Was hilft besser gegen Fachkräftemangel: Mehr verdienen oder länger arbeiten?

Während manche Ökonomen dazu raten, dass die Beschäftigten mehr Lohn bekommen, halten andere mehr arbeiten für die bessere Strategie gegen den Personalmangel.

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(Bild: Blue Planet Studio/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Peter Ilg
Inhaltsverzeichnis

Im vergangenen Jahr waren in Deutschland im Durchschnitt 45,6 Millionen Menschen erwerbstätig. Das waren die meisten seit der deutschen Wiedervereinigung 1990. Die Beschäftigung hat somit einen neuen Höchststand erreicht. Der Zuwachs gegenüber dem Vorjahr lag bei 1,3 Prozent. In der Information und Kommunikation stieg die Zahl der Erwerbstätigen mit 70.000 Personen und damit 4,9 Prozent weit überdurchschnittlich an. Diese Zahlen stammen vom Statistischen Bundesamt. Obwohl in der IT und insgesamt immer mehr Menschen in Deutschland arbeiten, sagen nach Umfragen des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung knapp 50 Prozent der Unternehmen, sie seien durch einen Fachkräftemangel eingeschränkt. Dies ist ebenfalls ein Höchststand. Aus ökonomischer Sicht gibt es nach Meinung mancher Wissenschaftler auf Knappheit eine einfache Antwort: Preiserhöhung.

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Am Arbeitsmarkt sind Löhne und Gehälter der Preis und damit bedeutet Preiserhöhung eine Erhöhung der Einkommen. "Gegen den Fachkräftemangel helfen höhere Löhne", meint Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung. Was wären aber die Folgen höherer Gehälter: "Einige Unternehmen würden sich aus dem Markt zurückziehen. Manche unliebsame Tätigkeit würden wegfallen oder automatisiert. Andere Beschäftigte wechseln in Jobs mit höheren Löhnen", schreiben Fuest und Simon Jäger vom Institut zur Zukunft der Arbeit in einem gemeinsamen Aufsatz. Für einzelne Unternehmen, die aufgrund der Lohnsteigerungen und damit höheren Kosten, im Wettbewerb nicht mithalten könnten, wäre das bitter. Gesamtwirtschaftlich ergebe sich daraus aber ein Gewinn, weil die Produktivität steigt und Menschen bei höheren Löhnen eher bereit seien, eine Stelle anzunehmen. Durch die höhere Produktivität könnten die höheren Einkommen bezahlt werden.

Letztendlich geht es den beiden um Umverteilung von Menschen und Geld. "Arbeitskräfte werden vermehrt dort eingesetzt, wo sie produktiver sind, und Löhne und Arbeitsbedingungen verbessern sich insbesondere dort, wo sie aus marktwirtschaftlicher Sicht zu niedrig waren", schreiben Fuest und Jäger. Das wäre eine Win-Win-Situation für Arbeitgeber und Angestellte. Laut Studienautoren steht die Politik in der Pflicht, Bezahlung und Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass in gesellschaftlich wichtigen, aber regulierten Bereichen wie Kindergärten oder Pflege keine Massenabwanderungen in andere Tätigkeiten stattfinden. Insgesamt meinen die Wissenschaftler Fuest und Jäger, dass mehr Wettbewerb um Arbeitskräfte und damit verbundene Verbesserungen von Löhnen und Arbeitskräften aktuell signifikant zur Lösung des Fachkräftemangels beitragen können.

Andere Wissenschaftler und auch Vertreter aus der Wirtschaft fordern, die Arbeitszeit zu erhöhen, um den wachsenden Fachkräftemangel zu kompensieren. Der wird sich verschärfen, wenn die geburtenstarken Babyboomer in Rente gehen. Das sind die Menschen, die zwischen 1946 und 1964 geboren sind. Für eine optionale 42-Stunden-Arbeitswoche bei vollem Lohnausgleich wirbt etwa der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Siegfried Russwurm. Auch Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft, hat sich für eine längere Wochenarbeitszeit ausgesprochen. "Würden wir im Jahr 100 Stunden mehr arbeiten, ließen sich bis 2030 rund 4,2 Milliarden Arbeitsstunden ersetzen, die durch die Überalterung verloren gehen", sagt er in einem Interview mit der Wirtschaftswoche. Schon davor hatte Hüther gefordert, über eine Ausweitung der regulären Wochenarbeitszeit nachzudenken und die 42-Stunden-Woche ins Spiel gebracht.

Gewerkschaften sprechen sich gegen längere Arbeitszeiten aus, sie kämpfen für kürzere Arbeitszeiten. Das hat bei ihnen lange Tradition. Eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit berge die große Gefahr, den flächendeckenden Mangel an Fachkräften zu schärfen, ist Ergebnis einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung, dem Mitbestimmungs-, Studien- und Forschungsförderwerk des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Lange Arbeitszeiten seien hoch belastend und führten langfristig zu einem Anstieg an krankheitsbedingten Ausfällen, was Mehrarbeit und Arbeitsverdichtung für verbliebenes Personal bedeute. Verlängerte Arbeitszeiten erhöhten zudem die Fehleranfälligkeit, so die Erkenntnisse aus der Studie.

Um mehr Menschen in einer Beschäftigung zu halten, wird in Deutschland seit 2012 das Renteneintrittsalter stufenweise von 65 auf 67 Lebensjahre angehoben. Das bleibt nicht ohne Folgen für die Beschäftigten, die dann länger arbeiten müssen: "Unsere Forschung weist empirisch nach, dass ein späterer Renteneintritt die Sterblichkeit erhöht", sagen drei Ökonomen der Universität Mannheim. Die Ergebnisse derer Studie zeigen, dass eine Verzögerung des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben um ein Jahr das Risiko um 4,2 Prozentpunkte erhöht, im Alter zwischen 60 und 69 Jahren zu sterben. Für diese Personen bedeutet längeres Arbeiten einen früheren Tod. Das will wohl keiner.

Mehr Geld ist der eine Ansatz, länger Arbeiten der Zweite gegen den Fachkräftemangel. Beides allein oder auch gemeinsam funktioniert nicht, meinen andere Forscher vom Institut der Wirtschaft. Alexander Burstedde und Dirk Werker raten: "Es muss vieles getan werden – und zwar schnell." Nach Meinung der beiden brauche es eine mehrgleisige Strategie, um dem zunehmendem Arbeitskräftemangel Herr zu werden.

Sie fordern unter anderem, Arbeitszeit und -ort an die Bedürfnisse von Eltern und Älteren anzupassen und Arbeitsanreize im Steuersystem erhöhen, besonders für Teilzeitbeschäftigte und Ältere. Außerdem solle das Renteneintrittsalter erhöht und Frühverrentung minimiert werden. Dazu kommen noch 42-Stunden-Woche mit weniger Urlaubs- und Feiertagen sowie flexiblere Löhne, die sich in beide Richtungen an Knappheiten ausrichten können. Mehrere parallele Ansätze könnten eventuell zu einem höheren Erfolg führen als ein einzelner Lösungsansatz.

(axk)