Niemand hat die Absicht, eine Wehrpflicht wiedereinzuführen

Hochmotivierter Jungbayer bei der Musterung 1968 in Kempten. Bild: Promifotos.de/ Alexander Hauk, CC BY-SA 3.0

Vorstoß von SPD-Politikerin zur Musterung: Gemeint sind diesmal alle Geschlechter. Warum das Dienen für Deutschland auch dann kein Fortschritt ist.

Die Musterung war jahrzehntelang das Ritual, mit dem junge Männer auf die Bundeswehr vorbereitet werden sollten. Ganze Kohorten von jungen Männern haben sich schon lange vorher darüber Gedanken gemacht, was sie in den Tagen davor anstellen sollten, um beim Musterungstermin gesundheitlich angeschlagen genug zu sein, um ausgemustert werden.

Nicht immer klappte das. Es gab natürlich auch den umgekehrten Fall, dass junge Männer unbedingt zum Militär wollten und zu ihrem Leidwesen ausgemustert wurden. Mit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 gehörten auch die Musterungen zunächst der Vergangenheit an.

Doch wie lange noch? Die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) regte vor wenigen Tagen schon mal an, die Musterungen wieder aufzunehmen.

Nach ihren Vorstellungen sollen künftig alle jungen Menschen eines Jahrgangs zur Tauglichkeitsprüfung eingeladen werden. Diese Musterung sollte sich an alle Geschlechter richten, forderte Högl in einem Interview des Nachrichtenportals t-online. Damit wird eine alte Forderung vom staatstragenden Teil des deutschen Feminismus erfüllt.

Emma-Gründerin Alice Schwarzer, die schon in den 1980er-Jahren gefordert hat, dass zur Gleichberechtigung der Geschlechter auch Frauen in die Bundeswehr gehören, wenn auch lieber freiwillig, ist seit Beginn des Ukraine-Kriegs allerdings eher durch gemäßigte friedenspolitische Forderungen aufgefallen. Unter anderem für den gemeinsamen Aufruf mit Sahra Wagenknecht zur Berliner Demonstration unter dem Motto "Aufstand für Frieden" wurde sie von Stimmen aus dem bellizistischen Lager scharf angegriffen.

Andere feministische Strömungen, wie beispielsweise auch die kürzlich verstorbene Ökofeministin Maria Mies waren immer strikt dagegen, das Militär im Namen der Emanzipation mit weiblicher Beteiligung aufzuwerten.

Keine Wiedereinführung der Wehrpflicht

Högl beteuerte nun, dass sie sich nicht für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht einsetze. Aber die Idee eines verpflichtenden "Dienstjahres für Deutschland", das im zivilen oder militärischen Bereich abgeleistet werden könne, finde sie "diskussionswürdig".

Man könnte wie in Schweden einen gesamten Jahrgang junger Leute für die Bundeswehr zur Musterung einladen. Und sie dann, sofern sie wehrfähig sind, selbst entscheiden lassen, ob sie sich engagieren wollen oder nicht. Nun könnte man fragen, was eine Musterung ohne Wehrpflicht für eine Bedeutung hat.

Doch wichtig ist zudem, dass eine allgemeine Wehrpflicht bei einer doch sehr individualistischen Jugendkultur nicht beliebt ist. Zudem ist die heutige Bundeswehr auf Freiwillige ausgerichtet. Experten der Bundeswehr sehen eine Wehrpflicht auch für die aktuellen Ziele der Bundeswehr eher als kontraproduktiv an.

Eine allgemeine Dienstpflicht hingegen wird schon seit Jahren immer wieder in die Diskussion gebracht und hat auch Anhänger in größeren Kreisen der Bevölkerung. Dabei steht auch hier ein reaktionäres Konzept Pate.

Dienen für irgendein Vaterland spart vor allem reguläre Löhne, schleift die Rechte von Beschäftigten und fördert eine Volksgemeinschaftsideologie. Denn wieso können die Arbeiten, die die Dienstpflichtigen verrichten, nicht regulär eingestellte, tariflich bezahlte Beschäftigte leisten?

Zivil- und Kriegsdienst – keine Gegensätze

Die allgemeine Dienstpflicht wäre somit auch eine reaktionäre Antwort auf die Krise im Pflege- und Gesundheitsbereich - und sie wäre auch dann ein Beitrag zur allgemeinen Militarisierung des Alltags, wenn sie ausdrücklich nur für zivile Aufgaben gedacht ist.

Schließlich gab es ja auch neben der Bundeswehr bis 2011 den Zivildienst für Kriegsdienstverweigerer. Er war aber vor allem die zivile Flanke des Kriegsdiensts; und im Ernstfall hätten Zivildienstleistende auch kooperieren müssen. Deshalb haben Totalverweigerer Kriegs- und Zivildienst abgelehnt und bekamen dafür Gefängnisstrafen.

