrere Abgeordnete hätten entsprechende Kontakte nach Russland. Dabei ging es auch Ölgeschäfte. Gegen den pensionierten Offizier ermittelt nun die polnische Staatsanwaltschaft.

Fest steht: Die PiS steigerte nach Regierungseintritt 2015 den Import russischer Kohle. Auch pflegten bis zum russischen Einmarsch in die Ukraine die polnischen Nationalkonservativen Kontakte zu europäischen Rechtsaußen-Politikern, die von russischen Geldern profitierten. Zu nennen sind Marine Le Pen sowie Matteo Salvini.

Doch die Kommission wird hier nicht weiter nachbohren. Die Einseitigkeit der geplanten Institution zeigt sich schon in ihrer Definition - untersucht wird ab dem Jahr 2007, ab dem Regierungsbeginn der "Bürgerplattform" (PO). Es gibt wohl nur zwei Möglichkeiten, das bereits in Kraft getretene Gesetz wieder auszuhebeln oder zumindest zu mildern – Druck aus den USA oder Druck von der Straße.

Beispielsweise hat Andrzej Duda 2021 ein Mediengesetz nicht unterschrieben, das den Sender TVN einschränken soll. Das TVN gehört dem US-Unternehmen "Discovery" und bringt mit regierungskritischen Berichten die PiS gelegentlich in Erklärungsnot.

Auch im Vorfeld sollte der Sender mit Strafen gebändigt werden, wogegen die USA intervenierten. Sollte Tusk wirklich ausgeschlossen werden, wird dies Washington nicht wirklich hinnehmen können. Und die PiS baut auf ein exklusives Verhältnis mit den USA. Den Druck auf der Straße könnte es bereits am Sonntag geben. Die Opposition plant schon seit langen am vierten Juni einen großen Marsch in Warschau. Eine Erinnerung an die ersten (halb)freien Wahlen am 04. Juni 1989 in Polen wie im Ostblock. Die Demonstration wird nun zum Testballon. Wird Kaczynskis neuester antidemokratischer Schachzug eine Reaktion auslösen, welche die PiS beeindruckt?