Nach wie vor sind Zivil- und Kriegsdienst auch heute keine Gegensätze. So wie es für Eva Högl scheinbar kein Widerspruch war, sich in einer Broschüre des von Ernst Friedrich in Berlin gegründeten Antikriegsmuseums als Pazifistin darzustellen, die sich auch eine Welt ohne Krieg wünscht – und als Wehrbeauftragte dafür eintritt, dass die Bundeswehr immer einsatzbereit ist.

Damit liegt sie aber klar im Trend, gerade, wo nach Beginn des Ukraine-Kriegs die Kampagne gegen Pazifistinnen und Pazifisten massiv zugenommen hat. Selbst manche anerkannten Kriegsdienstverweigerer im "Boomer"-Alter erklärten nachträglich, dass sie heute zur Bundeswehr gehen würden.

Dabei geht es vor allem um die Botschaft, dass in Kriegszeiten ein gesellschaftlicher Burgfrieden zu herrschen habe und jeder seinen Beitrag leisten müsse. Die zivilen Dienste gehören dazu. Und dass Deutschland zumindest indirekt am Ukraine-Krieg beteiligt ist, hat Wehrminister Boris Pistorius schon vor Monaten gesagt. Insofern ist Eva Högls Vorstoß ganz im Trend.

Selbst einst kritische Linke sind dagegen nicht immun. Dazu gehörte auch Rainer Trampert, in den 1980er Jahren bekannter Ökosozialist bei den Grünen, die er vor mehr als 30 Jahren mit seinem Freund Thomas Ebermann verlassen hatte. Sie warfen den Grünen damals vor, sämtliche staats- und militärkritischen Programmpunkte aufzugeben, wenn sie nur im kapitalistischen Staat mitregieren können. Mit ihrer Einschätzung der Entwicklung der Grünen lagen sie auch völlig richtig.

"Es braucht Panzer, eine Flugabwehr und viel Aufklärung"

Doch wenn man die jüngsten Artikel von Rainer Trampert zum Ukraine-Krieg in der Jungle World liest, fragt man sich, warum der die Partei überhaupt verlassen hat. Da stehen Sätze, die man eher bei der grünen Außenministerin Annalena Baerbock als bei ihm vermutet hätte: "Wie die Ukraine zeigt, braucht es auch Panzer und eine Flugabwehr, Aufstände gegen Diktaturen und viel Aufklärung", heißt es da.

Damit möchte er schon mal jeden Aufstand in Deutschland ausschließen, denn das ist ja eine lupenreine Demokratie. Aufstände soll es aber nur bei den Feinden dieser Demokratie geben.

Damit es da keine Missverständnisse gibt, hat Trampert im Text noch mal aufgeschrieben, was seiner Meinung nach droht, wenn Russland sich in der Ukraine durchsetzt: "Ein russischer Sieg wäre ein Festtag für die Diktatoren in aller Welt, die ihn als Beweis für die Überlegenheit ihrer Staatsform interpretieren würden. Die USA und die Nato würden ihren Nimbus als Schutzmacht für Demokratien und ihre Abschreckungsfähigkeit einbüßen".

Hier spricht Trampert wie ein Papagei in der Echokammer von Baerbock und Co. Als er bei den Grünen in einflussreichen Positionen war, forderten diese noch die Auflösung der Nato – und sie wussten, dass das Militärbündnis und auch die USA keinen "Nimbus als Schutzmacht für Demokratien" einzubüßen hatten. Denn USA und Nato hatten immer wieder auf Seiten rechter Diktatoren in aller Welt gestanden, darunter auch das Apartheid-System in Südafrika.

Dessen Erben gehen nun in Kapstadt mit Plakaten gegen Russland auf die Straße, wie auf einem Foto in der Jungle World zu sehen ist. In der Unterschrift steht nur zu lesen: "Demonstranten gegen Marineübungen mit Russland und China in Kapstadt". Es scheint sich niemand zu fragen, warum da nur Weiße gegen Russland in Südafrika demonstrieren.

Dass es damals so etwas wie eine Apartheid gab, die lange von Nato und USA unterstützt worden ist, muss man ja nicht wissen. Und warum sollte man sich der Unterstützung der Apartheid-Erben schämen, wo doch die Ukraine im Konflikt mit Russland auch Neonazis willkommen heißt? Die gehören wohl jetzt auch für Trampert zu Freiheit und Demokratie.

Die können dann konsequenterweise auch nichts mehr dagegen haben, wenn in Deutschland wieder über Musterungen nachgedacht wird. Wenn man Kriege gewinnen will, gehört das dazu.